# taz.de -- 1.351 Tage Krieg in der Ukraine: Solidarische Landwirtschaft auf Ukrainisch
       
       > Die „Deokkupations-Tafel“ in Charkiw unterstützt Kleinbauern aus ehemals
       > besetzten Gebieten beim Gemüseanbau. Die Front ist nur 15 Kilometer
       > entfernt.
       
 (IMG) Bild: Meriam Yol aus Charkiw an der Verkaufstheke der „Deokkupations-Tafel“
       
       „Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich mir überhaupt nicht hätte
       vorstellen können, mal so viel über Gemüseanbau zu wissen“, sagt Meriam
       Yol. Die Videoproduzentin aus Charkiw steht hinter der Theke eines kleinen
       Ladens [1][im „Siebten Lager“, einem der beliebtesten Orte der jungen
       Kulturszene].
       
       Auf der Theke liegen frisches Gemüse, verschiedene Käsesorten und
       selbstgemachtes Kräutersalz. Die Nachfrage nach diesen Produkten ist hoch –
       und das nicht nur, weil es sich um hochwertige landwirtschaftliche
       Erzeugnisse handelt. Das Besondere an ihnen ist, dass sie aus ehemals
       russisch besetzten Gebieten kommen, die im Zuge der ukrainischen
       Gegenoffensive im September 2022 befreit wurden.
       
       Die Initiative „Deokkupations-Tafel“ versucht, die Einwohner dieser Dörfer
       zu unterstützen, die auch drei Jahre nach dem Ende der Besetzung unter den
       Folgen leiden. Während nur 15 Kilometer entfernt weiterhin gekämpft wird.
       
       ## Russische Besetzung zerstört die Lebensgrundlage
       
       Die Bewohner des Dorfes Studenok an der Grenze zum Gebiet Donezk arbeiteten
       jahrzehntelang in der nahegelegenen Kurstadt Swjatohirsk. Infolge der
       Besetzung verloren die meisten ihre Arbeit in den Pensionen. Aber auch ihre
       Gewächshäuser und den Zugang zu den verminten Gärten. Die Verteuerung der
       Transportkosten und die Abwanderung der Bevölkerung machten den Gartenbau
       unrentabel.
       
       „Nach der Befreiung haben wir den Menschen dort die notwendigsten Dinge
       gebracht. Aber wir haben schnell kapiert, dass es wichtiger ist, ihnen
       dabei zu helfen, sich wieder selbst zu versorgen“, erklärt Yol. Mit der
       Unterstützung einer Reihe von Partnern hat die Initiative Saatgut und
       Gewächshäuser angeschafft, in denen die Dorfbewohner bereits im zweiten
       Jahr Tomaten, Paprika und anderes Gemüse für den Verkauf anbauen.
       
       Wöchentlich bringen sie es nach Charkiw, wo es die Städter kaufen können
       und damit gleichzeitig den Bauern helfen, das so dringend benötigte Geld zu
       verdienen. Ein Teil wird an die besten Restaurants der Stadt geliefert.
       
       Die Fahrt aufs Dorf dauert drei Stunden, an Checkpoints vorbei, durch
       völlig zerstörte Dörfer und entlang einer kilometerlangen
       Panzerabwehrlinie, die sich durch die Steppe zieht.
       
       ## Wenn ein Ofen unabhängig macht
       
       „Meine Familie lebt hier seit Generationen“, erzählt Yuliia Kortschma,
       während Kisten mit Gemüse und Kräutern in einen Kleinbus geladen werden. Im
       Gewächshaus, inmitten eines grünen Dschungels, zeigt sie einen Ofen, mit
       dem man auch im Herbst und Winter die benötigte Wärme erzeugen kann.
       
       Nach der Befreiung begannen Yuliia und andere Dorfbewohner, die Hausgärten
       auf eigenes Risiko wieder in Betrieb zu nehmen. Auf vielen Feldern sind
       allerdings noch Minen, die das russische Militär hier einsetzte und die man
       im Gras nur schwer findet. „Du kannst hundertmal einen Weg entlanggehen und
       trotzdem beim nächsten Mal auf einer Mine treten“, erklärt Marija
       Kortschma, eine andere Dorfbewohnerin, während sie ihre drei Kühe tränkt.
       
       Unter solchen Bedingungen sind Gewächshäuser besonders wichtig. Marija
       verwirklicht sich damit aber auch einen lang gehegten Traum. Mithilfe von
       YouTube und Mitgliedern der Initiative erweitert sie ihr Gartenwissen.
       
       ## Fluchtgepäck steht bereit
       
       Die täglichen Explosionen, die von der Front zu hören sind, sorgen für
       ständige Unruhe. „Die Jungs sagen, dass sie die Russen nicht aufhalten
       können. Deshalb haben wir unser Fluchtgepäck gepackt“, sagt Yuliia traurig.
       
       Gleichzeitig hilft die Unterstützung aus [2][Charkiw], von der Zukunft zu
       träumen. „Dieses Jahr habe ich zum ersten Mal Süßkartoffeln angebaut.
       Nächstes Jahr versuche ich es mit Spargel“, erzählt Marija, deren zwei
       Söhne an der Front sind.
       
       „Es sind so viele, die bei uns mitmachen. Das ist echt motivierend“ sagt
       Meriam Yol. Aber es macht sie auch traurig, dass Menschen aufgrund des
       erneuten russischen Vormarsches jetzt bereits zum zweiten Mal ihre Häuser
       verlassen müssen. „Auch ich will Charkiw nicht verlassen und verstehe alle,
       die trotz der Gefahr nicht gehen wollen“, sagt die Freiwillige. „Aber
       solange ich hier bin, kann ich auch etwas Sinnvolles tun.“
       
       Aus dem Ukrainischen Gaby Coldewey
       
       5 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.instagram.com/7sklad
 (DIR) [2] /Krieg-in-der-Ukraine/!6093343
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rostyslav Averchuk
       
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