# taz.de -- Gastgeber Mexiko City vor der Fußball-WM: Illusion vom Glück
> Die nahende WM verschärft rund um das Aztekenstadion die Gentrifizierung
> und sorgt für Wasserknappheit. Damit hat eine mächtige Fußballfamilie zu
> tun.
(IMG) Bild: Damals noch vorfreudig: mexikanische Fans bei der WM in Katar 2022
Es ist das Jahr 2021, als Natalia Lara und ihre Nachbar:innen erstmals
Veränderungen rund ums Aztekenstadion in Mexiko-Stadt beobachten. Natalia
Lara hat immer im Schatten dieses gigantischen Stadions gelebt. Ihr Viertel
Santa Úrsula Coapa ist ein Arbeiterviertel mit einem hohen Anteil an
indigener Bevölkerung, das systematisch vernachlässigt werde, sagt die
Anwältin. Aber im Vorfeld der Männer-WM 2026 sei plötzlich Bewegung
entstanden. „Investoren kommen nach Santa Úrsula. Auf Werbetafeln steht:
Kauft hier und profitiert von der WM. Die Architektur verändert sich. Viele
unserer Häuser sind selbstgebaut, von zugewanderten Familien in den 1960ern
und 1970ern. Und jetzt errichten sie riesige Gebäude mit Luxus und
Dachgarten.“
Auch ein neues siebenstöckiges Hotel, ein gigantisches Parkhaus und eine
Shopping-Mall waren offiziell angekündigt, ihr Bau wurde aber nun auf
unbestimmte Zeit verschoben. „Sie geben uns keine Informationen, weil sie
Angst haben, dass Leute demonstrieren“, glaubt Lara. Demonstrationen gibt
es trotzdem.
Rund ein halbes Jahr vor WM-Beginn sind die Sorgen vor weiterer
Gentrifizierung vor allem in der Hauptstadt Mexiko-Stadt groß, wo fünf
Partien stattfinden, inklusive des Eröffnungsspiels. Die
Gentrifizierungsdebatte läuft hier seit Jahren und hat sich nochmal
verschärft, seit die Stadt Mexiko 2022 [1][ein Abkommen mit Airbnb] und der
Unesco unterzeichnete, um sich als „globalen Hub für digitale Nomaden“ zu
vermarkten. Seither werden hippe Viertel vor allem von US-Bürger:innen
gentrifiziert, was regelmäßig zu Protesten führt.
Allein im Viertel Condesa ist schätzungsweise eines von fünf Häusern in
touristischer Hand. Das verschärft einen ohnehin bestehenden Trend: Nach
Angaben des Bündnisses Frente Anti Gentrificación Mx sind die
Wohnraumkosten in Mexiko zwischen 2005 und 2025 um 286 Prozent gestiegen,
die Reallöhne dagegen um 33 Prozent gesunken. Airbnb freut sich auf die WM:
380.000 Gäste erwartet man länderübergreifend. Der mexikanische
Fußballverband rechnet mit 5,5 Millionen zusätzlichen Tourist:innen in
Mexiko und Einnahmen von 3 Milliarden US-Dollar. Doch an wen gehen die?
## Keine WM-Begeisterung in Mexiko
Jedenfalls nicht an Menschen in Santa Úrsula Coapa, glauben Natalia Lara
und ihre Mitstreiter:innen. „Ich bin gegen die WM, und wir haben hier keine
großen Illusionen über sie. Die Fifa ist wie eine Waschmaschine:
Großkonzerne stecken eine Investition rein und nachher ist ihr T-Shirt
sauber und hat noch mehr Wert. Es gibt keinen Nutzen für die Menschen,
sondern für den Markt.“ In ausländischen Medien wird das fußballbegeisterte
Mexiko gern als euphorisierter WM-Gastgeber beschrieben. Befragungen
belegen das nicht.
Ein Jahr vor dem Turnier gaben in einer Umfrage der Tageszeitung El
Financiero 64 Prozent der Befragten an, sie hätten wenig oder kein
Interesse an der WM. In einer Befragung im Heraldo de México erklärten 89
Prozent, keine WM-Tickets kaufen zu wollen. Die Begeisterung kann noch
kommen: Ein Jahr vor der Männer-EM in Deutschland war die Stimmung auch am
Boden und nach dem Turnier konnte man diese zumindest als versöhnlich
beschreiben. Doch momentan scheinen viele Mexikaner:innen nicht wild
aufs Turnier.
Lara glaubt, das liege auch daran, dass die Gesellschaft gerade mit
wichtigeren Problemen beschäftigt sei. „Wir haben eine Menschenrechtskrise,
wir müssen [2][die Probleme mit den Drogenkartellen] lösen, mit den
Verschwundenen. Die Aufmerksamkeit liegt woanders. Die WM ist nur eine
Illusion des Glücklichseins.“ Außerdem sei ein Dreiländerturnier weniger
spürbar im einzelnen Land und werde geringer beworben.
Die Anwältin und rund 80 andere Engagierte aus ihrem Viertel befürchten,
dass diese fünf Partien ihr Leben dennoch stark verändern werden. Seit 2021
demonstrieren sie gegen die Bauprojekte rund um das Aztekenstadion, machen
Straßenblockaden, sprechen mit Lokalpolitiker:innen, verlangen
Informationen und Studien. Dabei fanden sie etwas anderes heraus: die Sache
mit dem Wasser. Und die führt zu einer der mächtigsten Familien im
mexikanischen Fußball.
