# taz.de -- Parteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht: Abgang auf Raten
> Das BSW gibt sich einen neuen Namen und eine neue Parteispitze. Ansonsten
> knirscht es aber. Zusammengehalten wird der Laden vom Kult um Sahra
> Wagenknecht.
(IMG) Bild: Parteigründerin Sahra Wagenknecht mit Ehemann Oskar Lafontaine beim BSW-Bundesparteitag in Magdeburg
Vermutlich hätte Sahra Wagenknecht zu Beginn ihres großen Bühnenauftritts
am Samstagnachmittag auch einfach „Hänschen klein“ singen können. Die rund
660 Delegierten des BSW-Bundesparteitags in Magdeburg hätten trotzdem
minutenlang gejubelt und applaudiert. „Da sage noch mal jemand, beim BSW
sei schlechte Stimmung“, rief Wagenknecht irgendwann gegen den Lärm an, um
zu signalisieren, dass sie nun endlich mit ihrer Rede beginnen möchte.
Nun ist das mit der Stimmung beim BSW seit längerem so eine Sache. Die
Umfragen sind mies, [1][mehrere Landesverbände zerlegen sich selbst],
Dogmatiker:innen und Pragmatiker:innen stehen sich spinnefeind
gegenüber, hinzu kommen persönliche Unverträglichkeiten. Bisweilen ist der
Kult um Wagenknecht der einzige Kitt. Auch bei der ersten Etappe des
zweitägigen Parteitags am Samstag waren gewisse Übellaunigkeiten unter den
Teilnehmer:innen nur schwer zu übersehen. „Was für ein Haufen
Heuchler“, ärgerte sich ein Delegierter über innerparteiliche
Widersacher:innen am Rand des Treffens.
Dabei sollte von Magdeburg eigentlich ein komplett anderes Signal ausgehen.
„Heute und morgen stellen wir die Weichen für einen neuen Aufbruch“, sagte
Sahra Wagenknecht. Und dass das „richtig gut“ werde. Konkret sieht der
Aufbruch so aus, dass sich Wagenknecht am Samstag nicht nur vom Vorsitz der
von ihr vor gut zwei Jahren gegründeten Partei verabschiedete. Auch aus dem
Parteinamen wollte sie jetzt mal verschwinden. Und wenn Wagenknecht etwas
will, dann wird es auch so umgesetzt.
So nennt sich das bisherige Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz: BSW, fortan
Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft, kurz: BSW.
Einige Delegierten störten sich zwar an dem „Wortkettenmonster“, das „weder
prägnant noch kurz“ sei. Nichtsdestoweniger wurde das Monster mit großer
Mehrheit angenommen. Zu den Absonderlichkeiten der Namensgebung gehört
gleichwohl, dass der Beschluss nicht unverzüglich, sofort, umgesetzt wird,
sondern erst im Herbst 2026, wenn die Landtagswahlen in
Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Berlin gelaufen sind.
## Hüterin der Parteilinie
Auch ansonsten kann und will sich das BSW nicht von seiner Parteiheiligen
trennen – und sie sich nicht vom BSW. Sagt sie zumindest. Bereits vor gut
einem Monat hatte Wagenknecht erklärt, [2][sich künftig als Chefin einer
neu gegründeten Grundwertekommission um die großen politischen Themen der
Partei statt die leidigen Organisationsfragen zu kümmern]. „Ich werde mein
Bestes tun, eine hochkompetente Grundwertekommission aufzubauen“, versprach
sie am Samstag. Und: „Nein, ich ziehe mich nicht zurück, wie…“ Der Rest des
Satzes ging im Jubel unter.
Wenig verwunderlich: Auch den Wunsch, Hüterin über die richtige Parteilinie
zu werden, erfüllten die Delegierten der nun gewesenen Parteivorsitzenden
„ohne Gegenstimme bei ganz, ganz großer Mehrheit“, wie die Sitzungsleitung
feststellte.
Ihre Nachfolge hatte sie längst geregelt. Neuer Parteivorsitzender neben
der bisherigen und auch künftigen Co-Chefin Amira Mohamed Ali sollte der
Europaabgeordnete Fabio De Masi werden. Der gegenkandidatenlose „Vorschlag“
des Parteivorstands wurde am Abend mit stundenlanger Verspätung von den
Delegierten durchgewunken. De Masi bekam 93 Prozent der Stimmen, für
Mohamed Ali gab es 83 Prozent Ja-Stimmen. Wagenknecht hatte zuvor auch noch
mal mit Nachdruck für den „Riesengewinn“ De Masi und Mohamed Ali geworben.
Und ihr Wort ist schließlich Gesetz.
Abgesehen davon widmete sich Wagenknecht in ihrer Rede ausführlich ihren
Lieblingsthemen: Es brauche Frieden statt Aufrüstung, es drohe „die
Zerstörung der deutschen Industrie und des deutschen Sozialstaats“, die
Menschen würden „für dumm verkauft“. Deutschland sei „gestraft mit einem
Kanzler Gernegroß“, über dessen Geisteszustand sie sich Sorgen mache,
„peinlich“ sei die Regierung, und die Opposition sei auch „peinlich“. So
ging das eine ganze Stunde. Die Delegierten waren euphorisiert.
