# taz.de -- Rechte Gewalt in Lichtenberg: Immer noch ein rechtsoffener Kiez
> Am Samstag erinnerten Hunderte DemonstrantInnen an Opfer rechter Gewalt
> in Lichtenberg. Auch eine Kneipe als Treffpunkt für Neonazis gibt es
> noch.
(IMG) Bild: Berlin-Lichtenberg, 22. November: weiße Rosen am Rande eines Protests gegen rechte Gewalt
Der Besuch im Edeka-Markt nahe des Bahnhofs in Berlin-Lichtenberg dürfte
für die meisten Menschen vor Ort zum Alltag gehören. Für Eugeniu Botnari
sollte der Besuch des Geschäfts am 17. September 2016 jedoch den Tod
bedeuten: Der obdachlose Hilfsarbeiter aus Moldau wurde von dem damaligen
Filialleiter André S. brutal misshandelt, dieser setzte sogar
Quarzhandschuhe ein. Botnari starb wenige Tage später an den Folgen der
Verletzungen.
Am vergangenen Samstag erinnerte eine antifaschistische Gedenkdemonstration
an diesen und andere Fälle von rechter Gewalt in dem Berliner Bezirk.
Einige Hunderte Demonstrant:innen versammelten sich ab dem Nachmittag
auf dem Vorplatz des Bahnhofs Lichtenberg. Aufgerufen hatten dazu mehrere
antifaschistische Gruppen, darunter die „North East Antifa“ (NEA) und die
Silvio-Meier-Gedenk-AG.
In den vergangenen Jahren gab es immer wieder antifaschistische
Demonstrationen im Lichtenberger Weitlingkiez, der Gegend rund um den
Bahnhof, die Anfang der neunziger Jahre eine Hochburg der Berliner
Neonazi-Szene gewesen ist. Der Bahnhofsvorplatz wurde Anfang dieses Jahres
nach Botnari benannt, ein Ergebnis jahrelangen Engagements
zivilgesellschaftlicher Initiativen. Ein Wand-Graffiti erinnert an Botnari
und andere Opfer rechter Gewalt.
Die Lichtenberger FDP stellte sich gegen die Umbenennung eines Platzes.
Stefan Förster, ein Vertreter der in Lichtenberg vollkommen bedeutungslosen
neoliberalen Partei, durfte in der B.Z. ausführen: „So tragisch das
Geschehen auch ist: Sich illegal in Deutschland aufzuhalten und Straftaten
zu begehen ist keine Lebensleistung, die geehrt werden müsste.“
Umso wichtiger, dass ein Redner auf der Demonstration an den Grund von
Botnaris Tod erinnerte: Der sei „Hass auf Armut“ gewesen: „Er musste
sterben, weil er nicht den herrschenden Vorstellungen von Nützlichkeit
entsprach“, sagte der Redner. Ein weiteres Beispiel für rechte Gewalt gegen
arme Menschen, ebenfalls aus Lichtenberg: 1999 wurde hier der 38-jährige
Kurt Schneider von vier Neonazis verfolgt, misshandelt und mit
Messerstichen getötet.
Dass Rechtsextremismus im Kiez weiter präsent ist, wurde auch auf der
Demonstration deutlich: Vom Lautsprecherwagen aus wurde auf Orte
hingewiesen, an denen es erst kürzlich zu rechter Gewalt gekommen ist,
ebenso auf nach wie vor bestehende Treffpunkte von Neonazis.
## Der Mutter ins Gesicht geschlagen
Ein Beispiel: Auf dem Spielplatz an der Sophienstraße wurde erst Anfang
November ein kleines Kind von einem erwachsenen Mann rassistisch beleidigt,
während es spielte. Als die Mutter des Kindes intervenierte, schlug der
Mann sie ins Gesicht – so die Schilderung in einer Polizeimeldung. Nicht
weit entfernt hatte „Der Dritte Weg“ noch kurz vor der Antifa-Demo einen
Wahlkampfstand vor einem Supermarkt bezogen.
Wenige Meter weiter das nächste Beispiel: Ein Lokal wirbt zu Ostern mit
„Weihnachten statt Ramadan“, was im Weitlingkiez bekannt ist und auch auf
der Demonstration thematisiert wurde. Dass Weihnachten und Ostern zwei
unterschiedliche Feiertage sind, dass an Ostern traditionell keine Ente
gegessen wird – geschenkt.
