# taz.de -- Spielfilm „The Change“: Verzweifeltes Schreien
> Der US-Thriller „The Change“ erzählt vom autoritären Umbau eines Staates.
> Vor allem ist es aber eins: emotional aufgeladenes Blendwerk.
(IMG) Bild: Paul (Kyle Chandler) und Ellen (Diane Lane) in „The Change“
Der Psychoanalytiker Wilhelm Reich beschrieb in seinem Buch „Die
Massenpsychologie des Faschismus“ von 1933 die Familie als „zentrale
reaktionäre Keimzelle“. Zu einem ähnlichen Ergebnis [1][kam der
Sozialphilosoph Max Horkheimer in seinem Essay „Autorität und Familie“ von
1936.] Gemeint war bei beiden die patriarchale Ausprägung einer
bürgerlichen Familie, in der Kinder zu autoritätshörigen Menschen erzogen
werden, die umso anfälliger für Führerkult und Faschismus seien.
Knapp 90 Jahre später haben sich die Vorzeichen geändert. Der
Autoritarismus ist nicht mehr der Familie inhärent. In seiner
faschistischen Ausprägung ist er vielmehr ein Invasor, der sich von außen
in demokratisch gefestigte Familien hineinfrisst und sie aushöhlt. So ist
zumindest der Gedankengang in „The Change“, dem ersten englischsprachigen
Film des polnischen Regisseurs Jan Komasa.
Der autoritäre Eindringling heißt hier Elizabeth „Liz“ Nettles. Die junge,
kontrolliert wirkende Frau begleitet ihren Partner Josh zu dessen Eltern,
die ihren 25. Hochzeitstag feiern. Ellen (Diane Lane) ist Professorin an
der renommierten Georgetown University in Washington. D. C., ihr Ehemann
Paul (Kyle Chandler) Chefkoch seines eigenen Nobelrestaurants. Zusammen mit
ihren vier Kindern sind sie das Abziehbild wohlsituierter und
privilegierter Bildungsbürger.
Während die Feierlichkeiten im Garten des mondänen Familienanwesens in
vollem Gange sind, erkennt Ellen in Liz ihre ehemalige Studentin wieder,
die vor einigen Jahren wegen „antidemokratischer Thesen“ von der Uni
geflogen ist. Für Ellen hat die Ausgelassenheit schnell ein Ende, sie
misstraut Liz. Es kommt zu einem Streitgespräch mit ihrem Sohn, der ihre
Aufregung nicht versteht. Als Ellen am nächsten Tag Liz’ Geschenk auspackt,
ist sie entsetzt: In den Händen hält sie deren neues Buch „The Change“,
eine Art Manifest für ein autoritäres Einparteiensystem, herausgegeben von
einem mächtigen Konzern.
## Sämtliche Grundrechte sind ausgehebelt
Was nach diesem vielversprechenden Auftakt folgt, ist leider kein
Psychodrama über die Wirkdynamiken faschistischer Ideologie im engsten
Familienkreis. Es ist auch keine erhellende Auseinandersetzung mit dem
autoritären Umbau einer liberalen Demokratie, wie er in den USA gerade
tatsächlich zu beobachten ist. „The Change“ ist lediglich die Behauptung
von beidem. Ein emotional aufgeladenes Blendwerk, das viel zeigen möchte,
aber nichts zu erzählen hat.
Die insgesamt fünf Familienzusammenkünfte, die über mehrere Jahre hinweg im
Haus der Taylors stattfinden, handeln vom zunehmenden Zerfall der Familie,
während die USA in den Faschismus abgleiten. Die neue Nationalflagge zeigt
fortan das Sternenfeld mittig auf den Streifen platziert – als Symbol für
das neue Einparteiensystem. Sämtliche Grundrechte wie Meinungs- und
Wissenschaftsfreiheit werden ausgehebelt.
Es ist eine Abwärtsspirale, die immer weiter gen Abgrund führt. Ellen
verliert ihre Stelle an der Universität, Pauls Restaurant steht vor der
Insolvenz, ihre Tochter Anna (Madeline Brewer), eine streitlustige
Stand-up-Comedian, geht nach einem körperlichen Angriff in den Untergrund,
die andere Tochter Cynthia (Zoey Deutch), eine Umweltanwältin, fällt in
eine schwere Depression. Die Jüngste, Birdie (Mckenna Grace), liebäugelt
mit dem gewalttätigen Widerstand. Und der Sohn Josh macht an der Seite
seiner Frau Liz Karriere als strammer Parteisoldat.
Komasa und seine Drehbuchautorin Lori Rosene-Gambino greifen (immerhin
gekonnt) zum ganz großen Besteck der Emotionen und vernachlässigen dabei
zwei wichtige Aspekte gelungenen Storytellings: Plausibilität und
Dramaturgie. Beides wird einer Geschichte geopfert, die zu viel möchte. Die
Figuren wirken flach und willkürlich zusammengewürfelt, dem
Auseinanderbrechen der Familie fehlt es an Glaubwürdigkeit. Das gesamte
Setting mutet zudem seltsam steril und generisch an, als wäre hier eine KI
im Spiel gewesen.
## Emotion verharrt in leerer Pose
Wie sich der autoritäre Umbau genau vollzieht und was in Liz’ so
einflussreichem Buch eigentlich drinsteht, bleibt ein Rätsel. Das wäre
nachrangig, würde der Film zumindest dem Keil eine klare Kontur geben, den
der Faschismus immer tiefer in die Familie rammt.
Gegen diesen Umstand hilft auch nicht das verzweifelte Schreien der
Figuren. Allen voran Diane Lane gibt sich Mühe, dem Kontrollverlust ihrer
Figur Tiefe zu verleihen. Aber wo keine Substanz ist, verharrt jegliche
Emotion in leerer Pose.
Dieses Scheitern ist umso bitterer, bedenkt man, dass Jan Komasa zu [2][den
vielversprechendsten Regisseur:innen Polens] zählt. Seine Filme sind
immer auch Chroniken gesellschaftlicher Verwerfungen. In seinem
oscarnominierten Film „Corpus Christi“ (2019) legt sich ein ehemaliger
Häftling, der sich als Priester ausgibt, mit der polnischen Kirche an.
In seinem Thriller „The Hater“ (2020), seiner ersten
[3][Netflix]-Produktion, erzählt er von einer PR-Agentur, die mit Fake News
und Hasskampagnen prominente Liberale diskreditiert. Mit „The Change“ ist
er nun über seinen eigenen Anspruch gestolpert.
6 Nov 2025
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## AUTOREN
(DIR) Tobias Obermeier
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