# taz.de -- Neuer Roman von Richard Schuberth: Lust, Performance und Labern auf Facebook
> Richard Schuberth hat einen Roman über prekarisierte linke Kulturarbeiter
> in den sozialen Medien geschrieben. „Der Paketzusteller“ ist anrührend.
(IMG) Bild: Mit dem Paketzusteller kommt Körperlichkeit in die Erzählung
Gerhild steuert auf die Fünfzig zu, wird sie aber wohl nicht mehr
erreichen, weil Krebs. Die Zeit, die ihr bleibt, verbringt Gerhild auf MDMA
und Pilzen auf Facebook und macht ihre Kontrahentinnen und Kontrahenten
(vornehmlich sind es Männer) verbal fertig. Dann tritt die Liebe in ihr
Leben, und es entfaltet sich so etwas wie ein Krimiplot in Ansätzen.
Aber vor allem geht es dem österreichischen Schriftsteller und Essayisten
[1][Richard Schuberth] in seinem neuen Roman „Der Paketzusteller“ um die
Beschreibung der Reste der Kulturlinken am auf Deutschland ohne Weiteres zu
übertragenden Beispiel Österreich, also Wien.
Das Bild, das hier gezeichnet wird, ist nicht schön. Politische
Machtlosigkeit, das Gefühl, nicht so erfolgreich geworden zu sein, wie man
meint, es verdient zu haben, und jahrzehntelanges Trainieren von
feuilletonistischen Diskursen ergeben ein Gemisch aus
Souveränitätsperformance und Dauerironie, das sich hier in die
Facebook-Threads im Jahr 2018 ergießt.
Da war die Plattform schon fest in den Händen der über Vierzigjährigen.
Anhand der Beschreibung dieser Mischung jedenfalls betreibt Schuberth –
über weite Passagen mehr Essayist als Erzähler – eine sehr genaue und
durchweg schaurige Sozialpsychologie.
## Die Gelehrten sind am schlimmsten
Im ersten Romandrittel dominiert das Thesenhafte, einfach weil der für
Schuberths Unternehmung nicht wirklich entscheidende Plotverlauf und die
allerdings entscheidende Figurenzeichnung sich überwiegend in ihrer
genüsslich hervorgekehrten Eitelkeit sehr komischen und schmerzhaften
[2][Facebook-Kommentarschlachten] entfalten.
Am schlimmsten sind die Gelehrten. „Es geht hier weder um das konservative
Ansinnen der Rettung deutscher Zunge noch um ein xenophobes
Säuberungsprogramm, noch um das nostalgische Beschwören eines idyllischen
Status quo ante“, lässt Schuberth einen besonders peinlichen von Gerhilds
Kontrahenten sagen. Und ihre Antworten – oder halt Repliken – sind dann
wiederum sehr komisch.
Einer der vielen Befunde, die Gerhild und in diesem Fall vermutlich auch
Richard Schuberth über die eigene Blase formuliert, ist dann nicht nur
genau, wie viele der Diagnosen in diesem Roman, sondern auch endgültig
(auch Autor und Rezensent posten textlastig, vorgeblich ohne Not, aber
eifrig in den sozialen Medien): „Du bist alles, was du anderen
unterstellst, bloß mit der blasierten Illusion, frei davon zu sein.“
Hin und wieder eingestreut zwischen die ganze so entfesselte wie notdürftig
sublimierte Eitelkeit sind anrührende Sätze, die das ganze Diskurstheater
kurz mal runterkochen. „Auch Gerhild wollte immer lieb gehabt werden, doch
durfte sie es nie zeigen.“ Der Text erinnert einen in solchen Momenten
daran, dass man es in diesem Roman nicht nur mit Social-Media-Avataren zu
tun hat, sondern mit Figuren, die hinter oder unter den vor sich her
getragenen Meinungen, Positionen und Behauptungen so etwas wie eine Psyche
mitschleppen.
Gerhild ist klüger insofern, als sie genauso schrecklich ist, aber darum
weiß. Wie überhaupt die männlichen Figuren in diesem Roman eine breite
Bremsspur unangenehmer sind als die weiblichen. Ausnahmen bilden der
schwule beste Freund Ferdi und der Titelheld, der [3][Paketzusteller
Haydar,] der Gerhild ihre Amazon-Bestellungen an die Haustür bringt.
