# taz.de -- Hannovers OB Belit Onay: „Bund und Länder prellen regelmäßig die Zeche“
       
       > 13 Oberbürgermeister haben einen Brandbrief an Bund und Länder
       > geschrieben, weil ihnen das Geld ausgeht. Der Rathauschef von Hannover
       > ist einer davon.
       
 (IMG) Bild: Hannovers Bürgermeister Belit Onay bei einer Pressekonferenz zum Innenstadt-Dialog am 4. September 2020
       
       Oberbürgermeisterinnen und -bürgermeister aus 13 Landeshauptstädten haben
       dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten in dieser Woche einen
       Brandbrief geschrieben. Den Kommunalfinanzen drohe der Kollaps, warnen sie
       darin. „Die Schere zwischen kommunalen Einnahmen und Ausgaben öffnet sich
       immer weiter“, heißt es in dem Brief. Die wichtigste Forderung der
       Rathauschefs ist, das sogenannte Konnexitätsprinzip auf allen Ebenen
       konsequent anzuwenden – auch rückwirkend. Also: Wenn Bund oder Länder neue
       Aufgaben für die Kommunen beschließen, sollen sie sich auch um die
       Finanzierung kümmern.
       
       taz: Herr Onay, die Klage der Kommunen, dass sie strukturell
       unterfinanziert seien, immer mehr Aufgaben aufgedrückt bekämen, ohne dass
       man ihnen auch die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellt, [1][hören
       wir schon seit Jahren.] Warum jetzt noch mal dieser Brandbrief? 
       
       Belit Onay: Klar, diese Schieflage gibt es schon länger, die gab es auch
       schon vor Corona. Bisher hat man sie noch einigermaßen bewältigen können,
       weil sich die Gewerbesteuereinnahmen lange Zeit positiv entwickelt haben.
       Das hat sich aber spätestens mit Corona geändert. Sowohl bei den
       Steuereinnahmen als auch bei den Kosten, die in vielen Bereichen explodiert
       sind. Und gleichzeitig haben wir jetzt eine Erwartungshaltung, die von der
       Bundesregierung geschürt wird, wo mit diesen Investitionsmilliarden der
       Eindruck erweckt wird: Jetzt geht es los, jetzt wird alles besser. Wir
       sehen dann oft, dass zwischen Bund und Ländern, zum Beispiel in den
       Ministerpräsidentenkonferenzen, Dinge vereinbart werden, die zu Lasten
       Dritter gehen – und das sind im Zweifelsfall wir Kommunen.
       
       taz: Warum kam dieser Aufschrei jetzt aus diesem speziellen Kreis, also den
       Rathauschefs der 13 Landeshauptstädte der Flächenbundesländer? 
       
       Onay: Erst einmal können wir natürlich ganz gut für die kommunale Familie
       sprechen. Und wir hoffen natürlich auch, dass unser Wort ein bisschen
       Gewicht hat. Es sind ja Kollegen aller demokratischen Parteien dabei – CDU,
       SPD, Grüne, FDP, Parteilose. Dass die Initiative von Stuttgart ausging und
       selbst München dabei ist, sagt ja auch etwas aus. Wenn selbst die relativ
       reichen süddeutschen Städte jetzt an einem Punkt sind, wo sie sagen: So
       geht das nicht weiter. Die Stadtstaaten sind nur nicht dabei, weil sie
       rechtlich Land und Kommune in einem sind. Aber besser geht es denen
       natürlich auch nicht.
       
       taz: Noch einmal zurück zum Punkt „Kostenexplosion“: Welche Bereiche machen
       Ihnen da am meisten Sorge? Die Sozialausgaben? 
       
       Onay: Die Sozialausgaben sind ein Punkt. Aber eigentlich geht das durch
       alle Bereiche: vom Deutschlandticket über die Kitas bis zum Ganztagsausbau.
       Das Bittere ist ja, dass das auch alles wichtige Themen sind. Inhaltlich
       würde das von uns niemand infrage stellen oder streichen wollen. Das
       Problem entsteht in der Umsetzung. Und das war auch unter der
       Ampelregierung und unter Merkel schon so. Ein gutes Beispiel ist das
       Wohngeld.
       
       taz: Mit der Reform von 2023 [2][gab es plötzlich viel mehr Menschen, die
       antragsberechtigt waren.] 
       
