# taz.de -- Blutige Razzia in Rio de Janeiro: Zustände wie nach einem Bürgerkrieg
       
       > Das gewaltsame Vorgehen der Polizei gegen mutmaßliche Drogengangs sorgt
       > in Brasilien und international für Entsetzen. Mindestens 132 Menschen
       > sind tot.
       
 (IMG) Bild: Anwohnerinnen weinen beim Anblick der Leichen von Menschen, die am Vortag bei einer Polizeirazzia in Rio de Janeiro getötet wurden
       
       Rio de Janeiro afp/dpa | Die Razzia der Polizei in Brasilien gegen
       Drogenhändler in Rio de Janeiro hat in der Bevölkerung Angst und Schrecken
       und international bestürzte Reaktionen ausgelöst. 30 Organisationen der
       Zivilgesellschaft, darunter Amnesty International, verurteilten in einer
       gemeinsamen Erklärung den Polizeieinsatz, der „das Scheitern“ der
       brasilianischen Sicherheitspolitik offenlege. Die Regierung in Brasília
       setzte für Mittwoch eine „Krisensitzung“ an.
       
       Der Einsatz richtete sich gegen die größte Drogenbande in Rio, Comando
       Vermelho. Bei dem blutigen Polizeieinsatz in der brasilianischen
       Küstenmetropole sind mindestens 132 Menschen ums Leben gekommen. Das teilte
       die unabhängige Ombudsstelle des Bundesstaats Rio de Janeiro mit. Nach
       Angaben des Gouverneurs Cláudio Castro war die Razzia der bisher größte
       Polizeieinsatz in der Geschichte des Bundesstaats. „60 Kriminelle“ seien
       „neutralisiert“ worden, sagte er. Auch vier Polizisten wurden getötet.
       Zudem seien mehr als 80 Verdächtige festgenommen und hundert Schusswaffen
       sowie eine große Menge Drogen beschlagnahmt worden.
       
       ## Rauchwolken über der Stadt
       
       Bei dem Einsatz spielten sich kriegsähnliche Szenen ab. Rund 2.500 Beamte
       in Kampfmontur, 32 gepanzerte Fahrzeuge, 12 Räumfahrzeuge, Drohnen und zwei
       Hubschrauber waren in zwei Armenvierteln im Einsatz. Die Polizei
       konzentrierte sich auf die Favelas Penha und Alemão im Norden der Stadt in
       der Nähe des internationalen Flughafens von Rio.
       
       Online verbreitete Videos zeigten Rauchwolken über der Stadt, Schüsse waren
       zu hören. Vor dem Krankenhaus Getulio Vargas wurden ununterbrochen Tote und
       Verletzte mit Schusswunden eingeliefert, wie ein Fotograf der
       Nachrichtenagentur AFP beobachtete. Unter den Opfern waren Polizisten,
       mutmaßliche Bandenmitglieder und unbeteiligte Anwohner.
       
       Gouverneur Castro veröffentlichte ein Video, das eine von Gangmitgliedern
       gesteuerte Drohne zeigen soll, die ein Geschoss über der Stadt abwirft. „So
       wird die Polizei von Rio von den Kriminellen behandelt: mit von Drohnen
       abgeworfenen Bomben“, schrieb der Gouverneur dazu. Es handele sich nicht um
       „normales Verbrechen, sondern um Narko-Terrorismus“.
       
       In Vila Cruzeiro, einem Viertel von Penha, bewachten schwer bewaffnete
       Polizisten rund 20 junge festgenommene Männer. Sie saßen dicht gedrängt auf
       dem Boden, mit nackten Füßen und Oberkörpern. „Es war das erste Mal, dass
       wir gesehen haben, wie Drohnen (von Kriminellen) Bomben im Viertel
       abwerfen“, sagte eine Bewohnerin von Penha, die ihren Namen nicht nennen
       wollte. „Alle sind in Panik, weil es so viele Schüsse gibt“, sagte eine
       Leiterin von Sozialprojekten, die aus Angst vor Repressalien anonym bleiben
       wollte. Sie stand per Handy in Kontakt zu Bewohnern von Penha.
       
       ## Minister planen Krisensitzung
       
       Mindestens 85 Bildungseinrichtungen blieben vorerst geschlossen. Auch der
       öffentliche Nahverkehr war beeinträchtigt, weil sich die Bandenmitglieder
       während der Razzia hinter dutzenden Bussen verbarrikadiert hatten. Mehrere
       Minister der brasilianischen Zentralregierung berieten in der Hauptstadt
       Brasília über die Lage. Sie beschlossen, eine Delegation nach Rio de
       Janeiro zu schicken, um dort am Mittwoch eine „Krisensitzung“ abzuhalten.
       
       Die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch in Brasilien sprach von
       einer „enormen Tragödie“ und forderte zu „jedem Toten“ die Einleitung von
       Ermittlungen. Das UN-Menschenrechtsbüro zeigte sich „entsetzt“ über die
       Gewalt am Dienstag. Es verwies auf die Verpflichtungen der Behörden gemäß
       den internationalen Menschenrechtsgesetzen und forderte eine „rasche und
       wirksame Untersuchung“.
       
       Auch der Menschenrechtsausschuss des Parlaments von Rio kritisierte den
       Polizeieinsatz. Die Favelas der Stadt seien „erneut zum Schauplatz von
       Krieg und Barbarei“ gemacht worden, sagte die Ausschussvorsitzende Dani
       Monteiro der Nachrichtenagentur AFP.
       
       ## Knapp zwei Todesopfer pro Tag
       
       Der bislang folgenschwerste Polizeieinsatz in der Stadt mit sechs Millionen
       Einwohnern hatte während der Coronapandemie im Jahr 2021 stattgefunden.
       Damals wurden an einem Tag 28 Menschen in einer Favela getötet.
       
       Die Polizei geht in den als Favelas bekannten, dicht besiedelten
       Armenvierteln von Rio immer wieder mit großer Härte gegen kriminelle Banden
       vor. Im vergangenen Jahr starben bei Polizeieinsätzen in der Stadt rund 700
       Menschen, das entspricht durchschnittlich knapp zwei Todesopfern pro Tag.
       
       29 Oct 2025
       
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