# taz.de -- Abrechnungsbetrug in der Pflege: Wie unzuverlässig darf ein Altenpfleger sein?
       
       > Vor dem Verwaltungsgericht Hannover kämpft ein Altenpfleger darum, weiter
       > seinen Beruf ausüben zu dürfen. Er ist wegen Betruges verurteilt worden.
       
 (IMG) Bild: Hände, die auf Altenpflege angewiesen sind: Die hat ein Mann aus Niedersachsen nicht immer richtig abgerechnet
       
       Dieter G. ist 62 Jahre alt, ein freundlicher, jovialer Typ, der gern viel
       und schnell redet – und ein verurteilter Betrüger. In neun Fällen hat er –
       zusammen mit seinem Kompagnon – [1][Pflegedienstleistungen nicht korrekt
       abgerechnet.] Dafür ist er 2022 vom Amtsgericht Hannover verurteilt worden,
       das gesteht er auch ein. „Ich habe schlimme Fehler gemacht und dafür
       bezahlt. Punkt.“
       
       Und trotzdem ist er jetzt noch einmal vor das Verwaltungsgericht in
       Hannover gezogen. Er kämpft darum, weiter die Berufsbezeichnung
       „Altenpfleger“ führen zu dürfen. Die hatte ihm das Niedersächsische
       Landesamt für Soziales, Jugend und Familie entzogen.
       
       Aber daran, sagt G., hängt sein gesamter Betrieb mit 18 Angestellten. Sein
       „Pflegestützpunkt“ ist spezialisiert auf Pflegeberatung und haushaltsnahe
       Dienstleistungen in einer eher ländlichen Gegend Niedersachsens und stark
       nachgefragt.
       
       Eine Schließung, findet er, geht zu weit. Immerhin hat er seine Lektion
       gelernt, den Schaden beglichen, seine Geldauflage bezahlt, in neue, teure
       Buchhaltungssoftware investiert, die auch mit komplexen Fällen fertig wird.
       
       ## Hat er bei der Abrechnung gemurkst oder gemogelt?
       
       Überhaupt, so stellt es auch seine Rechtsanwältin dar, sei das Ganze ja
       eher eine unglückliche Verkettung in einer Situation der Überforderung
       gewesen. Da seien eben Dinge vertauscht und falsch abgerechnet worden –
       ohne System oder großartige Bereicherungsabsicht.
       
       „Ich habe immer nur versucht, Löcher zu stopfen“, beteuert G., „wir hatten
       so viele Anfragen, wir wollten die Leute doch nicht im Stich lassen. Aber
       das habe ich jetzt gelernt: Nein sagen. Das ist nicht schön, aber anders
       geht es nicht in unserem Gesundheitssystem.“
       
       Es sei ja auch niemand zu Schaden gekommen, betont seine Anwältin. Es ginge
       hier um ein reines Abrechnungsproblem – da waren die falschen Mitarbeiter
       eingetragen oder Leistungen sind nicht im vollen Umfang erbracht worden.
       Aber trotz umfangreicher Prüfung hätte das ja am Ende nur 0,4 Prozent der
       Fälle betroffen.
       
       Das sieht die Vertreterin des Landesamtes ein wenig anders: „[2][Da sind
       Leistungen abgerechnet worden, die nicht erbracht worden sind.] Das ist
       mehr als eine einfache Verwechselung im Dienstplan.“
       
       Im Strafverfahren wurde zudem mindestens ein Fall festgestellt, in dem die
       Pflegekraft aus Gesundheitsgründen nicht mehr einsetzbar war – trotzdem
       wurde mit ihrem Namen und einer fiktiven Adresse abgerechnet, über ein
       Konto, auf das G.'s Kompagnon Zugriff hatte.
       