## Gruß aus der Küche vom Wahlprüfungsausschuss
Einmal mehr gab sich die 56-Jährige überzeugt, dass die Regierungszeit von
CDU-Kanzler Friedrich Merz ohnehin bald zu Ende sein wird, weil ihre Partei
„wahrscheinlich“ zu Unrecht nicht im Bundestag vertreten sei. Tatsächlich
war das BSW bei der Bundestagswahl im Februar 2025 denkbar knapp an der
5-Prozent-Hürde gescheitert. Letztlich fehlten nur 9.529 Stimmen für den
Einzug in das Parlament. Sahra Wagenknecht und ihre Getreuen fordern
seither eine Neuauszählung aller Stimmzettel.
Jetzt erst recht, heißt das Motto. Schließlich hatte der
Wahlprüfungsausschuss des Bundestages an diesem Donnerstag gegen die
Stimmen der AfD entschieden, [3][den Einspruch der Partei gegen das
Ergebnis der Bundestagswahl abzulehnen.] Die Parteigranden griffen den Gruß
aus der Küche am Samstag dankbar auf.
„Das ist so dreist, das ist schändlich“, echauffierte sich die alte und
neue Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali. Das BSW habe „auf fundierteste Weise
Fehler nachgewiesen“. [4][Das sehen nicht alle Jurist:innen so.] Mohamed
Ali ficht das nicht an: Sollte nicht neu ausgezählt werden, „dann leben wir
auch nicht in einer Demokratie“. Deshalb werde man nun auch vor das
Bundesverfassungsgericht ziehen und klagen. Wagenknecht legte später nach
und mokierte sich: „Das kann doch nicht wahr sein, wir leben doch
hoffentlich noch in einem Rechtsstaat und nicht in einer Bananenrepublik.“
Klar ist, bis Karlsruhe über die Klage entscheidet, wird noch einige Zeit
ins Land gehen. Mit dem BSW könnte es derweil weiter bergab gehen. In
bundesweiten Umfragen kommt die Partei nicht mehr über die
5-Prozent-Klippe. Eine Ebene darunter wird sie in einigen westdeutschen
Bundesländern schon gar nicht mehr ausgewiesen, so auch in Rheinland-Pfalz
– im März 2026 wird hier ein neuer Landtag gewählt.
Selbst im Osten Deutschlands, dort, wo die Partei noch bei der
Bundestagswahl im Februar ordentliche Erfolge einfahren konnte und in drei
Ländern ebenfalls gewählt wird, sieht es alles andere als rosig aus. In
Mecklenburg-Vorpommern liegt die Partei zwar noch bei 7 Prozent, in
Sachsen-Anhalt aber nur bei 6 Prozent, in Berlin spielt sie mit 4 Prozent
keine große Rolle mehr.
## Buhrufe für den „Thüringer Weg“
Damit nicht genug, knallt es innerparteilich mittlerweile an allen Enden
und Ecken. Insbesondere ein Thema sorgt für verbissene Grabenkämpfe: die
Frage, ob sich das BSW auf Fundamentalopposition versteifen oder – so sie
denn die Möglichkeit dazu hat – [5][offen für die Übernahme von
Regierungsverantwortung sein soll].
Wagenknecht und ihre Prätorianer:innen machen keinen Hehl daraus, dass
sie vor allem die Koalition mit CDU und SPD in Thüringen für einen schweren
Fehler halten. Zu viel Zugeständnisse, zu pragmatisch, zu unabhängig von
der Berliner Parteizentrale, zu wenig auf Linie.
Thüringens Infrastrukturminister Steffen Schütz verwahrte sich letztlich
auf offener Bühne dagegen, dass die Regierungsbeteiligung in Erfurt von zu
vielen in der Partei als „Betriebsunfall“ diskreditiert wird. Seine
„Vision“ für die Zukunft des BSW sei es zudem, dass aufgehört werde, „gegen
die eigenen Kritiker Krieg zu führen“. Schütz wurde ausgebuht.
Es mangelte zwar am ersten Tag des Parteitreffens nicht an Aufrufen zur
Geschlossenheit. „Es braucht ein BSW, nicht verschiedene BSWs“, sagte etwa
Bayerns Landeschef Klaus Ernst. Dies aber nur, um den
Parteifreund:innen in Thüringen im nächsten Moment erst recht eine
mitzugeben: „Keiner wurde gewählt, weil er besonders gut oder besonders
schön war, das war nur wegen Sahra.“ Er erwarte von den Minister:innen
einer Landesregierung, „dass da auch BSW drin ist und nicht nur BSW
draufsteht“.
Ernst wird im bayerischen Landesverband aktuell vorgeworfen, ein „Klima der
Angst und Einschüchterung“ zu schüren. Geschenkt, in Magdeburg gab es
Standing Ovations für den 71-Jährigen. Der schon in Vergessenheit geratene
ehemalige Bundesvorsitzende der Linkspartei durfte sich für seinen
Anrempeleien der eigenen Parteikolleg:innen noch einmal feiern lassen.
Die Thüringer Delegation war weniger begeistert.
6 Dec 2025
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## AUTOREN
(DIR) Rainer Rutz
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