# taz.de -- 1.365 Tage Krieg in der Ukraine: Trauern und Abschiednehmen unter Beschuss
       
       > Speziell ausgebildete Sterbebegleiterinnen stehen in der Ukraine Menschen
       > beim Tod von Angehörigen bei. Sie helfen auch bei Angst vor dem eigenen
       > gewaltvollen Tod.
       
 (IMG) Bild: Viele Menschen in der Ukraine trauern um Angehörige, die im Krieg gestorben sind
       
       Irgendwann kam der Moment, als die 30-jährige Anya merkte, dass sie nicht
       mehr leben wollte. Und das Gefühl wurde von Tag zu Tag stärker. Die
       Fotografin aus Kyjiw kam nicht über den Verlust ihres ersten Kindes und den
       Stress durch die ständigen russischen Angriffe auf die Hauptstadt hinweg.
       Schließlich suchte sie Rat bei einer ungewöhnlichen Spezialistin, bei einer
       „Sterbe-Doula“. Das half Anya, ins Leben zurückzufinden.
       
       Nach Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine wurden die die
       vielen Todesfälle unerträglich. So entstand der neue Beruf der
       Sterbe-Doula, die Menschen hilft, mit ihrer Trauer über den Verlust
       umzugehen. Oder ihr Leben würdig zu beenden.
       
       „Der Krieg hat den Menschen das Gefühl von Sicherheit und Stabilität
       genommen. Mein erstes Kind war gestorben, ich kümmerte mich um mein
       zweites. Und als ich total am Limit war, haben mir Freunde Darya empfohlen.
       Mit ihr konnte ich meine Trauer durchleben, ohne mich dafür zu schämen“,
       erzählt Anya.
       
       Darya Bondar ist eine der wenigen zertifizierten Sterbe-Doulas der Ukraine.
       Sie hat in den USA studiert und begleitet nun Menschen in ihren dunkelsten
       Momenten. Die 34-Jährige erklärt, dass eine Doula weder eine Ärztin noch
       eine Psychologin sei.
       
       „Eine Doula ist ein Mensch, der dabei hilft, die Subjektivität am Ende des
       Lebens zu bewahren. Ihre Aufgabe ist es, in den unerträglichen Momenten des
       Schmerzes emotional für den Sterbenden oder den Hinterbliebenen da zu
       sein“, sagt Darya. Weil der Beruf in der Ukraine nicht offiziell
       registriert ist, hat sie sich als selbstständige Beraterin angemeldet.
       
       ## Beistand bei Angst vor Beschuss oder im Sterbezimmer
       
       Sterbe-Doulas können ihre Kunden persönlich oder digital treffen,
       Angehörige ins Sterbezimmer oder zur Beerdigung begleiten, trauernden
       Menschen bis zu sechs Wochen nach dem Verlust begleiten oder dabei helfen,
       mit der Angst vor dem Tod durch Luftangriffe fertig zu werden.
       
       Sie können auch symbolische Rituale durchführen, wenn es nicht möglich ist,
       einen Angehörigen physisch zu beerdigen. „Wenn ein Mann an der Front
       vermisst wird oder gefallen ist und die Leiche nicht an die Familie
       zurückgegeben wurde, gehen wir Alternativen durch. Die Frau kann Briefe an
       den Verstorbenen schreiben und sie verbrennen, um ihn loszulassen. Wir
       können auch an Orte gehen, die dieser Mensch geliebt hat, dort eine Kerze
       anzünden und eine Verbindung spüren“, rät die Doula.
       
       In der Ukraine sind einige Dutzend Sterbe-Doulas tätig. Sie bekommen rund
       100 Euro pro Stunde. Der Beruf kam aus den USA und Großbritannien in die
       Ukraine. In diesen Ländern helfen Doulas in Hospizen Menschen, würdig zu
       sterben. Ukrainische Doulas kümmern sich auch um diejenigen, die ihren Tod
       selber planen wollen: Feuer- oder Erdbestattung, Abschiedsmusik, ein Kreuz
       oder ein Stein für das Grab. Diese Dinge werden jetzt zu einer neuen
       Sterbe-Ethik in einem Land, in dem der Tod hinter jeder Ecke lauert.
       
       Jewhen Rybka aus Dnipro ist einer der wenigen Männer in diesem Beruf. „Seit
       Kriegsbeginn denken Ukrainer mehr über den Tod nach“, sagt er. „Wir kannten
       früher den friedlichen Tod, wenn zum Beispiel die alten Großeltern starben.
       Aber jetzt sind wir alle ständig mit der Angst vor einem gewaltsamen Tod
       konfrontiert“, meint der 27-Jährige.
       
       ## Neue Rituale des Abschiednehmens
       
       Nach UN-Angaben sind zwischen dem Beginn der russischen Vollinvasion
       zwischen Februar 2022 und Juli 2025 mindestens 13.580 Zivilisten
       kriegsbedingt ums Leben gekommen, 34.115 sind verletzt worden. Weitere rund
       60.000 Menschen gelten als vermisst.
       
       Gerade die Gräber ihrer Angehörigen in den russisch besetzten Gebieten
       können Ukrainer oft nicht mehr besuchen. Sie müssen aus der Ferne trauern.
       Der Krieg nimmt den Menschen nicht nur ihre Angehörigen und ihr Land. Er
       nimmt ihnen auch ihre Abschieds- und Trauerrituale. Jetzt erfinden sie
       neue.
       
       „Wir haben gelernt, Abschiede online zu veranstalten und virtuelle
       Friedhöfe anzulegen. In meiner Stadt hängen Fotos von gefallenen Helden und
       daneben QR-Codes, mit denen man ihre Geschichte ansehen kann“, sagt
       Sterbe-Doula Jewhen aus Dnipro.
       
       Aus dem Ukrainischen [1][Gaby Coldewey]
       
       19 Nov 2025
       
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 (DIR) Julia Surkowa
       
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