# taz.de -- Konzertreihe ehrt Komponist Palestrina: Im Rausch der absoluten Renaissance-Musik
       
       > Zum 500. Geburtstag Palestrinas gaben die Tallis Scholars und Peter
       > Phillips eine Konzertreihe im Berliner Boulezsaal.
       
 (IMG) Bild: Großmeister der vokalen Vielstimmigkeit: Giovanni Pierluigi da Palestrina (vermutlich 1525–1594)
       
       Nach dem dritten Konzert wendet Peter Phillips sich wie an den Abenden
       zuvor ans Publikum, lächelt fein britisch und erklärt: Er sage das jetzt
       zum dritten Mal, aber es sei wirklich eine Freude, in diesem wundervollen
       Saal aufzutreten. Und dann fügt er, das ist neu, noch hinzu: Gerade
       Palestrina zu singen, sei hier sehr besonders, denn der Raum runde den
       Klang so schön ab.
       
       In diesem Jahr jährte sich der Geburtstag von Giovanni Pierluigi da
       Palestrina zum 500. Mal, und [1][die von Phillips geleiteten Tallis
       Scholars], eines der anerkanntesten Vokalensembles für
       Renaissance-Vokalpolyphonie, ehren den italienischen Großmeister: Im
       Boulezsaal erklingt in drei Konzerten Palestrinas Musik im Dialog mit
       Werken dreier Kollegen. Der erste Abend gehört dem Nebeneinander von Werken
       Palestrinas und seines Zeitgenossen Orlando di Lasso, der zweite der
       Gegenüberstellung mit dem eine Generation jüngeren Spanier Tomás Luis de
       Victoria, der dritte der Begegnung mit dem noch einmal zwanzig Jahre später
       geborenen Claudio Monteverdi.
       
       Die Vokalpolyphonie war in der [2][Renaissance] zeitweise in Verruf
       geraten; Mitte des 16. Jahrhunderts gab es in der katholischen Kirche gar
       Bestrebungen, sie zu verbieten. Kompliziert war die Musik geworden, und
       ihre Vielstimmigkeit stehe der Textverständlichkeit im Wege, fand man.
       
       Palestrina als herausragender Vertreter seiner Profession muss sich dieser
       Kritik sehr bewusst gewesen sein. Seiner [3][„Missa Papae Marcelli“], die
       im zweiten Konzert erklingt, ist anzuhören, dass er die Musik über weite
       Strecken sehr bewusst homophon führt, damit der Stimmverlauf die
       Verständlichkeit des Textes unterstützt. Im weiteren Verlauf der Messe aber
       lösen sich die Stimmen wieder voneinander und finden zum berauschenden
       Treiben ihrer polyphonen Imitationen und Umspielungen zurück.
       
       ## Immer wieder dieselben Texte vertont
       
       Eigentlich waren die Texte, die vertont zu werden pflegten, ja immer
       dieselben und durften allgemein als bekannt vorausgesetzt werden. Drei
       Abende hintereinander Palestrina zu hören, lässt ahnen, was den
       Polyphonie-Kritikern wirklich sauer aufstieß: Diese Musik hatte sich so
       weit verselbständigt, dass sie die Sprache nurmehr als Klangmaterial
       benutzte und sich ansonsten selbst genug war. Palestrina schrieb unter
       anderem 104 ganze Messen, 104-mal auf denselben Text. Das musste ja
       irgendwann zur absoluten Musik werden. Aber kann die noch gottgefällig
       sein?
       
       Im Boulezsaal wird in jeder ersten Konzerthälfte eine Palestrina-Messe
       gegeben, in jeder zweiten abwechselnd kürzere Stücke Palestrinas und seines
       jeweiligen Konterparts. Spannend die Gegenüberstellung von Kompositionen
       Palestrinas und des deutlich expressiver gestaltenden Tomás Luis de
       Victoria auf denselben Text. In einer Pfingstmotette fegt bei Victoria der
       Heilige Geist als hörbarer Wind durchs Haus.
       
       ## Spannende Gegenüberstellungen
       
       Victorias Magnificat-Version scheint mit verschiedenen rhetorischen
       Haltungen zu spielen, während die Palestrina-Vertonungen derselben Texte
       ein hörbar abstrakteres Verhältnis zu ihrem Inhalt pflegen. Ähnlich, aber
       anders, am dritten Abend der Kontrast zu Werken Monteverdis: Der konnte
       polyphon, brachte aber gleichzeitig das homophone Komponieren auf ein neues
       Level.
       
       Palestrina selbst hätte sich eine akustisch so preziös trocken austarierte
       Klangumgebung wie die des Boulezsaals wohl nicht im Traum vorstellen
       können. Wo kein Nachhall ist, verliert die [4][Oberton-Aura] sich nicht
       diffus im Raum, sondern leuchtet umso klarer auf. Dafür ist sie aber auch
       nur noch Erinnerung, sobald die SängerInnen schweigen.
       
       Intonatorisch wie musikalisch führen die Tallis Scholars Großes vor. Wer
       sie hören will, wenn sie das nächste Mal nach Berlin kommen, muss sich
       beizeiten kümmern. Die Konzerte dieser Reihe waren Monate vorher
       ausverkauft.
       
       24 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Die-Leute-werden-high-davon/!1696848&s=Peter+Phillips/
 (DIR) [2] /!s=renaissance/
 (DIR) [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Missa_Papae_Marcelli
 (DIR) [4] /Wenn-Obertoene-um-die-Ohren-fliegen/!5982089&s=obert%C3%B6ne/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Granzin
       
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