# taz.de -- Parlamentswahlen im Irak: Frustriert von Korruption und Missmanagement
> Der Irak wählt ein neues Parlament. Viele im Land sind unzufrieden und
> boykottieren die Wahlen, einige sehen darin die einzige Chance auf
> Veränderung.
(IMG) Bild: Wähler*innen in einem Wahllokal in Bagdad
Im grünen Kleid kommt die 23-jährige Zeinab Nadham aus einer Schule im
Stadtteil Karada in Bagdad. Die Schule ist zum Wahllokal umfunktioniert,
gerade hat die Studentin ihr Kreuz gesetzt. „Wahlen sind nötig, um
Ergebnisse zu sehen“, sagt sie der taz. „Wenn Leute die Wahlen
boykottieren, bekommen sie auch nicht ihr gewünschtes Ergebnis.“ Sie selbst
studiert noch, betont aber, dass es viele Arbeitslose gebe, die dringend
Arbeit bräuchten. Beide ihrer Brüder suchten nach Jobs.
[1][Am Dienstag wählen die Iraker*innen ein neues Parlament]. Von den
Bürger*innen sind 21 Millionen wahlberechtigt. Über 7.500 Namen stehen
auf dem Wahlzettel, organisiert in 38 Parteien, 31 Koalitionen aus
Kleinparteien sowie 70 unabhängige Kandidat*innen.
Der Irak hat zahlreiche Krisen: Eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, akuten
Wassermangel durch die Klimakrise, außerstaatliche, bewaffnete Gruppen mit
Einfluss auf die Politik, Korruption im öffentlichen Sektor.
Gegen das Missmanagement [2][gingen vor sechs Jahren Massen auf die
Straße]. Sie forderten ausreichende Wasser- und Stromversorgung,
Arbeitsplätze und Reformen des öffentlichen Sektors, der von Korruption
durchzogen ist. Mit der Coronapandemie endeten die Proteste – ohne
sichtliche Veränderungen.
## Kapital und Korruption zerfressen Demokratie
Bei den darauffolgenden Wahlen im Jahr 2021 hatten nur 41 Prozent der
Wahlberechtigten ihr Wahlrecht genutzt. Dieses Jahr hat die Wahlkommission
rund 3 Millionen neue Wahlkarten ausgegeben. Doch viele Menschen im Irak
sind frustriert. Sie haben zwar ein demokratisches System, doch das ist
gelenkt von Kapitalinteressen und zerfressen von Korruption.
„Ich gehe nicht wählen“, sagte die 28-jährige Sally Moon der taz vor den
Wahlen. „Keiner der Kandidaten verdient unsere Stimme. Sie kennen den
Alltag der Menschen und ihre Probleme nicht“. Die Politiker, so die
Musikerin, wohnten abgeschirmt von der Bevölkerung in einem schicken
Viertel.
„Korruption kann nur mit echter Demokratie bekämpft werden“, entgegnet Esra
Abdul Jabar vor dem Wahllokal auf die Ansicht, dass insbesondere jüngere
Menschen die Wahlen aufgrund von Korruption meiden. „Wahre Demokratie kommt
weder durch das Schwert noch durch Ausgrenzung zustande, sondern nur durch
Wahlen und die Freiheit, die kompetenteste und optimale Person zu wählen.“
Die 45-Jährige arbeitet in einem kulturellen Zentrum. Als wichtigste Themen
sieht sie die „Stabilität und Sicherheit“ des Landes und die „Wahrung aller
Rechte“, der religiösen Minderheiten sowie der schiitischen Mehrheit. Ihnen
sei „schweres Unrecht“ zugefügt worden, „da sie Opfer von Vertreibung und
Tötung waren. Ich möchte nicht, dass sich diese Erfahrung wiederholt.“
## Konfessionelle Streitigkeiten
Unter Diktator Saddam Hussein wurden vor allem Schiiten unterdrückt,
gefoltert und ermordet. Schiitische Milizen hatten ab 2014 gegen den IS
gekämpft. Sie gründeten Parteien und sind nun im Parlament stark vertreten.
Doch der einflussreichste schiitische Anführer, Muqtada al-Sadr,
boykottiert die Wahlen – und mit ihm seine Anhängerschaft, die auf
Hunderttausende geschätzt wird.
Heute regelt im Irak ein Quotensystem die Machtverteilung: Das mächtigste
Amt des Ministerpräsidenten geht immer an einen Schiiten. Ein Sunnit wird
Parlamentspräsident, [3][ein Kurde] bekommt das repräsentative
Präsidentenamt.
Der Block von Ministerpräsident Mohammed Schia al-Sudani wird
voraussichtlich die meisten Sitze gewinnen, damit wohl aber keine absolute
Mehrheit erreichen. Folge könnte ein politischer Stillstand sein mit
monatelangen Konsultationsgesprächen.
Konfessionelle Politik spiele in jeder Wahl seit 2005 eine Rolle, erklärt
Alaa Hamed vom Politik-Forschungscenter Rewaq Baghdad. „Aber bei diesen
Wahlen sieht es etwas anders aus: Konfessionalismus wird nicht offensiv
beworben.“
Geld spielt bei den Wahlen eine große Rolle: Parteien haben im Jahr 2021
schätzungsweise mehr als 200 Millionen Euro für Wahlkampffinanzierung
ausgegeben. Der Kauf von Wählerstimmen ist auch ein Problem. Staatliche
Arbeitsplätze und die Vergabe von Land werden genutzt, um Loyalität zu
erkaufen. Geld und Klasse zählten dabei mehr als religiöse Zugehörigkeit,
so Hamed: „Es sind zwar konfessionelle Gruppen, die Arbeitsplätze schaffen
oder Dienstleistungen erbringen. Doch ob sunnitische oder schiitische
Gruppen – es gibt dabei immer eine Form der Zusammenarbeit.“
11 Nov 2025
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## AUTOREN
(DIR) Julia Neumann
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