# taz.de -- Friedrich Merz besucht die Türkei: Balanceakt bei Erdoğan
       
       > Die Türkei gilt in vielen Feldern als wichtiger Partner. Trotzdem oder
       > gerade deshalb dürfte es für den Kanzler ein schwieriger Antrittsbesuch
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, r.) und Recep Tayyip Erdoğan, Präsident der Türkei, bei einem Gipfeltreffen der EU im Mai 2025
       
       dpa/afp/taz | Unter dem Eindruck der neuen Eskalation im Gaza-Konflikt
       reist Bundeskanzler Friedrich Merz heute zu seinem Antrittsbesuch in die
       Türkei. Den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan hatte er zuletzt
       vor gut zwei Wochen bei der historischen Friedenszeremonie von US-Präsident
       Donald Trump in Ägypten gesehen.
       
       Die Lage in Nahost dürfte das dominierende Thema bei dem Gespräch zwischen
       Merz und Erdoğan am Donnerstag in der Hauptstadt Ankara sein. Daneben wird
       es um den Ukraine-Krieg, Migration und Rüstungskooperation gehen. Für Merz
       wird die Visite angesichts des zunehmend autokratischen Regierungsstils
       Erdoğan aber ein schwieriger Balanceakt.
       
       So ist es unklar, ob der [1][neue Haftbefehl gegen den türkischen
       Oppositionsführer Ekrem İmamoğlu] eine Rolle spielen wird. Dieser sitzt
       seit März ohne Anklage in Untersuchungshaft. SPD-Chef Lars Klingbeil hatte
       die Inhaftierung damals als „schweren Angriff“ auf die Demokratie in der
       Türkei bezeichnet.
       
       „Die Sicherheitsfrage dürfte bei dem Besuch für beide Seiten am wichtigsten
       sein“, sagt die Türkei-Expertin Sinem Adar von der Stiftung Wissenschaft
       und Politik (SWP) im AFP-Gespräch. Bei internationalen Themen dürfte der
       Ukraine-Krieg, wo sich Ankara immer wieder als Vermittler anbietet,
       zentraler Teil der Gespräche in Erdoğans 1.000-Zimmer-Palast in Ankara
       sein.
       
       ## Türkei hofft auf Rüstungsgeschäfte
       
       Für Erdoğan stehe bei dem Merz-Besuch allerdings wahrscheinlich eine
       „Kooperation der Rüstungsindustrie an erster Stelle“, sagt Adar. Hier sieht
       die Türkei in Zeiten massiver Aufrüstung ein großes Potenzial für den
       Ausbau der Geschäfte mit europäischen Partnern.
       
       Als EU-Beitrittskandidat würde Ankara deshalb gerne an dem jüngst
       aufgelegten EU-Rüstungsprogramm Safe teilnehmen, das bis zu 150 Milliarden
       Euro für die gemeinsame Rüstungsbeschaffung bereitstellt. Doch das
       EU-Mitglied Griechenland, das seit Jahrzehnten mit Ankara wegen
       widerstreitender Gebietsansprüche in der Ägäis im Konflikt steht, blockiert
       dies bisher. Merz könnte hier als Vermittler auftreten. Die Bundesregierung
       signalisierte im Vorfeld bereits Unterstützung.
       
       Bei seinem Besuch in Ankara dürfte es nun darum gehen, was sonst noch alles
       möglich ist. Außenminister Johannes Wadephul (CDU) hat [2][während seiner
       Türkei-Reise vor knapp zwei Wochen] von „etlichen Projekten“ gesprochen,
       die vor der Finalisierung stünden. Es sei „selbstverständlich, dass unsere
       Rüstungsindustrien auf das Engste miteinander kooperieren“, sagte er.
       
       Schon im Juli hatte die Bundesregierung [3][grünes Licht für den Export von
       40 Eurofightern] an den Nato-Partner Türkei gegeben. Dieser war im April
       von der scheidenden rot-grünen Vorgängerregierung noch blockiert worden.
       Grund dafür war die Verhaftung des prominenten türkischen
       Oppositionspolitikers Ekrem İmamoğlu im März wegen umstrittener
       Korruptionsvorwürfe. Er will bei der Präsidentenwahl 2028 gegen Erdoğan
       antreten.
       