Beim Zug durch die Margaretenstraße wenige Meter weiter passierten die
Demonstrierenden die rechte Szenekneipe „Sturgis“, seit Jahren ein
einschlägiger Treffpunkt. 2009 attackierten Neonazis aus dem „Sturgis“
Teilnehmende eines Kiezspaziergangs der Bezirksverordnetenversammlung. Bis
heute treffen sich in dem Lokal Neonazis.
Einer, der das „Sturgis“ sehr gut kennen dürfte, begleitete die Antifa-Demo
besonders akribisch: der Neonazi-Streamer Sebastian Schmidtke. Der 1985
geborene Rechtsextremist gehörte mehrere Jahre dem „Nationalen Widerstand
Berlin“ an und ist langjähriges Mitglied der NPD, heute „Die Heimat“. Die
Stadt Braunschweig untersagte ihm den Besitz jeglicher Waffen; das
Verwaltungsgericht bestätigte dies im Mai 2025. Dass Schmidtke, der nicht
einmal in Berlin wohnt, linke Veranstaltungen pseudojournalistisch
begleitet, ist inzwischen Demo-Normalität in der Hauptstadt.
## Mehr Angriffe, mehr Bedrohungen
Der Halbjahresbericht des Lichtenberger Registers verdeutlicht die aktuelle
Bedrohungslage: 476 rechte Vorfälle bis Ende Juni – fast doppelt so viele
wie im Vorjahr. Die Zahl der Angriffe stieg von 7 auf 19, Bedrohungen und
Pöbeleien von 30 auf 56 Fälle.
Besonders betroffen sind Menschen, die sich gegen rechts engagieren.
[1][Der Linken-Politiker Lasko Schleunung wurde mehrfach attackiert], nach
einem der Übergriffe musste er mit Gehirnerschütterung ins Krankenhaus.
Diese Entwicklungen führten zu Debatten in der Bezirkspolitik. Trotz der
Geschichte des Bezirks spielt die CDU-Fraktion das Problem herunter:
Fraktionschef Benjamin Hudler zeigte sich „erschrocken, was für ein
Narrativ über unsere Heimat erzählt wird. Als ob hier Schlägertrupps durch
die Straßen ziehen“, sagte er im Juni in einer Sitzung des
Bezirksparlaments.
Nur eine Woche später zog der rechte Schlägertrupp „Deutsche Jugend voran“
DJV durch das benachbarte Marzahn und griff Teilnehmende einer CSD-Parade
an.
Was den jungen Linken-Politiker Lasko Schleunung angeht, gibt es immerhin
eine gute Nachricht: Einer der Täter, die ihn in den vergangenen Monaten
attackiert hatten, sei vor kurzem gefasst worden, erzählte er dem
taz-Reporter am Rande der Demonstration in Lichtenberg. Er habe ihn
zufällig getroffen und wiedererkannt – genau hier, am Bahnhof Lichtenberg.
23 Nov 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Linkenpolitiker-niedergeschlagen/!6088475
## AUTOREN
(DIR) Dominik Lenze
## TAGS
(DIR) Berlin-Lichtenberg
(DIR) Neonazi
(DIR) Opfer rechter Gewalt
(DIR) Social-Auswahl
(DIR) talkshow
(DIR) Schwerpunkt Neonazis
(DIR) Schwerpunkt Antifa
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Schlagkräftige Linke: Schlichtweg Gewalt
Der Rechtsruck, das ist die gesamte Gesellschaft. Zunehmend auch die
gesellschaftliche Linke. Braucht es da etwa auch eine Brandmauer?
(DIR) Preis für Engagement gegen Neonazis: Spremberg hält dagegen – und bekommt Auszeichnung
Bürgermeisterin Christine Herntier und zwei Initiativen aus Spremberg
erhalten einen Zivilcourage-Preis. Sie engagieren sich gegen
Rechtsextremismus.
(DIR) Antifaschistische Aktionen: Silvio gedenken, Nazis bekämpfen
Vor 32 Jahren wurde Silvio Meier ermordet. Für Antifas ist das dieses Jahr
Anlass, gegen Nazis vom „Dritten Weg“ in Pankow zu demonstrieren.