# taz.de -- 1.356 Tage Krieg in der Ukraine: Zahnarzt auf neuem Posten
       
       > Im medizinischen Freiwilligenbataillon Hospitallers arbeiten Ärzte,
       > Sanitäter und Zivilisten temporär in Frontnähe. Ihr Einsatz ist nicht
       > ohne Risiko.
       
 (IMG) Bild: Der Kyjiwer Zahnarzt Grigor Badalian beim Freiwilligeneinsatz in der Ostukraine
       
       Als ich kürzlich in meine Zahnarztpraxis kam, erfuhr ich an der Rezeption,
       dass der Chefarzt erst in zwei Wochen zurückkehren würde. „Er ist im Osten
       der Ukraine“, sagte man mir. Wie ich jetzt weiß, ist mein Zahnarzt ist
       Mitglied des medizinischen [1][Freiwilligenbataillons Hospitallers,] das
       seit Beginn des Krieges im Donbas 2014 Verwundete nahe der Front versorgt.
       
       Seine Mitglieder – Ärztinnen, Sanitäter und Zivilisten – arbeiten
       ehrenamtlich, oft unter extremen Bedingungen. In zwei- bis dreiwöchigen
       Schichten versorgen sie Verwundete in mobilen Stützpunkten oder
       transportieren Schwerverletzte aus Gefahrenzonen. Entlohnt wird das nicht;
       Unterkunft und Verpflegung werden gestellt. Seit Beginn der großangelegten
       Invasion sind die Hospitallers ununterbrochen im Einsatz; einige wurden
       getötet, verletzt oder gefangengenommen.
       
       Mein Zahnarzt, Grigor Badalian, 33, armenischer Herkunft, führt in Kyjiw
       drei eigene Praxen und bildet junge Kolleg*innen aus. Schon seit den
       ersten Kriegsmonaten spendete er Geld und medizinische Materialien. Doch
       irgendwann reichte ihm das nicht mehr. „Ich konnte nicht ruhig arbeiten,
       während andere täglich ihr Leben riskieren“, sagt er. Freunde und Familie
       reagierten zunächst skeptisch. „Viele haben meine Entscheidung nicht
       verstanden. Aber wer einmal mit den Hospitallers unterwegs war, weiß, dass
       es keine Frage des Mutes ist, sondern der Verantwortung“, so Grigor.
       
       Im Sommer 2024 absolvierte Grigor ein Trainingsprogramm der Organisation.
       „Bei den Einsätzen spüre ich, dass meine Arbeit wirklich etwas bewirkt“,
       sagt er. „Sie geben mir Kraft, Inspiration und moralische Ruhe für den
       Alltag. Lange Pausen zwischen den Einsätzen sind schwer auszuhalten, weil
       man ständig das Gefühl hat, nicht genug zu tun.“
       
       Zur Armee wollte er sich nicht melden – zu groß wäre der Verlust für seine
       Praxen gewesen. „Wenn ich zwei Wochen weg bin, bricht dort Chaos aus. Aber
       als Freiwilliger kann ich den Soldaten helfen und trotzdem als Zahnarzt
       weiterarbeiten.“
       
       Man lerne auch sehr viel dort, sagt Grigor: „Ich empfehle jedem Arzt, sich
       freiwillig zu engagieren – die praktische Erfahrung ist immens.“ Die Art
       der Verletzungen habe sich stark verändert, meint er. „Nur einmal hatte ich
       eine Schusswunde. Die meisten Verletzungen entstehen durch Drohnenabwürfe,
       Splitter und Explosionen.“ Und führt noch aus: „Wegen der vielen Drohnen
       kommt man oft kaum direkt an die Verwundeten heran – wir setzen zunehmend
       unbemannte Bodendrohnen für den Transport ein.“
       
       Das Bataillon Hospitallers hatte einen zentralen Stützpunkt im
       ostukrainischen Pawlohrad, wo auch viele der Freiwilligen unterkamen. Doch
       im letzten Sommer brannte das Gebäude nach zwei Raketenangriffen
       vollständig nieder. Alle Sanitäter konnten evakuiert werden; es gab keine
       Verletzten. „Als ich früh morgens dort ankam und das verkohlte Gebäude sah,
       stand ich unter Schock. Aber so etwas musste früher oder später passieren,
       in einem Krieg wird halt alles zerstört“, sagt Grigor. Solche Ereignisse
       machen deutlich, unter welchen Bedingungen die Hospitallers arbeiten und
       wie stark das Risiko für jeden Einzelnen ist.
       