       ## Bundesregierung zurückhaltend mit Kritik
       
       Dass gegen İmamoğlu seit vergangener Woche [4][nun auch wegen Spionage]
       ermittelt wird, kommentierte die Bundesregierung vor der Reise des Kanzlers
       nur zurückhaltend. Demokratische Grundsätze und Menschenrechte würden bei
       solchen Besuchen immer angesprochen, sagte ein Regierungssprecher.
       
       Die außenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cansu Özdemir, forderte
       Merz am Mittwoch dazu auf, "dass er seine Reise in die Türkei nutzt, um die
       schweren Menschenrechtsverletzungen des türkischen Staates offen
       anzusprechen". Der Kanzler müsse "deutlich machen, dass politische
       Verfolgung, Repressionen gegen Oppositionelle, Journalist:innen und
       Aktivist:innen in einem Rechtsstaat keinen Platz haben dürfen", sagte sie.
       Um ein solches Signal auszusenden, müsse sich Merz allerdings auch mit
       Vertreter:innen der Opposition treffen, so die Linken-Politikerin.
       
       Nach einem Treffen des Kanzlers mit Oppositionsvertretern in Ankara sieht
       es jedoch erst einmal nicht aus. Der Plan sei, „dass das bilaterale
       Gespräch mit Herrn Erdoğan im Mittelpunkt steht. Über weitere Gespräche ist
       mir nichts bekannt“, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Steffen
       Meyer.
       
       „Merz wird es höchstwahrscheinlich vermeiden, die innenpolitische Lage in
       der Türkei von sich aus anzusprechen“, vermutet SWP-Expertin Adar.
       „Angesichts der Verschiebung der sicherheitspolitischen Prioritäten stehen
       innenpolitische Fragen nicht an erster Stelle.“
       
       ## Deutschland will mehr Abschiebungen in die Türkei
       
       Das dürfte auch für das Thema Migration gelten. Bis Ende September wurden
       laut Bundesinnenministerium dieses Jahr bereits 1.614 türkische
       Staatsbürger in die Türkei abgeschoben. Nach jahrelanger Weigerung Ankaras
       sind sie damit inzwischen die größte Gruppe bei Abschiebungen.
       
       Hier kamen aus Berlin vor dem Besuch klare Erwartungen: Nach ersten
       Fortschritten müssten nun „weitere konkrete Schritte folgen“, hieß es aus
       Regierungskreisen. Denn die Türkei sei derzeit „das Herkunftsland mit der
       höchsten Zahl Ausreisepflichtiger in Deutschland“ – laut dem Bundesamt für
       Migration und Flüchtlinge (Bamf) waren es Ende September noch 22.560.
       
       Auch bei den von der Bundesregierung geplanten Abschiebungen nach Syrien
       könnte die Türkei womöglich helfen. Dies sei „ein Thema, das uns im
       Verhältnis mit der Türkei beschäftigt“, sagte ein Regierungssprecher bei
       der Ankündigung des Merz-Besuchs. Denn nach dem Sturz von Machthaber
       Baschar al-Assad pflegt Ankara mit der neuen Regierung in Damaskus gute
       Kontakte und könnte den deutschen Wünschen womöglich Nachdruck verleihen.
       
       Vor Erdoğan wird Merz auch Wirtschaftsvertreter in Ankara treffen. Mit
       einem Handelsvolumen von 51,8 Milliarden Euro stand die Türkei 2024 auf
       Platz 14 der wichtigsten deutschen Handelspartner – noch vor Ländern wie
       Schweden oder Japan. Im Vergleich zu Deutschland verzeichnet die Türkei
       weiter deutliche, wenn auch niedrigere Wachstumsraten als noch vor ein paar
       Jahren. Problem für die türkische Wirtschaft ist vor allem die hohe
       Inflation, die auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt.
       
       29 Oct 2025
       
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