# taz.de -- Brennende Manuskripte: Wenn das Singen auf der Straße verboten wird …
> Zensur hat jahrzehntelang das Leben von Autoren, Lesern und Zuschauer
> vergiftet. Auch unter Putin wird sie zunehmen. Und damit der Widerstand.
(IMG) Bild: „Die Ursache meiner Krankheit ist die jahrelange Hetze und dann das Schweigen“, schrieb der Autor Mikhail Bulgakow, hier 1920
Es gibt eine „tröstliche“ Formel, die man gern nach Woland in Bulgakows
„Meister und Margarita“ zitiert: „Manuskripte brennen nicht.“ Doch wird sie
manchmal gebraucht, um die Verantwortung von denen abzuwälzen, die diese
Manuskripte vernichteten und ihre Autoren verfolgten. „Was wollt ihr
denn?“, heißt es dann. „Die Manuskripte sind doch nicht verbrannt!“
[1][Bulgakow] aber wusste sehr wohl, was ein Zensurverbot für einen
Schriftsteller bedeutet: „Die Ursache meiner Krankheit ist die jahrelange
Hetze und dann das Schweigen“, schrieb er verzweifelt in einem Brief an die
Behörden. Manuskripte „brennen“ nicht nur dann, wenn ihre Autoren physisch
vernichtet werden – wie es in der Zeit der [2][Massenterrors] geschah. Auch
jene, die überlebten, bezahlten einen hohen Preis: Ihr Leben wurde
vergiftet durch den ständigen Kampf mit der Zensur.
Die [3][Bolschewiki] führten Zensur sofort nach der Machtergreifung ein.
Sie beriefen sich dabei auf den Bürgerkrieg. Doch auch nach dessen Ende
erklärte Lenin, dass Pressefreiheit für die neue Macht ein Selbstmord sei –
und so erfasste die Zensur immer mehr Bereiche. Ihre Funktion war die
Einschüchterung der Autoren. Man musste von Anfang an darüber nachdenken,
was die Zensur durchlassen würde.
## Bolschewiki trieben die Zensur auf die Spitze
In ihrem Eifer, „Schädlinge“ zu entdecken, trieb die Zensur die Absurdität
auf die Spitze. Zensoren hielten Zeitungen gegen das Licht, betrachteten
mit der Lupe Briefmarken – und fanden natürlich Verdächtiges. Mal glaubte
man, auf der Streichholzschachtel das Porträt Trotzkis zu erkennen, mal auf
einer Briefmarke ein Hakenkreuz.
Nach [4][Stalins Tod] lockerte sich der Griff der Zensur etwas. Doch auch
dann wurden jene verfolgt, die in den Augen der Zensoren an den
ideologischen Grundlagen rührten. So erging es dem beschlagnahmten
[5][Manuskript von Wassili Grossmans Roman „Leben und Schicksal“] oder den
Filmen, die „auf das Regal“ gelegt wurden.
Die Zensur wachte über die Informationen, die durch den Eisernen Vorhang zu
sickern drohten. Westliche Radiosender wurden gestört, Untergrundliteratur
verfolgt. In der stalinistischen Zeit war der oberste Zensor oft Stalin,
der das, was ihm besonders wichtig erschien, selbst redigierte. Doch auch
1962 konnte die Entscheidung, Solschenizyns „Ein Tag im Leben des Iwan
Denissowitsch“ zu veröffentlichen –[6][das Thema Gulag] zuzulassen –, nur
von Chruschtschow selbst getroffen werden.
[7][Die Zensur vergiftete nicht nur das Leben der Autoren] – Leser und
Zuschauer wurden über Jahrzehnte hinweg der Möglichkeit beraubt, zu lesen
und zu schauen, was für sie geschaffen worden war, aktuell, aufrüttelnd
war. Das Verbot nicht nur einzelner Werke, sondern ganzer künstlerischer
Richtungen führte zu einem allgemeinen kulturellen Niedergang.
## Perestroika bannte die Macht der Zensur
Kein Zufall also, dass Perestroika mit Glasnost, mit der Offenheit, begann.
Das zerstörte nicht nur die Zensur, sondern auch die Macht, die sie
hervorgebracht hatte.
[8][In Putins Russland] ist seit Beginn des Krieges die Zensur mehrmals
verschärft worden. Schon das Wort „Krieg“ ist verboten und durch „spezielle
militärische Operation“ ersetzt.
Namen von Autoren werden gelöscht; der Staat blockiert das Internet.
Strafverfahren entstehen wegen eines Links, einer Geste gegen den Krieg,
eines Straßenliedes. Das Regime wird die Zensur weiter verschärfen – daran
habe ich keinen Zweifel. Aber ebenso sicher ist: Der Kampf gegen die Zensur
bleibt ein wesentlicher Teil des Widerstands.
5 Nov 2025
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## AUTOREN
(DIR) Irina Scherbakowa
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