       Das, verteidigt sich G., sei an ihm vorbeigelaufen. Die Frau habe ja erst
       noch gearbeitet, dann aber nicht mehr und das sei bei ihm im Büro nicht
       angekommen. Sein Geschäftspartner ist zwar mit ihm verurteilt worden – aber
       weil der keine examinierte Fachkraft ist, drohen ihm keine
       berufsrechtlichen Konsequenzen.
       
       Vielleicht, merkt der Vorsitzende Richter Arne Gonschior an, hätte er dann
       doch lieber gegen den Strafbefehl vorgehen sollen. Jetzt müsste man davon
       ausgehen, dass die darin getroffenen Feststellungen korrekt sind.
       
       ## Dem Landesamt fehlen die Kontrollmöglichkeiten
       
       Er habe halt nicht weiter um Details feilschen wollen, sondern seinen
       Fehler eingesehen und die Sache vom Tisch haben wollen, sagt G.
       
       Der Richter versucht dem Landesamt eine außergerichtliche Einigung
       schmackhaft zu machen. Er habe wenig Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des
       Bescheides, mit dem die Berufsbezeichnung entzogen wurde, sagt er. Aber
       möglicherweise könnte man in Anerkennung der sonstigen Umstände ja doch zu
       einem Kompromiss finden?
       
       Immerhin sei G. ja schon 62 Jahre alt, habe also nicht mehr allzu viele
       Berufsjahre vor sich. Und auch die Krankenkasse habe den Pflegevertrag mit
       G.'s Unternehmen nicht gekündigt. „Ja“, sagt die Vertreterin des
       Landesamtes, „aber die können kontrollieren – wir nicht.“
       
       Es gehört zu den vielen Seltsamkeiten des Systems, dass das Landesamt zwar
       die Berufsaufsicht führt, aber im Grunde nur die Wahl hat, die Anerkennung
       zu erteilen oder zu entziehen. Die Krankenkassen melden Fehlverhalten nicht
       weiter, das tut nur die Staatsanwaltschaft, wenn es zum Strafverfahren
       kommt.
       
       ## Das Abrechnungsproblem bleibt endemisch
       
       Am Ende lässt sich das Landesamt doch auf eine Einigung ein: G. darf sich
       weiter Altenpfleger nennen und weiter seinen Betrieb führen. Dafür muss er
       aber regelmäßig ein sauberes Führungszeugnis einreichen. Und wenn er sich
       bis Ende 2028 noch einmal etwas zu Schulden kommen lässt – und sei es auch
       im Straßenverkehr – wird der Bescheid wieder in Kraft gesetzt. Auch die
       Kosten des Verfahrens muss G. auf sich nehmen.
       
       Ja gut, dann nehme ich das mal so hin, knurrt der. Aber was er noch einmal
       sagen wollte: Darüber, was diese Krankenkassen mit so kleinen,
       mittelständischen Unternehmen wie dem seinen tun, darüber rede ja überhaupt
       niemand.
       
       Er sitze auf offenen Rechnungen, die Monate, zum Teil ein Jahr alt sind,
       erklärt er später am Rande der Verhandlung. Seine Anwältin guckt ein
       bisschen alarmiert. Denn für einen Moment klingt es so, als hätte hier
       vielleicht doch jemand alle fünfe gerade sein lassen, weil er sich im Recht
       fühlt.
       
       [3][Zu den ganz dicken Fischen] gehört G. aber auch nicht. Auf 24.000 Euro
       beläuft sich der Schaden, den man ihm nachweisen konnte. Insgesamt ist
       diese Abrechnungsproblematik im Gesundheitswesen aber seit Jahren ein
       Dauerbrenner. Erst im Juli gab [4][die Kaufmännische Krankenkasse in
       Hannover (KKH) einen neuen Negativrekord bekannt]: 5,4 Millionen Euro
       Schaden sind allein 2024 durch Abrechnungsbetrug entstanden. Der
       Löwenanteil entfiel mit 4,1 Millionen Euro auf ambulante Pflegedienste.
       
       2 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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