       Über das Thema Gefangenschaft spricht Grigor offen. Er ist erleichtert,
       dass die letzten 2022 im Asowstahlwerk in Mariupol gefangengenommenen
       Hospitallers vor Kurzem ausgetauscht wurden. Doch der Bruder seiner
       Verlobten, der dort ebenfalls kämpfte, ist noch immer in russischer
       Gefangenschaft. Das besorgt ihn aktuell am meisten. Heiraten möchte Grigor
       bald, Kinder aber vorerst nicht. „Im Krieg Kinder zu bekommen, wäre
       unverantwortlich – vor allem ihnen gegenüber“, sagt er. „Ich habe eine
       innere Angst, die ich nicht einfach verdrängen kann.“
       
       Für meinen Zahnarzt ist klar: Jeder kann auf seine Weise helfen. Selbst
       kleine Beiträge zählen. Für ihn ist sein Engagement nichts
       Außergewöhnliches. „Ich habe Kenntnisse, um Leben zu retten – also setze
       ich sie ein“, sagt er. Dann wird er zum nächsten Patienten gerufen.
       
       10 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.hospitallers.org.uk/de
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Oleksiy Obolenskyy
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne über leben
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Freiwillige
 (DIR) Medizin
 (DIR) Front
 (DIR) Recherchefonds Ausland
 (DIR) Kolumne über leben
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Kolumne über leben
 (DIR) Kolumne über leben
 (DIR) Kolumne über leben
 (DIR) Kolumne über leben
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) 1.379 Tage Krieg in der Ukraine: Wie ukrainische Städte aussterben
       
       Im ostukrainischen Schachtarske hatten sich die Menschen an den Krieg
       gewöhnt. Doch ein Drohnenangriff im Oktober veränderte das Leben in der
       Stadt komplett.
       
 (DIR) 1.374 Tage Krieg in der Ukraine: Freiwilligenarbeit als Hobby
       
       In der Ukraine packen Freiwillige aus aller Welt dort an, wo Politiker noch
       diskutieren. Für viele ist das auch sinnstiftende Freizeitbeschäftigung.
       
 (DIR) 1.365 Tage Krieg in der Ukraine: Trauern und Abschiednehmen unter Beschuss
       
       Speziell ausgebildete Sterbebegleiterinnen stehen in der Ukraine Menschen
       beim Tod von Angehörigen bei. Sie helfen auch bei Angst vor dem eigenen
       gewaltvollen Tod.
       
 (DIR) 1.351 Tage Krieg in der Ukraine: Solidarische Landwirtschaft auf Ukrainisch
       
       Die „Deokkupations-Tafel“ in Charkiw unterstützt Kleinbauern aus ehemals
       besetzten Gebieten beim Gemüseanbau. Die Front ist nur 15 Kilometer
       entfernt.
       
 (DIR) 1.322 Tage Krieg in der Ukraine: Ausreiseverbot für Wehrpflichtige – nicht in jedem Fall
       
       Viele nehmen an, Männer im wehrfähigen Alter dürften die Ukraine generell
       nicht verlassen. Doch es gibt Ausnahmen, unser Autor fällt unter eine
       davon.
       
 (DIR) 1.284 Tage Krieg in der Ukraine: Die Hexen von Butscha
       
       In der Freiwilligenorganisation „Hexen von Butscha“ im Kyjiwer Umland haben
       sich Frauen organisiert, um russische Drohnen über ihren Ortschaften
       abzuschießen.