       Onay: Genau. Und das ist auch gut so. Aber was bei der Verkündung dieser
       Wohltat nicht mitgedacht wurde, war der Mehraufwand, der bei uns auf
       kommunaler Ebene entsteht. Wir kriegen das dann vor die Füße gekippt und
       sollen uns überlegen, wie wir es hinkriegen – ohne dass die zusätzlichen
       Kosten übernommen werden. Das ist rechtlich aber nicht die Verabredung.
       Eigentlich gilt ja das Konnexitätsprinzip, einfach ausgedrückt: Wer
       bestellt, muss auch bezahlen. Aber zurzeit prellen Bund und Länder einfach
       regelmäßig die Zeche.
       
       taz: Rein rechtlich gilt das Konnexitätsprinzip aber nur gegenüber dem
       Land. Ist der Bundeskanzler dann nicht eigentlich der falsche Adressat?
       Müssten Sie sich nicht die Länderchefs vorknöpfen? 
       
       Onay: Der Brandbrief ist schon bewusst an beide adressiert. Weil natürlich
       auch der Bund eine Gesamtverantwortung hat. Und wenn der jetzt die
       Modernisierung Deutschlands verspricht, mit Investitionen in Infrastruktur
       und Digitalisierung, dann muss man sich auch klarmachen, wo das realisiert
       wird. Und das passiert ja nicht in Berlin, in den Ministerien oder im
       Bundestag, sondern bei uns vor Ort, in den Städten. Das ist der Ort, wo
       Menschen den Staat wahrnehmen, im „Stadtbild“.
       
       taz: Wenn man Bundespolitiker fragt, dann sagen die: Aber wir machen doch.
       Der Anteil der Kommunen an der Umsatzsteuer ist mehrfach erhöht worden, der
       Bundesanteil an den Sozialkosten auch, dazu gibt es zig Sonderprogramme für
       Kitas, ÖPNV, Digitalisierung und so weiter. Warum reicht das nicht? 
       
       Onay: Na, das ist eine ganz einfache mathematische Formel jedes Mal. Man
       kann sich das ja anschauen. Beim Deutschlandticket ist die Situation so,
       dass es nicht auskömmlich finanziert ist. Das führt dazu, dass vor allem im
       Umland und im ländlichen Bereich, also wo die Pendlerinnen und Pendler
       sitzen, der ÖPNV eingeschränkt werden muss, weil die Kosten nicht gedeckt
       werden können. Dasselbe Spiel haben wir beim Thema Krankenhäuser oder
       Digitalisierung.
       
       taz: Also [3][hilft Ihnen das milliardenschwere Sondervermögen
       Infrastruktur auch nicht?] 
       
       Onay: Na ja, wenn ich das jetzt mal auf Hannover herunterbreche: Wir wissen
       noch nicht ganz genau, wie viel bei uns ankommt, gehen aber davon aus, dass
       es sich irgendwo so zwischen 30 und 50 Millionen Euro bewegen wird. Pro
       Jahr über die nächsten zehn Jahre. Das ist natürlich richtig viel Geld.
       Nur: Unser Investitionshaushalt liegt gerade bei 260 bis 270 Millionen.
       Also: Mit dem zusätzlichen Geld bauen wir pro Jahr gerade mal eine halbe
       Schule. Das ist nicht der Gamechanger, über den wir reden. Und das ist aus
       meiner Sicht fatal, weil der Eindruck, der erweckt wird, ja ein ganz
       anderer ist.
       
       taz: Was passiert, wenn die Kommunalfinanzen nicht besser aufgestellt
       werden? 
       
       Onay: Dann sind in vielen Bereichen Enttäuschungen vorprogrammiert, von
       denen letztlich wieder der Rechtspopulismus profitieren wird. Weil eben
       doch nicht so viel so schnell vorangeht, wie man erwartet hat. Die Zitrone
       ist eben einfach ausgepresst an vielen Stellen. Wenn wir dann sagen, wir
       müssen sparen, wir gehen an die freiwilligen Leistungen, dann ist das ein
       ziemlich beschönigender Begriff. Das heißt ja, wir sparen bei der Kultur,
       beim Sport, im Sozialen – bei allem, was eine Stadt lebenswert macht. Das
       hat dann auch Folgen für die Stadtgesellschaft, die – glaube ich – niemand
       will.
       
       31 Oct 2025
       
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