# taz.de -- Rentensystem: „Der Blick allein auf das Alter greift viel zu kurz“
> Die Bundesregierung streitet über ihr Rentenpaket. Dabei müsste man die
> Probleme ganz anders angehen, sagt der österreichische Sozialforscher
> Josef Wöss.
(IMG) Bild: Müssten Rentner bald wieder an den Schreibtisch oder gibt es auch andere Lösungen? Senioren-Speeddating in Wien
taz: Herr Wöss, muss aus dem Thema Rente immer ein
[1][Generationenkonflikt] werden?
Josef Wöss: Nein, das muss keineswegs so sein. Eigentlich müsste es zum
Beispiel im Interesse der Jüngeren sein, dass sie selbst mal eine gute und
sichere Rente bekommen, also dass das Rentenniveau eher steigt und
jedenfalls nicht weiter sinkt.
taz: Aber ist das nicht sowieso unmöglich, wenn es nun mal immer
[2][weniger junge Menschen] und immer mehr alte Menschen gibt?
Wöss: Das wirkt nur so, weil die Diskussion in Deutschland viel zu verkürzt
geführt wird.
taz: Inwiefern?
Wöss: Es wird oft als alternativlos dargestellt, das Rentenniveau
abzusenken oder das Renteneintrittsalter noch weiter zu erhöhen, also
Menschen noch später in Rente gehen zu lassen. Die einzige weitere
Möglichkeit, die es dann noch in die Diskussion über den Umgang mit dem
demografischen Wandel schafft, ist die kräftige Erhöhung der Beitragssätze.
taz: Entweder die [3][Leute arbeiten länger], es wird mehr eingezahlt oder
das Rentenniveau sinkt. Klingt für mich logisch als Alternativen, die wir
haben.
Wöss: Aber gerade aus der Perspektive der Jugend wäre es doch naheliegend,
eine weitere Option ins Spiel zu bringen und auf mehr und bessere
Arbeitsplätze zu setzen. Die entscheidende Frage ist: Wie viele von uns
haben gute Arbeitsplätze und tragen damit im nötigen Ausmaß zur
Finanzierung der Sozialsysteme bei und bei wie vielen ist das nicht der
Fall?
taz: Was hat das mit der Zukunft der Rente zu tun?
Wöss: Ein zentraler Punkt ist, was wir die ökonomische Abhängigkeitsquote
nennen: Wie viele Leistungsbezieher gibt es und wie viele Beitragszahler
stehen ihnen gegenüber? Als Leistungsbezieher sollte man dabei nicht nur
Rentner sehen, sondern auch Arbeitslose, also alle, für die die Einzahler
aufkommen müssen. Wie wird diese Quote aussehen, wenn es in Zukunft viel
mehr Ältere gibt als heute? Der Blick allein auf das Alter greift viel zu
kurz, um diese Frage zu beantworten. Das Ergebnis hängt ganz wesentlich
davon ab, wie viele Menschen in Zukunft einen guten Arbeitsplatz haben und
ob es gelingt, dass ein deutlich höherer Anteil der Menschen im
Erwerbsalter tatsächlich erwerbstätig ist – und damit viel weniger Menschen
aus dieser Altersgruppe auf Sozialleistungen angewiesen sind, als das heute
der Fall ist.
taz: Warum ist die Art der Arbeit wichtig?
Wöss: Es geht nicht um irgendwelche Jobs, sondern um gute Arbeitsplätze. In
Deutschland sind aktuell rund 10 Prozent aller als erwerbstätig
eingestuften Personen nur geringfügig als Minijobber beschäftigt und zahlen
dadurch wenig oder gar nichts in die Rentenkasse ein. Auch der
Niedriglohnsektor ist ein Problem für die Rente. Menschen, die dort
arbeiten, erwerben nur sehr geringe Rentenansprüche und laufen Gefahr, in
Altersarmut zu landen. Die niedrigen Rentenbeiträge verursachen außerdem
ein Problem für die aktuellen Renten, die die jeweils Erwerbstätigen in
einem Umlageverfahren durch ihre Beiträge finanzieren.
taz: Also könnten mehr Jobs und bessere Jobs die Rente retten?
Wöss: Wenn der Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung stark in die
Höhe geht, wird ein höherer Teil des Bruttoinlandsprodukts für sie
aufgewendet werden müssen. Daran führt kein Weg vorbei, wenn es auch für
die heute Jüngeren halbwegs gute Renten und eine gute Gesundheitsversorgung
im Alter geben soll. Allerdings würden mehr und bessere Jobs die von vielen
befürchtete massive Verschlechterung des Verhältnisses zwischen
Beitragszahlern und Leistungsempfängern erheblich eindämmen.
taz: Das ist erst mal ein abstrakter Appell. Was müsste ganz konkret getan
werden?
