# taz.de -- Mitbestimmung geschwächt: Schwarz-Rot schafft Bürgerräte ab
       
       > Der Bundestag löst die Stabsstelle für das Demokratie-Experiment auf. Vor
       > allem die Union hat Probleme mit ausgelosten Beratungsgremien.
       
 (IMG) Bild: Die Mitarbeiter:innen des Bundestags, die bisher den Bürgerrat Ernährung organisierten, widmen sich nun anderen Aufgaben
       
       Mit dem neuen Gremium des Bürgerrats probierte der Bundestag eine
       demokratische Innovation aus. Ausgeloste Bürger:innen erarbeiteten in
       der vergangenen Wahlperiode erstmals offiziell Empfehlungen für das
       Parlament – zum Thema „Ernährung im Wandel“. Nun stehen die Zeichen
       schlecht für die Fortführung dieses Experiments: Weil sich die schwarz-rote
       Koalition nicht auf einen neuen Bürgerrat einigen kann, wurde die
       zuständige Stabsstelle im Bundestag aufgelöst.
       
       Die Mitarbeiter:innen des Bundestags, die bisher den Bürgerrat
       Ernährung organisierten, widmen sich nun anderen Aufgaben. „Für temporäre
       Sondergremien im Parlament wird ein Sekretariat in der Bundestagsverwaltung
       zur Verfügung gestellt“, erläutert Mathias Paul, der Sprecher des
       Bundestages. „Bestehen sie nicht mehr – wie jetzt im Fall des Bürgerrats –
       werden die Sekretariate wieder aufgelöst.“ Das sei ein „gewöhnlicher
       Vorgang“, so Paul. Sollte die Koalition einen neuen Bürgerrat einsetzen,
       würde die Stabsstelle wiederbelebt.
       
       Danach sieht es momentan jedoch nicht aus. Nach Information der
       oppositionellen Grünen haben Union und SPD für 2026 das Wort „Bürgerrat“
       aus dem entsprechenden Haushaltstitel gestrichen. Zwar einigten sich die
       Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag auf die Formulierung:
       „Ergänzend zur repräsentativen Demokratie setzen wir dialogische
       Beteiligungsformate wie zivilgesellschaftliche Bürgerräte des Deutschen
       Bundestages fort.“
       
       Tatsächlich passiert aber nichts. Vor allem die Union scheint kein
       Interesse an neuer Art von Partizipation zu haben. „Der größte Bürgerrat in
       Deutschland ist das demokratisch gewählte Parlament“, hat
       Parlamentspräsidentin Julia Klöckner (CDU) in einem Interview gesagt. Es
       müsse der Eindruck vermieden werden, die Bedeutung des Parlaments und der
       frei gewählten Parlamentarier würde geschmälert, so Klöckner. Allerdings
       stellte sie in Aussicht, im Präsidium des Bundestages weiter über die Frage
       zu sprechen. Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, ebenfalls
       CDU, hatte Bürgerräte unterstützt.
       
       Die Koalitionspartnerin SPD sieht solche Räte positiver, kommt aber nicht
       voran. Grünen-Politiker Sebastian Schäfer sagt: „Es gäbe genug Themen, die
       sich für einen Bürgerrat beim Bundestag eigneten. Ich persönlich könnte mir
       beispielsweise einen Bürgerrat zu mehr Jugendbeteiligung, zu Artikel 218
       Strafgesetzbuch (Schwangerschaftsabbrüche) oder zu digitalem Kinder- und
       Jugendschutz vorstellen.“
       
       ## Menschen mit unterschiedlichen Einstellungen zusammenbringen
       
       Ina Latendorf von den Linken sieht in der Absage einen „Schlag ins Gesicht
       für alle Bürgerinnen und Bürger, die sich ehrenamtlich einbringen für
       unsere Demokratie. Claudine Nierth, Sprecherin des Vereins Mehr Demokratie,
       die den Bürgerrat Ernährung mitorganisiert hat, kritisiert: „Überall boomen
       Bürgerräte: in unseren Kommunen, in den Bundesländern, weltweit.“
       Schwarz-Rot lege „die Axt an die Bürgerbeteiligung – ein fatales Signal,
       gerade mit Blick auf den Anstieg des Rechtsextremismus“.
       
       Der Sinn der modernen Beteiligungsform besteht darin, durch Auslosung
       Menschen unterschiedlicher Einstellungen zusammenzubringen, die sonst eher
       nicht miteinander reden. Bei solchen Beratungen kommen oft konstruktive,
       innovative Lösungsvorschlage mit breiter Mehrheit heraus.
       
       So riet der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ 2023 zu einem kostenlosen
       Mittagessen für alle Kita-Kinder und Schüler:innen sowie einem möglichst
       verpflichtenden staatlichen Label für Lebensmittel zu Klimaschutz, Tierwohl
       und Gesundheit. Außerdem empfahlen die 160 ausgelosten Bürger:innen die
       Abschaffung der Mehrwertsteuer für Obst und Gemüse. Der Bundestag hat die
       Ergebnisse diskutiert, allerdings bisher kaum umgesetzt. Das muss er auch
       nicht, denn der Bürgerrat hatte nur eine beratende Funktion.
       
       26 Nov 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
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