## Fußballfamilie im Wassergeschäft
Seit 2019 hält [3][das mexikanische Medienunternehmen Televisa] eine
Konzession für einen Brunnen in Stadionnähe. 450.000 Kubikmeter Wasser darf
es jährlich entnehmen, erfuhren die Bürger:innen, in einem Viertel, wo
ohnehin Wassermangel herrscht. Laut Lara gebe es an drei oder vier Tagen
pro Woche kein Wasser in Santa Úrsula Coapa. Auch seien zwei öffentliche
Brunnen durch die übermäßige Wasserentnahme und Vertiefung von Televisas
Brunnen ausgetrocknet. Mittlerweile gehe das Wasser aus dem Brunnen zwar
wieder an die Anwohner:innen, doch er bleibe privatisiert.
Televisa ist nicht irgendein Unternehmen. Der Medienkonzern ist einer der
größten in Lateinamerika und wurde gegründet von der Familie Azcárraga, die
immer noch den höchsten Anteil daran hält. Die Azcárragas, eine der
einflussreichsten Familien Mexikos, haben ein Spinnennetz durch den
mexikanischen Fußball gezogen. Sie liefern die Sportübertragungen bei
Televisa, auch für die WM hat sich der Sender die Rechte auf alle Spiele
gesichert. Sie lassen aber auch selbst mitkicken: Die Azcárragas besitzen
das Spitzenteam Club América.
Ihnen gehört auch eine prestigeträchtige Infrastruktur, das Aztekenstadion
– für die WM stecken die Azcárragas umgerechnet nach eigenen Angaben rund
47 Millionen Euro in dessen Renovierung. Zwischenzeitlich besaßen sie zudem
die kleineren Fußballklubs Club Necaxa und San Luis FC. Und
praktischerweise besitzen die Azcárragas auch gleich die Casinokette
PlayCity mit Sportwettenplattform, um das Geschäft mit dem Fußball
abzurunden. Interessenkonflikte? Ach was. Viele dieser Assets sind in der
Holding Ollamani gebündelt.
## Brunnen befristet im Privatbesitz
Die taz hat bei Ollamani nach der Wasserkonzession gefragt. Eine
Konzernsprecherin teilte mit, Televisa halte die Konzession nicht länger.
Die Holding Ollamani besitze jetzt das Aztekenstadion. Der Brunnen werde
seit April 2023 von der öffentlichen Wasserbehörde Sacmex betrieben. „Das
gesamte Volumen geht, soweit wir wissen, an die umliegenden Viertel.“
Letzteres stimmt. Aber die Konzession lässt sich online bei der staatlichen
Wasserverwaltung Conagua einsehen. Sie läuft auf Televisa.
Die Nachbarschaftsinitiative schildert, die aktuelle Regelung sei lediglich
eine Spende des Konzerns. Sie fordert, den Brunnen zurück in öffentlichen
Besitz zu überführen. Auf Rückfrage bestätigt eine Konzernsprecherin, dass
Televisa die Lizenz noch halte, jedoch, wie ein Rechtsdokument belegt, von
2023 bis 2027 das gesamte Wasser an die Stadt spende. Die Nachfragen seien
sinnlos, denn „2027 wird auch die Lizenz enden“. Das Wasser bleibe also
öffentlich.
Es gibt durchaus auch positive WM-Maßnahmen für Santa Úrsula Coapa. So
plant die Stadt eine neue Trolleybus-Linie, eine Modernisierung des ÖPNV,
einen Fahrradweg, eine umfangreiche Sanierung von Gebäudefassaden und
Gehwegen sowie den Bau von drei Wasserauffangstationen und einen
beleuchteten und überwachten Fußweg zum Schutz von Frauen. Doch werden sich
alle Bewohner:innen das Leben in einem so aufgewerteten Viertel leisten
können? Und hat man sie mit einbezogen? Das ist die Kritik von Rubén
Ramírez. Er ist eine indigene Autorität und lebt ebenfalls in Santa Úrsula
Coapa. Seit Generationen ist seine Familie vom großen Fußball betroffen:
Seine Großeltern waren eine der 500 Familien, die für den Bau des
Aztekenstadions vertrieben wurden.
## Abholzen für einen Dinosaurier-Themenpark
„Die letzten zwei WMs hatten keine Vorteile für die Bevölkerung, und diese
hier wird auch keine haben“, glaubt er. „Wir haben hier keinen Sportklub,
kein Gesundheitszentrum. Sie bauen jetzt immer mehr Einkaufszentren. Aber
Tausende Menschen hier leben als kleine Händler von der Hand in den Mund.
Die Zentren nehmen ihnen die Lebensgrundlage. Die Gemeinde ist sehr
beunruhigt.“
Auch seien nicht alle Projekte sinnvoll: So plant die Stadt einen
Dinosaurier-Themenpark – in einem Park, der die einzige grüne Lunge des
Viertels sei und wichtig für Flora und Fauna. „Für ein Event, das einen
Monat dauert, holzen sie Bäume ab und setzen hier Plastikfiguren hin, die
niemand instand halten wird. Warum? Für die Touristifizierung.“ Es fehle an
Untersuchungen zu den Folgen der Baumaßnahmen. Und an Kommunikation mit den
Anwohner:innen.
„Wir als indigenes Volk haben von der Verfassung zugesicherte Rechte, und
eines davon ist, dass sie uns vor solchen Projekten zu Rate ziehen müssen.
Aber rund ums Aztekenstadion haben sie uns nicht gefragt. Fünf
Fußballspiele werden die Leben von vielen Menschen verändern. Und das
können wir nicht zulassen.“
21 Nov 2025
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## AUTOREN
(DIR) Alina Schwermer
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