# taz.de -- Offensive in der Ostukraine: Der brutale Weg nach Dnipro
> Ukrainische und russische Streitkräfte liefern sich harte Kämpfe im
> Osten. Experten nehmen an, dass bald viele Menschen die Ukraine verlassen
> werden.
(IMG) Bild: Evakuierung der Einwohner aus der Frontstadt Pokrowsk, Ukraine, am 11. November 2025
Die Ukraine wird die [1][Städte Pokrowsk und Myrnohrad] im Osten des Landes
wohl nicht mehr lange halten können. Davon sind zumindest Experten auf
beiden Seiten der Front überzeugt. Die Städte sind vergleichsweise klein,
sind aber für die ukrainische Verteidigung enorm wichtig
Westlich von Pokrowsk und Myrnohrad befindet man sich hauptsächlich in
einem Steppengebiet. Diese geografischen Begebenheiten erschweren die
Abwehr russischer Streitkräfte. Pokrowsk liegt 180 Meter über dem
Meeresspiegel, während die nächstgelegene größere Stadt Pawlohrad im Westen
nur 70 Meter hoch liegt. Gerade dieser Höhenunterschied würde für die
russische Artillerie und Drohnenpiloten günstige Bedingungen schaffen, um
ukrainische Stellungen anzugreifen. Die Lage ist brenzlig – und die Kritik
an der militärischen Führung der Ukraine wird lauter.
Militär-Videoblogger und Offiziere fordern, dass die Soldaten aus Myrnohrad
abgezogen werden. [2][Der Ort ist schon zur Hälfte eingekesselt] und alle
Wege in die Stadt führen entweder über Pokrowsk oder werden von Drohnen
beschossen. Wie ein Militäranalyst der taz sagte, könnten der russischen
Armee nach dem Fall von Pokrowsk und Myrnohrad zwei Hauptstoßrichtungen für
ihre Winteroffensive zur Verfügung stehen.
Die erste befindet sich im südlichen und südöstlichen Abschnitt der Front –
in den Gebieten Saporischschja und Dnipropetrowsk. Dort sind die
Verteidigungslinien der Ukraine eher auf die Abwehr von Angriffen aus dem
Süden als aus dem Osten ausgerichtet, wo Russland bei Huljapole aktuell
Druck ausübt. Saporischschja würde dann zu einer Frontstadt. Und mehrere
Lenkbomben gleichzeitig könnten dann auch die Stadt Dnipro erreichen.
Dnipro, wo vor dem Krieg fast eine Million Menschen lebten, hat ein
beträchtliches wirtschaftliches Potenzial. Unter anderem wurden hier zu
Sowjetzeiten die weltweit leistungsstärksten Interkontinentalraketen
hergestellt.
## Kommt der Vorstoß Richtung Dnipro?
„Satan“ nannte damals die Nato dieses Kriegsgerät. Aber: Es ist kaum
möglich, dass die russische Armee in naher Zukunft Saporischschja und
Dnipro einnehmen könnten. Allerdings ist es für die russische Luftwaffe und
vor allem Drohnenpiloten durchaus möglich, dort Industrieanlagen zu
zerstören und die Einwohner aus den Städten zu vertreiben.
Die russische Armee könnte auch in Richtung der wenigen noch unter
ukrainischer Kontrolle stehenden Gebiete im Donbass vorstoßen: vor allem in
den Ballungsraum Slowjansk-Kramatorsk. Durch die städtische Bebauung und
etliche Befestigungsanlagen, die hier seit 2014 errichtet wurden, wird ein
solcher Vorstoß zwar nicht leicht. Aber [3][das Gebiet ist militärisch und
wirtschaftlich attraktiver] als der Südosten der Ukraine. [4][Die
„Befreiung“ des Donbass] wurde bereits 2022 zu einem der drei wichtigsten
russischen Kriegsziele erklärt. Dieser Plan ist zu 90 Prozent umgesetzt.
In den kommenden Wochen wird die Ukraine ihren Rückzug wohl fortsetzen.
Nach Angaben der ukrainischen Armeeführung befanden sich am 11. November
bereits rund 300 russische Soldaten in Pokrowsk. Mit Sorge blickt die
ukrainische Bevölkerung auf die Kämpfe in dieser Stadt. Und dies macht sich
auch in der Armee bemerkbar. Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft
meldete im Oktober rund 21.000 Fälle von unerlaubtem Verlassen der Einheit
und von Soldaten, die desertierten.
Dies ist ein Rekordwert seit Kriegsbeginn vor 44 Monaten. Hinzu kommt, dass
die Zahl der Soldaten sinken dürfte. Die Behörden haben Ende August dieses
Jahres Männern im Alter von 18 bis 22 Jahren die Ausreise ins Ausland
erlaubt. Laut Eurostat haben allein die EU-Staaten im September rund 80.000
Ukrainern den Status eines Geflüchteten gewährt. Dies ist der höchste Wert
seit zwei Jahren.
## Verstärkte Angriffe auf die Energieinfrastruktur
Fälle von Ukrainern im wehrpflichtigen Alter, denen es gelungen ist, etwa
durch Bestechung in ihrem Heimatland den Status „aus gesundheitlichen
Gründen untauglich für den Militärdienst“ zu erlangen und so ins Ausland
auszureisen, sind keine Seltenheit. Außerdem gibt es zahlreiche Beschwerden
und Unzufriedenheit gegenüber den sogenannten Territorialen
Rekrutierungszentren (TSK). Die Vorwürfe: Willkür, Intransparenz und
Unklarheit bei der Auswahl der Rekruten.
Viele Menschen sind davon überzeugt, dass die Zentren mehr mit Erpressung
und der Verteilung von Bestechungsgeldern beschäftigt sind als mit den
eigentlichen Einberufungen. Die Wut aus der Bevölkerung zeigte sich
kürzlich in der Nähe von Odessa. Ende Oktober kippten dort etwa zehn Männer
einen TSK-Kleinbus um und zerstören diesen.
Mit Beginn des Winters verstärkt [5][die russische Armee auch ihre Angriffe
auf die ukrainische Energieversorgung]. Die Regionaldirektorin des
Internationalen Roten Kreuzes für Europa und Zentralasien, Ariana Bauer,
erklärte, dass die kritische Infrastruktur der Ukraine bereits an der
Grenze ihrer Kapazitäten arbeite. Wie der Monitor Luftkrieg Ukraine
meldete, haben die russischen Angriffe auf Pumpwerke, Kraftwerke,
Heizkraftwerke und Wasserleitungen im Oktober die größten Zerstörungen seit
Jahresbeginn verursacht.
Ein Beispiel: In der Nacht vom 7. auf den 8. November wurde die Ukraine
innerhalb weniger Stunden von so vielen ballistischen Raketen getroffen wie
noch nie zuvor seit Beginn des Krieges 2022. Die Zahl der Menschen, die die
Ukraine verlassen und vor allem in die EU fliehen, dürfte in den kommenden
Monaten steigen.
Aus dem Russischen [6][Gaby Coldewey]
14 Nov 2025
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