# taz.de -- Selenskyj unter Druck: In die Ecke getrieben
       
       > Der ukrainische Präsident Selenskyj steckt in einer tiefen politischen
       > Krise. Der nun vorgestellte „Friedensplan“ könnte für ihn und die Ukraine
       > kaum ungünstiger sein.
       
 (IMG) Bild: Präsident Selenskyj bei einem Pressetermin in Kyjiw im Oktober
       
       Es ist der größte Korruptionsskandal seit Beginn des russischen
       Angriffskriegs, der die Ukraine derzeit erschüttert. Die
       Antikorruptionsbehörden haben ausgerechnet einen Betrug in einem der
       wichtigsten strategischen Bereiche des Landes aufgedeckt: beim staatlichen
       Unternehmen Energoatom. Das ist zuständig für die Kernenergie und soll
       dafür sorgen, dass mehr als die Hälfte des Strombedarfs des Landes gedeckt
       ist.
       
       Laut den Ermittlungen des Nationalen Antikorruptionsbüros konnten sich die
       Mitglieder der kriminellen Gruppe um etwa 100 Millionen Dollar bereichern,
       indem sie 10 bis 15 Prozent von jedem Lieferantenvertrag, die die Aufträge
       von Energoatom erfüllten, für sich behielten.
       
       Der Kopf der Gruppe ist offenbar der Geschäftsmann [1][Timur Mindich.] Und
       dieser wiederum ist ein enger Freund und ehemaliger Showbusiness-Partner
       von Wolodymyr Selenskyj, dem ukrainischen Präsidenten. Alle Mitglieder des
       Korruptionsnetzwerks wurden festgenommen und es wird gegen sie ermittelt.
       
       Mindich konnte jedoch am Tag vor den Durchsuchungen legal das Land
       verlassen. Nach den Enthüllungen wurde nicht nur die Chefetage von
       Energoatom entlassen, sondern es traten auch zwei Minister zurück, die
       ebenfalls im Beweismaterial auftauchen.
       
       ## Druck von allen Seiten
       
       Das Ausmaß der Korruption im Energiesektor, der unter den russischen
       Angriffen am stärksten leidet, ist enorm. Immer mehr Stimmen fordern von
       Präsident Selenskyj nicht nur den Rücktritt aller Verantwortlichen und ihre
       gerechte Bestrafung, sondern auch einen Neustart der gesamten Regierung.
       Auch Abgeordnete aus der Präsidentenpartei „Diener des Volkes“ sind empört.
       Zum ersten Mal seit ihrer Wahl 2019 in die Werchowna Rada – das ukrainische
       Parlament – wollen etliche Abgeordnete der Partei, dass es umfassende
       Veränderungen in der Staatsführung gibt. Einige von ihnen fordern sogar den
       Rücktritt des Leiters des Präsidialamtes, Andrij Jermak. Jermak gilt als
       Schlüsselfigur der ukrainischen Staatsführung und soll derzeit die Prozesse
       im Land kontrollieren.
       
       Auch sein Name soll in den noch nicht veröffentlichten Korruptionsbeweisen
       auftauchen. Die Behörden bestätigen oder dementieren diese Information
       derzeit nicht. Die Abgeordneten der Partei „Diener des Volkes“, die
       gemeinsam mit der Opposition einen Neustart der Regierung fordern,
       schließen einen Austritt aus der Fraktion nicht aus, sollte der Präsident
       nicht schnell und ausreichend auf den Skandal reagieren. Treten vier
       Abgeordnete aus der Fraktion aus, würde dies das Ende der absoluten
       Mehrheit bedeuten.
       
       Politische Gegner machen Druck, die eigene Partei, die Medien und die
       Zivilgesellschaft – und fordern Jermaks Rücktritt. Doch Selenskyj wird den
       Leiter des Präsidialamtes nicht abberufen. Nun werden alle Anstrengungen
       unternommen, um die Abgeordneten in der Fraktion zu halten, die gegen diese
       Entscheidung sind. Solche Situationen kennt Selenskyj. Im Sommer gingen
       Tausende auf die Straße, als er per Gesetz der Generalstaatsanwaltschaft
       mehr Einfluss auf die Antikorruptionsbehörden ermöglichen wollte. Erst nach
       den Protesten lenkte er ein.
       
       ## Was heißt der „Friedensplan“ für die Ukraine?
       
       Selenskyjs innenpolitische Krise ist ein Problem. Sie [2][schwächt auch
       seine Position] im Kampf für einen gerechten Frieden für die Ukraine auf
       internationaler Ebene. Seit Monaten arbeiteten die USA und Russland an
       einem gemeinsamen [3][„Friedensplan“] für die Ukraine und haben diesen nun
       an Kyjiw übermittelt. Der 28-Punkte-Plan enthält nahezu alle
       Maximalforderungen, die der russische Präsident Wladimir Putin wiederholt
       geäußert hat. [4][Für die Ukraine bedeutet die Liste eher die Kapitulation]
       als einen dauerhaften und gerechten Frieden.
       
       Darüber hinaus enthält der Plan zahlreiche Punkte, die die wirtschaftliche
       und politische Zusammenarbeit mit Russland betreffen – auf Kosten der
       Ukraine und Europas. US-Präsident Trump hat Selenskyj offenbar eine Frist
       bis zum 27. November gesetzt, um die Vereinbarung zu akzeptieren. Und
       Europa? Kanzler Merz, Frankreichs Präsident Macron und der britische
       Premier Starmer stehen Selenskyj immerhin beratend zur Seite.
       
       22 Nov 2025
       
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