# taz.de -- Anleitung gegen den Autoritarismus: Demokratische Manieren
       
       > Rechtsextreme dominieren den Diskurs und verkaufen sich als demokratische
       > Erneuerung. Dagegen hilft eine positive, selbstbewusste Idee von
       > Demokratie.
       
 (IMG) Bild: Tausende protestieren auf der AfD-Verbot-Demonstration in Berlin, am 11. Mai 2025
       
       Der völkische Nationalismus und der Geist des Autoritarismus sind im
       Aufwind, und Parteien wie die [1][AfD] gewinnen an Boden. Aber, das sollte
       man auch stets betonen: Die Mehrheit lehnt den Rechtsextremismus ab.
       Dennoch dreht sich alles um die rechtsradikale Minderheit. Die
       Sozialpsychologie spricht von der „Mehrheitsillusion“, wenn Auffassungen
       von Minderheiten als dominant erscheinen, nur weil sie übermäßig
       repräsentiert sind.
       
       Aber wie dagegenhalten? Erst einmal, indem man präzise ist. Ich habe sehr
       genau die 1.100-Seiten des [2][Verfassungsschutz-Gutachtens über die
       „Alternative für Deutschland“] gelesen, in dem der Ultrarechtspartei eine
       „rechtsextremistische Bestrebung“ attestiert wird. Dass die AfD eine
       rechtsextremistische Partei ist, ist kein besonders schwer zu beweisender
       Sachverhalt. Die Frage ist eher: Reicht das Gesamtbild für ein [3][Verbot?]
       
       Die Verfassungsschützer argumentieren damit, dass die AfD gegen das
       Menschenwürdeprinzip verstoße, weil sie von zwei Klassen an Staatsbürgern
       ausgeht, den autochthonen und jenen mit Migrationshintergrund. Wenn sie
       könnte, würde sie diese nach einem Apartheitprinzip sogar rechtlich
       unterschiedlich behandeln. Unzählige Parteifunktionäre sagen das auch ganz
       unverhohlen. Außerdem sieht die AfD die einen einfach als die echten
       Deutschen, die anderen können tun, was sie wollen, sie werden nie ganz
       echt. Indiz dafür ist der Gebrauch von Begriffen wie „Passdeutsche“ und
       „Biodeutsche“. Andererseits: Machen das nicht auch andere, nicht nur
       Rechtsradikale? Sogar Migra-Aktivisten sprechen von „Biodeutschen“, nur
       eben nicht affirmativ, sondern sarkastisch, von „Kartoffeln“, also den
       „deutschen Deutschen“, irgendwie doof, ohne hybride Identitäten, und
       deshalb beschränkt.
       
       Manchmal ist das Denken des Feindes unser eigenes Denken als
       seitenverkehrte Karikatur. Postulate der Identitätspolitik haben sich so
       verallgemeinert, dass fast alle in Kategorien von Identitätsmarkern denken.
       
       Erneuerer der Demokratie
       
       Sozial- und Meinungsforscher weisen auch darauf hin, dass die Parole
       „Demokratie verteidigen“ als Antwort auf den neuen Faschismus nicht so
       richtig verfängt. Sie ist zu abstrakt. Die Menschen sehen „die Demokratie“
       durch den Aufstieg eines neuen, rechten Autoritarismus nicht bedroht. Die
       Soziolog:innen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey sprechen in ihrem
       neuen Buch „Zerstörungslust“ sogar vom „demokratischen Faschismus“, womit
       gemeint ist, dass sich faschistische Fantasien der Härte und der Bestrafung
       in der Demokratie einnisten.
       
       Nun halte ich es nicht für eine überraschende Neuigkeit, dass der
       Faschismus in der Demokratie operiert, bis es ihm gelungen ist, diese
       abzuschaffen. Auffällig ist dagegen schon, dass sich die Autoritären heute
       selbst nicht als „antidemokratisch“ darstellen, sondern als [4][Erneuerer
       der Demokratie], sogar als die „echten Demokraten“, die den Wünschen der
       Mehrheit endlich wieder zum Durchbruch verhelfen, sei es gegen die
       angeblichen liberalen Eliten, sei es gegen linke Umerziehung. Das ist
       einerseits Propaganda, andererseits ihr echtes Weltbild. Früher waren die
       Faschisten stolz darauf, Faschisten zu sein, heute würde sich kaum ein
       Wähler der Ultrarechten selbst als Faschist sehen.
       
       Demokratie wird einfach als Mehrheitsprinzip verstanden – und das, wofür
       die Mehrheit votiert, soll durchgepeitscht werden. Wenn 51 Prozent den
       anderen 49 Prozent die Ohren langziehen, wäre das laut diesem beschränkten
       Demokratiebegriff, der von Minderheitenschutz oder Pluralismus noch nie
       etwas gehört hat, auch „Demokratie“.
       
       ## Raus aus der Defensive
       
       Was der neue Autoritarismus angreift, ist die demokratische Lebensweise.
       Diese „demokratische Lebensweise“ hat freiheitliche und rechtsstaatliche
       Institutionen und Verfassungsordnungen als Grundlage, geht aber über diese
       hinaus. Die Meinungs- und Kunstfreiheit gehört dazu, aber auch eine
       Mentalität, die in zeitgenössischen Gesellschaften tiefe Wurzeln geschlagen
       hat. Die Maxime „Leben und leben lassen“, also die Achtung vor anderen
       Lebensstilen und Wertesystemen. Gesellschaften sind divers und heterogen,
       und das in vielerlei Hinsicht. Progressive, sozialistische und liberale
       Haltungen sind insofern zu einem allgemeinen Hintergrundrauschen geworden,
       weshalb die Ultrarechten vom „linken Mainstream“ fantasieren können.
       
       Dass man Andere als Gleiche behandeln soll, dass man jedem Respekt
       entgegenbringt; dass sogar Verteilungsgerechtigkeit und ein Sozialstaat
       dazugehören, damit niemand so unter die Räder kommt, dass er oder sie ihre
       Talente nicht entwickeln kann; dass man nicht kommandiert werden will; dass
       man Mitbürger mit abweichenden Lebensentwürfen nicht diskriminiert und
       Menschen mit etwa Behinderung nicht verspottet, dass jeder auf seine eigene
       Art glücklich werden soll, dass man Kinder nicht schlägt und auch nicht mit
       seelischer Grausamkeit neurotisiert; dass Erziehung emanzipativ sein soll,
       nicht autoritär und repressiv – all das ist heute Konsens, sogar weit in
       rechtskonservative Milieus hinein.
       
       Als Donald Trump 2016 einen Reporter mit Behinderung verspottete, indem er
       dessen zuckende Armbewegungen in Folge einer angeborenen Gelenkversteifung
       nachäffte, haben die allermeisten Menschen es als eine ekelhafte
       Übertretung empfunden. Aber für Trump und seine Hardcore-Anhänger war es
       ein Akt der „Opposition“ gegen eine gängige Moralverstellung.
       
       Damit sind wir einer Antwort auf die Frage [5][„Wie dagegenhalten?“]
       vielleicht nähergekommen: Mit der Leidenschaft für die demokratische
       Lebensweise, dem, was der US-Philosoph Alexandre Lefebvre „Liberalism as a
       Way of Life“ nennt. Raus aus der Defensive heißt, wir haben nicht nur etwas
       zu verteidigen, sondern auch etwas zu gewinnen, für das man sich begeistern
       kann: Mehr Freiheit, mehr Gleichheit, mehr Sicherheit, Humanität und
       Zärtlichkeit, ein Leben, das nach und nach reicher für alle wird.
       
       20 Nov 2025
       
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