# taz.de -- Micha Brumlik über die Asylrechtsdebatte: Schreibtischtäter
       
       > Politiker aller Parteien, die die Asyldebatte führten und führen, sind
       > für die drei Toten von Mölln mitverantwortlich.
       
 (IMG) Bild: Das von Neonazis angezündete Haus, in dem drei Geflüchtete durch die Flammen starben
       
       Dieser Text erschien erstmals am 30.11.1992 in der taz. Wir haben ihn aus
       Anlass des Todes von Micha Brumlik erneut publiziert. 
       
       In Mölln wurde ein Brandanschlag verübt. In Mölln starb angeblich im Jahr
       1350 der Schalk Till Eulenspiegel an der Pest. In seiner Gestalt verbinden
       sich ungebremster Hohn, antibürgerliches Ressentiment und die eigentümliche
       Lust an der Erniedrigung anderer zu einem brisanten Gemisch. Diesem Geist,
       wahrscheinlich von einem Trupp Neonazis exekutiert, sind drei Menschen zum
       Opfer gefallen.
       
       Wer vor solchen Ereignissen gewarnt hat, wurde bisher belächelt oder der
       Hysterie geziehen. Dennoch sind der hilflosen Sehnsucht nach der Mitte und
       einem nur noch als kontraphobisch einzustufenden „Antialarmismus“ zum Trotz
       – schon der historischen Redlichkeit wegen – einige Klarstellungen
       unerläßlich. Das Gedenken, das zumal im November oft genug zur rituellen
       Hülle verkommen ist, fordert heute und im Blick auf die Zukunft
       Genauigkeit. Daher:
       
       Erstens sind heute Politiker aller Parteien, die die Asyldebatte führten
       und führen, in genau dem Sinne, in dem einst die Hetzjournalisten der
       Bild-Zeitung am Attentat auf Rudi Dutschke schuld waren, für die Toten von
       Mölln verantwortlich.
       
       Zweitens: Wenn jemals der Begriff „Schreibtischtäter“ in der Geschichte
       Westdeutschlands auf eine Person zutrifft, dann auf den heutigen
       Verteidigungsminister Volker Rühe, der im September 1991 als
       CDU-Generalsekretär mit einem Asyldebattenerlaß die Lawine der Gewalt
       losgetreten hat.
       
       Drittens: Daß Helmut Kohl und Björn Engholm [1][die Trauerfeier in der
       türkischen Moschee zu Hamburg] mieden, ist ein Skandal eigenen Ranges.
       Politik besteht auch in symbolischen Handlungen – die Solidarität der
       Menschen untereinander angesichts des Todes muß, wenn sie denn ernst
       gemeint ist, auch öffentlich und feierlich gezeigt werden. Genau genommen
       hätte es der Bundesregierung, wenn sie das, wofür sie in Berlin vergeblich
       demonstriert hat, ernst meinte, angestanden, [2][Bahide Arslan] sowie den
       beiden Mädchen Ayshe und Yeliz einen Staatsakt auszurichten.
       
       Wer sich verteidigt, so heißt es, klagt sich an – wer einem Begräbnis
       fernbleibt, deutet auf sich. Helmut Kohl und Björn Engholm aber waren bei
       der Trauerfeier in Hamburg nicht zugegen. Diese Unterlassung wird auch
       nicht dadurch getilgt, daß Engholm mit ein paar Politikern Tage zuvor den
       Gatten der verbrannten türkischen Frau besuchte. Bei Trauerfällen ist es in
       der politischen Klasse allemal üblich, Terminpläne umzudisponieren.
       
       So bleibt schließlich festzustellen, daß die „Herstellung der inneren
       Souveränität“ – wie etwa Udo Knapp die Asyldebatte zu nennen beliebt – in
       diesem Jahr bisher sechzehn Menschenleben gefordert hat und daß die Urkunde
       der großen Koalition, die jetzt geschrieben wird, mit der Asche dreier
       toter Türkinnen besiegelt ist.
       
       „Und wenn ein Fremdling/Als Gast im Haus einkehrt/Grüße man ihn mit
       Ehrfurcht…“, heißt es in der Tragödie „Die Eumeniden“ – des Dichters
       Aischylos Beitrag zur Gründungsproblematik von Staatswesen. Anders aber als
       das Athen der Tragödie ist der neue deutsche Staat zu einem Akt der
       Versöhnung nicht in der Lage.
       
       11 Nov 2025
       
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