# taz.de -- Aufgeladene Worte: Das angeblich Natürliche
       
       > Eine Ausstellung im Berliner Deutschen Historischen Museum untersucht,
       > wie sich der Begriff von Natur mit der deutschen Geschichte wandelte.
       
 (IMG) Bild: Der Sternmarsch am 25. August 1974 gegen das Bleichemiewerk Marckolsheim und das Atomkraftwerk Whyl im Whyler Wald
       
       Völkische und Naturbegriffe liegen in Deutschland ja oft unheimlich nah
       beieinander: 1973 führte der damalige bundesdeutsche Innenminister
       [1][Hans-Dietrich Genscher] das als „Umweltspiel“ vermarktete
       Gesellschaftsspiel „Toxifax“ vor. Auf einem von dem früheren Kampfflieger
       Georg Munker aufgenommenen Foto sieht man zwei eher irritiert wirkende
       Teenager, wie sie mit dem tatkräftig eine Spielfigur packenden
       FDP-Politiker vor dem Brettspiel sitzen (die beiden halb verdeckten
       Teenagerinnen im Hintergrund dürfen Genscher nur über die Schulter
       schauen).
       
       Zwei Jahre zuvor hatte die FDP mit ihren [2][„Freiburger Thesen zur
       Gesellschaftspolitik“] aufhorchen lassen. „Umweltpolitik ist
       Gesellschaftspolitik und geht jeden Bürger an“, hieß es da etwa, oder:
       „Umweltschädigung ist kriminelles Unrecht.“ Und bereits 1969 hatte Genscher
       in seinem Ministerium die dem damals neuen Konzept des „Umweltschutzes“
       zuarbeitende „Abteilung U“ eingerichtet (und so dem seit 1935 in
       Deutschland verrechtlichten „Naturschutz“-Begriff ein internationaleres
       Konzept zur Seite gestellt). Das Foto ist also aus dieser Logik heraus nur
       folgerichtig.
       
       ## Ein Altnazi als Umweltspielerfinder
       
       Liest man die Gebrauchsanweisung des Spiels, in dem man gegen den die
       Umwelt verschmutzenden Toxifax kämpft, stößt man allerdings auf Begriffe
       wie „vernichteter Schmutzring“, „Schandpfahle in Grau“ oder „Erdwacht“. Und
       erfährt, dass sogenannte Toxigräber mit Namen wie „Deponie“, „Wolf“,
       „Zentrale Verbrennungsanlage“, „Kläranlage“ erworben werden können.
       
       Toxifax ist dabei aber nicht nur sprachlich ein Objekt aus der Gruselkammer
       des BRD Noir. Denn was das sehr späte (1945) NSDAP-Mitglied Genscher 1973
       womöglich nicht wusste: Der Erfinder des Spiels, der seinen Namen, „Dr.
       Waldemar Lentz“, groß auf dessen Schachtel abdrucken ließ und der im
       Auftrag der [3][Bundeszentrale für politische Bildung] bereits etwa das
       „Uno-Spiel“ entwickelt hatte, war nur 30 Jahre eher in einem Sonderkommando
       des Reichssicherheitshauptamts der SS tätig gewesen, davor beim Völkischen
       Beobachter. Ein Altnazi als Erfinder eines BRD-Umweltspiels –
       verwunderlich? Wohl kaum.
       
       In der von Julia Voss kuratierten Ausstellung „Natur und deutsche
       Geschichte. Glaube – Biologie – Macht“ [4][im Berliner Deutschen
       Historischen Museum (DHM)] wird diese Verquickung an dieser Stelle nicht
       benannt („Natur“-Konzepte der Nationalsozialisten aber durchaus, vom Wirken
       des „Reichslandschaftsanwalts“ bis hin zur „NS-Vogelkunde in Auschwitz“).
       Neben Spiel und Genscher-Foto sind hier vielmehr weitere Dokumente zu
       sehen, die zeigen, dass ab den 1960er-Jahren die FDP wie auch die SPD das
       Thema Umwelt in der Bundesrepublik aufs politische Parkett brachten.
       
       Damit, sowie unter anderem mit Objekten der [5][Proteste gegen den Bau des
       geplanten Atomkraftwerks in Wyhl] Mitte der 1970er-Jahre (und nicht etwa
       mit der Voss für das DHM zu gegenwärtig erscheinenden Gründung der Grünen
       1980), schließt eine mit Hildegard von Bingens Vorstellung der „Viriditas“,
       der göttlichen „Grünkraft“, im 12. Jahrhundert einsetzende Ausstellung.
       
       Sie hat sich nicht weniger vorgenommen, als Beispiele aus 800 Jahren
       deutscher Geschichte zu versammeln, die [6][mit Begriffen von „Natur“]
       verbunden sind, die zeigen, „was wann von wem in der deutschen Geschichte
       als Natur verstanden wurde“, wie es DHM-Direktor Raphael Gross ausdrückt.
       Es gibt also viel zu tun für diese Ausstellung – oft zu viel, sodass die
       Breite der Umschau in den fünf chronologisch angeordneten Themenräumen mit
       ihren rund zwei Dutzend „Fallgeschichten“ nicht selten auf Kosten der
       Details geht.
       
       ## Wie der Wolf zum Schrecken an sich wurde
       
       In großen Schritten erfährt man so etwa, wie im Mittelalter der Bodensee
       vertraglich geregelt zur Fischfang-Allmende wurde, wie der Dreißigjährige
       Krieg den Wolf zur personalisierten Darstellung der Gräuel werden ließ und
       wie gleichzeitig Johannes Kepler mit seinen astronomischen Forschungen die
       Naturwissenschaften auf einen neuen Stand hob. Maria Sibylla Merians
       Illustrationen von Insekten und Pflanzen aus dem späten 17. und frühen 18.
       Jahrhundert gehören sicher zu den visuell einprägsamsten Exponaten der
       Ausstellung, die auch auf Merians nicht uneigennützige Reise in die
       damalige niederländische Kolonie Suriname verweist.
       
       Der für die detailreichen Bildtafeln seines Buches „Kunstformen der Natur“
       bekannte Zoologe und Bismarck-Fan Ernst Haeckel ist in der Ausstellung auch
       durch seinen rassistischen und antisemitischen „Stammbaum der zwölf
       Menschen-Arten“ von 1874 vertreten.
       
       In zunehmend dichteren Episoden arbeitet die Ausstellung so auch den Terror
       des deutsche Identität als natürliche Identität setzenden angeblich
       „Natürlichen“ heraus, wie es sich ab dem 19. Jahrhundert über
       nationalistisch verfärbte Begriffe wie „Naturschutz“ und „Heimatschutz“
       schließlich zur rassistischen Staatsideologie erhob. Was die Nazis damit
       hinterließen, waren toxische „Schandpfahle in Grau“.
       
       26 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Nachruf-auf-Hans-Dietrich-Genscher/!5288940
 (DIR) [2] https://fdp-damme.de/2017/Freiburger%20Thesen-LD-V201609.pdf
 (DIR) [3] https://www.bpb.de/
 (DIR) [4] /Gewalt-ausstellen-im-DHM-in-Berlin/!6086972
 (DIR) [5] /50-Jahre-AKW-Besetzung-in-Wyhl/!6070489
 (DIR) [6] /Nature-Writing-Festival-in-Hamburg/!6092824
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Conrads
       
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