Wöss: Wer für die heute Jüngeren eine gute Perspektive für die Rente
aufbauen will, muss sich um ihre aktuellen Probleme am Arbeitsmarkt
kümmern. Um ein einfaches Beispiel zu nennen: Unzureichende Ausbildung
führt dazu, dass viele nicht ins Erwerbsleben hineinkommen und auch später
wenig Chancen haben – mit den angesprochenen negativen Folgen für die
Rente.
taz: Aus- und Fortbildung für Jugendliche ohne Schul- und Berufsabschluss
kostet erst mal viel Geld.
Wöss: Das kostet viel weniger Geld, als die Folgen im Nachhinein
auszubügeln. Genauso bei Kinderbetreuungsplätzen. Viele Frauen arbeiten in
Teilzeit, würden aber gerne ihre Arbeitszeit erhöhen, wenn die
Rahmenbedingungen stimmen würden. Da geht es vor allem um gute
Kinderbetreuung. Eine weitere Gruppe mit viel Potenzial sind Zugewanderte.
Auch hier gilt: Bessere Arbeitsmarktintegration würde zu mehr Beschäftigten
führen und damit auch zu mehr Einzahlungen in die Sozialkassen.
taz: Das läuft darauf hinaus, dass alle möglichst viel arbeiten. In einer
Familie am besten beide Elternteile Vollzeit, [4][zugunsten der
Rentenkasse]. Soll das wirklich die Zukunft sein?
Wöss: Es geht nicht darum, dass alle möglichst viel arbeiten, sondern es
geht um eine bessere Verteilung von Arbeit, sowohl der bezahlten als auch
der unbezahlten. Schauen wir mal andersherum darauf: Kann es die Zukunft
sein, dass diejenigen, die heute jung, gut ausgebildet und gesund sind, bis
an ihr Limit arbeiten, während andere keinen Zugang zum Arbeitsmarkt
finden? Da scheint es doch sinnvoller, Arbeit besser zu verteilen. Mit
guten Jobs für alle.
taz: Was ist das, ein guter Job?
Wöss: Ein guter Job, so definieren das auch die Gewerkschaften, ist einer,
der gut entlohnt wird und dessen Arbeitsbedingungen mit dem Privatleben
vereinbar sind. Außerdem gibt es Mitbestimmungsmöglichkeiten und
Gesundheitsschutz. Der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ist auch ein Hebel
für mehr Beschäftigung. Es gibt Berufe, bei denen die Belastung so hoch
ist, dass sie kaum bis zur Rente durchzuhalten sind, zum Beispiel in der
Pflege. Wer hier die Arbeitsbedingungen verbessert, sorgt auch dafür, dass
Menschen länger arbeiten können.
taz: Können denn die Maßnahmen, die Sie aufzählen, wirklich ausreichen, um
die Probleme einer alternden Gesellschaft für die Rente zu bewältigen?
Wöss: Sie können das Problem der Alterung jedenfalls massiv entschärfen.
Aber sie müssen Teil einer Gesamtstrategie sein. Letztlich geht es darum,
dass der erarbeitete Wohlstand breit verteilt wird. Dazu gehören dann zum
Beispiel auch Maßnahmen gegen Steuerdumping und generell eine bessere
Verteilungspolitik.
taz: Gibt es denn Beispiele von Ländern, wo es geklappt hat, die Folgen des
demografischen Wandels durch Arbeitsmarktpolitik abzumildern?
Wöss: Das findet de facto in vielen Ländern statt, wird aber wenig
beachtet. Die Erwerbsbeteiligung ist sowohl bei den Frauen als auch
generell im höheren Erwerbsalter erheblich nach oben gegangen. Zusammen mit
der Zuwanderung hat das schon bisher bewirkt, dass die sogenannte
ökonomische Abhängigkeitsquote viel weniger stark gestiegen ist, als das
ursprünglich prognostiziert wurde.
taz: Sie meinen, dass sich die schon heute gealterte Gesellschaft weniger
im Rentenproblem zeigt, als man das früher dachte?
Wöss: Ja. Wir sehen zum Beispiel in Österreich: Bei einer alternden
Gesellschaft ist das Verhältnis zwischen Rentnern und Beitragszahlern in
den letzten 20, 30 Jahren ziemlich konstant geblieben ist.
27 Nov 2025
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## AUTOREN
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