# taz.de -- Schlagkräftige Linke: Schlichtweg Gewalt
       
       > Der Rechtsruck, das ist die gesamte Gesellschaft. Zunehmend auch die
       > gesellschaftliche Linke. Braucht es da etwa auch eine Brandmauer?
       
 (IMG) Bild: Demonstration in Solidarität mit Lina E. im September 2021 in Leipzig
       
       Die KI kann den Begriff bereits definieren: „linker Rechtsruck“. Er
       bezeichne „die paradoxe Situation, dass auch linke oder linksextremistische
       Gruppierungen sich zunehmend radikalisieren und ähnliche Methoden wie
       rechtsextreme Gruppen anwenden“.
       
       Aber was ist der Rechtsruck eigentlich? NSU, Nazischläger, AfD, schnell
       schießende Polizisten und eine Wiederkehr der Baseballschlägerjahre? So
       weit die offensichtlichen Symptome.
       
       Kein Wunder also, dass sich Linke zur Gegenwehr berufen fühlen: [1][Gegen
       die antifaschistische Gruppe rund um Johannes G. begann der Prozess am
       vergangenen Dienstag in Dresden.] Unter anderem sollen sie mit
       Schlagstöcken und Hämmern auf Köpfe und auf am Boden liegende Neonazis
       eingeschlagen und AfD-Anhänger im privaten Umfeld attackiert haben. Die
       Argumentation in einigen Solidaritätsbekundungen im Internet: Militanter
       Antifaschismus sei kein Terrorismus, und wer gegen Nazis kämpfe, könne sich
       auf den Staat eben nicht verlassen.
       
       Also let’s go. Helden braucht das Land. Hauptsache, politisch
       handlungsfähig bleiben oder sich zumindest so fühlen.
       
       ## Empathische Schwächlinge
       
       Für Reflexion bleibt aber gar keine Zeit. Geist und Denken ist schon etwas
       langweiliger als Körper und Fühlen. Wer würde denn jetzt ernsthaft noch
       Strategien wie Bildung, Erziehung, Demos, Bündnisse und Kommunikation
       fordern und Sachschäden und Selbstverteidigung als maximale Aktionsgrenze
       linker Politik als selbstverständlich deklarieren? Nur empathische
       Schwächlinge. Schließlich geht es darum, nun mal wirklich auf der richtigen
       Seite der Geschichte zu stehen.
       
       Das Thema Gewalt hat man in der von Idealen geprägten Linken jahrelang
       ausgeblendet. Jetzt muss schnell nachholend modernisiert werden. Bis dato
       haben die Kontinuitäten rechter Gewalt in peripheren Gegenden und in
       Ostdeutschland, gegen die sich Betroffene seit Jahrzehnten selbst
       verteidigen, keine große mediale und politische Aufmerksamkeit bekommen.
       Und jüdische Stimmen, die von Bedrohungen aus fast allen politischen Lagern
       erzählen, passen auch nicht ins dichotome Bild linker Wehrhaftigkeit.
       
       Teile des aktionistischen Konglomerats kommen aus einer sportaffinen
       linksradikalen Szene. Beispielsweise trainiert der Rapper kalaszniko7 mit
       seinen Genossen und Genossinnen [2][im Instagramvideo seines Songs „Sport
       frei!“] Kampfsport und mahnt: „An den Tagen, wo du nicht trainierst,
       macht’s ’n Fascho.“
       
       Die echten Faschisten gehen aber [3][längst schießen.] Die dementsprechende
       Aufrüstungsforderung in linker Version müsste also bald kommen. Denkt man
       das Gesetz der Straße – dass nämlich sozialchauvinistisch der Stärkere
       gewinnt – zu Ende, müssten jedenfalls größere Geschütze aufgefahren werden.
       
       ## Gewaltästhetik zieht auch im Wahlkampf
       
       Genau gegen diese autoritäre Vereinnahmung wehren sich progressive Teile
       der linken Kampfsportszene. [4][Dort will man keinen Drill, keine
       Uniformierung, kein männliches Härteideal], sondern versucht eine Kultur
       solidarisch-sportlichen Messens, statt soldatisch-sportliche Mobilisierung
       zu etablieren. Davon zeugen die meisten Selbstverständnisse linker
       Kampfsportprojekte.
       
       Popkulturell kulminiert die ganze Abwehr in krude Abwege. Dafür trägt ein
       anderes, sich neuerdings ebenfalls als wehrhaft fantasierendes Milieu
       Verantwortung: das der Politiker. Vielleicht in der Jugend mal radikal und
       cool gewesen – gefällt die junge linke Militanz und Gewaltästhetik dort
       besonders gut. Und sie zieht auch im Wahlkampf. Alle zusammen gegen den
       Faschismus – auch körperlich –, trägt man medienwirksam vor sich her und
       stachelt dazu an, „auf die Barrikaden“ zu gehen. So gemacht vom linken
       Bundestagsabgeordneten [5][Ferat Koçak, der sich vor dem Bundestag filmte
       und dabei die Lippen bewegte zum Song „Rot“ der Rapper Dahab Flex und
       Erzin]. Text unter anderem: „Hau dem Rechten aufs Maul auf die linke Tour“.
       In anderen Videos sieht man Dahab Flex mit der „pro-palästinensischen
       Genossenschaft“ einer jüngeren linken Szene in Black-Block-Ästhetik, Kufiya
       und Hammer und Sichel „death to the IDF“ schreien
       
       Was auf den Straßen an linksrechter Wehrhaftigkeit so alles abgeht,
       interessiert das selbstgerechte Milieu aber nicht. Nein, von
       Gewaltkompetenz sind viele Befürworter linker Wehrhaftigkeit weiter weg,
       als ihr Duktus vermuten lässt. [6][Die Reaktion Heidi Reichinneks auf den
       Mord am rechten Influencer Charlie Kirk spricht Bände.] Sie findet, man
       muss ihm aufgrund seiner politischen Einstellung post mortem weder Mitleid
       noch Respekt entgegenbringen.
       
       Selbstverteidigung ist eine grundlegende emanzipatorische Voraussetzung für
       jeden Menschen – immer und egal gegen wen. Darum geht es aber den
       wenigsten, die sich in Gewalt oder Gewaltfantasie verrennen. Effektiv
       abgewehrt werden vor allem die eigenen autoritären Sehnsüchte. Und warum
       sollte ein gesellschaftlicher Rechtsruck nicht auch die soziale Linke
       betreffen? Nestbeschmutzung ist also eine Pflicht. Folgt man der Logik des
       linken Rechtsrucks konsequent – dann wäre es wohl höchste Zeit für eine
       Brandmauer dagegen.
       
       29 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Auftakt-im-Antifa-Prozess-in-Dresden/!6132540
 (DIR) [2] https://www.instagram.com/reel/DJ_Yp18sCXX/
 (DIR) [3] https://www.endstation-rechts.de/news/neonazis-trainieren-schiessen
 (DIR) [4] https://www.youtube.com/watch?v=g2iwLLhjC44
 (DIR) [5] https://www.bz-berlin.de/berlin/mitte/neukoellner-linke-abgeordneter
 (DIR) [6] https://www.welt.de/politik/article68c7990791b818635a30d0de/Caren-Miosga-Und-dann-spricht-Reichinnek-darueber-was-sie-von-Charlie-Kirk-haelt.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Clara-Sophia Müller
       
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