## Eine diskurslastige Sexszene
Mit seinem zweiten Erscheinen kommt dann auch wieder so etwas wie Körper
und Kommunikation in die Erzählung, die nicht über drei Metaebenen
aufgespannt ist. Wobei auch die erste Sexszene zwischen Gerhild und Haydar
wieder arg diskurslastig ausfällt. In ihrem Rahmen entfaltet sich ein
dialektisch gebautes Referat über das Verhältnis von Lust und Performance
bei Frauen wie bei Männern; während Haydar sich wirklich bemüht, bemerkt
Gerhild, dass sie das vor ihrem Tod doch gerne noch ein paar Mal öfter
hätte, wobei dem Leser sich ein Gedanke wie „Jetzt macht doch einfach mal
und zerlabert nicht alles“ doch stark aufdrängt.
Von da an nimmt die Geschichte an Fahrt auf. Haydar verschwindet, Gerhild
verdächtigt seinen Arbeitgeber, es steuert tatsächlich auf so etwas wie
einen Showdown zu: „Der Paketzusteller“ setzt sich im Wesentlichen aus
mikrosoziologischen Beobachtungen des Denkens, der Kapitalakkumulation, des
Habitus und des unaufhörlichen Geredes einer prekarisierten Szene von sich
als irgendwie progressiv verstehenden Kulturarbeitern und -arbeiterinnen
zusammen. Gerhilds Erwerbs- und Künstlerinnenbiografie ist wirklich
herzerweichend.
Wenn Schuberths Beobachtungen treffen, tut es weh, immer dann gerade, wenn
man sich mitgemeint fühlen darf. Eine Essaysammlung in Romanform, aber auch
nicht nur. Sondern auch eine sehr, sehr lustige Komödie und
Liebesgeschichte über einen Menschen, dem es im Sterben noch einmal
punktuell gelingt, die eigenen Verhärtungen zu durchbrechen.
Und ein Weg zur Selbsterkenntnis und damit zur Besserung nicht zuletzt:
Wenn man das von Schuberth entwickelte Gewirr aus Narzissmus, Performance-
und Ironiezwang und Scheinsouveränität in seiner Wurstigkeit verinnerlicht
hat, kann man sich nicht mehr in den sozialen Medien verbreitern, Twitter,
Instagram, Facebook, egal. Zumindest nicht ohne sich bei jedem zweiten
Satz, den man dort schreibt, ertappt zu fühlen.
22 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Reaktionen-auf-Biontech-Chefs/!5723811
(DIR) [2] /Gerichtsakten-veroeffentlicht/!6131825
(DIR) [3] /Black-Friday-Wie-stark-Paketboten-ausgenutzt-werden/!6132420
## AUTOREN
(DIR) Benjamin Moldenhauer
## TAGS
(DIR) Literatur
(DIR) Schwerpunkt Meta
(DIR) Prekariat
(DIR) Altern
(DIR) Frauen
(DIR) DUH
(DIR) China
(DIR) Arbeit
(DIR) Krimi
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Morddrohungen in Facebook-Gruppen: Der Preis der Meinungsfreiheit
Das Kammergericht Berlin hat die Klage von Jürgen Resch von der Deutschen
Umwelthilfe auf Löschung von zwei Facebook-Gruppen abgelehnt. Zu Recht.
(DIR) Geschichten aus Peking von Hu Anyan: Worauf unser Reichtum basiert
Schreiben als Selbstverwirklichung: Hu Anyan richtet mit „Ich fahr Pakete
aus in Peking“ den Blick auf die namenlose Masse an
Niedriglohnarbeiter:innen in China.
(DIR) Black Friday und Paketzusteller: Schwere Päckchen zu tragen
Paketboten müssen derzeit bis zu 70 Wochenstunden arbeiten. Verdi fordert
nun ein Verbot von Subunternehmern und Grenze von 20 Kilogramm pro Paket.
(DIR) Film über glücklosen Kunstdieb: Ein Superhirn fährt ziellos durch die Landschaft
Der Spielfilm „The Mastermind“ von Kelly Reichardt erzählt mit kleinsten
Gesten von einem Kunstraub als ruheloses, irreversibles Scheitern.