# taz.de -- Rentenpläne der Union: Im Alter keine Rosen, nur noch Dosenaprikosen
> Die Regierung stellt die Rente in Frage, weil wir angeblich immer älter
> werden. Das ist falsch und null Anreiz, sich in diesem Land sonderlich
> anzustrengen.
Diesen Sommer starb mein griechischer Nachbar, mit Anfang 70. Innerhalb
weniger Wochen hatte ihn der Krebs erledigt. Vor Jahren schon hatte der
Nachbar zuerst sein Gehör, dann seinen Job und schließlich die Kontrolle
über den Alkohol verloren, woraufhin ihm auch seine Ehefrau und Kinder
abhanden kamen. Das Gehör hat er bei einer Berliner Firma für Aufzüge
verloren, wo er als Gastarbeiter jahrzehntelang an der Metallpresse stand,
deren Lärmpegel den eines Presslufthammers erreicht.
Seit die CDU von der Rente mit 70 spricht, muss ich oft an meinen Nachbarn
denken. Hätte der bis 70 arbeiten müssen, hätte er bis in die letzten
Wochen seines Lebens in irgendeine Firma gemusst. Hätte er einen besseren
Schutz für seine Ohren gehabt, wäre er Bankangestellter oder mit robusteren
Genen ausgestattet gewesen, hätte er womöglich bis 70 arbeitend
durchgehalten. Kurz darauf wäre sein Leben wahrscheinlich trotzdem vom
Krebs beendet worden.
Die aktuelle Regierung stellt nicht nur die Rente mit 67, sondern die Rente
grundsätzlich infrage, [1][weil angeblich alle immer älter werden]. Ist das
so? Mitnichten. Jedenfalls nicht die, deren Leben von körperlich und
psychisch stark belastender Arbeit und geringem Einkommen geprägt ist: Das
ärmste Prozent der Gesellschaft lebt durchschnittlich 15 Jahren kürzer als
das reichste.
Jemand, dem also die Sonne sowieso schon das ganze Leben geschienen hat,
darf sich seinen Lebensabend im Durchschnitt 15 Jahre länger vergolden als
der, der weniger verdient, ungesünder gelebt, weniger medizinischer
Versorgung und dafür mehr existenziellen Stress und psychische Belastung
hatte. Und dem eh kürzer Lebenden, sollen jetzt auch noch die vielleicht
letzten okayen Jahre genommen werden. Glücklich nur der, der sich um Dellen
und Beulen in den Knochen und auf dem Konto nicht zu sorgen braucht.
Ich weiß ja nicht, wo sich die CDU in 15 Jahren so sieht. Dass sie den
Landsleuten aber keine andere Zukunft ausmalen kann, als die Rente nicht
mehr zu erleben, ist null Anreiz, sich in diesem Land sonderlich
anzustrengen. Nach dem Motto: Wir räumen euch zwei, drei Ausländer vom
Platz, aber dafür richtet ihr euch mal darauf ein, im Alter keine Rosen,
sondern nur noch Dosenaprikosen.
Wer beim Wort Visionen nur an Helmut Schmidt denkt und dessen Empfehlung,
einen Arzt aufzusuchen, kann ja weiter auf Merz setzen. Eine Vision ist
aber grade in Umbruchzeiten zwingend, wenn nicht alles unter Staubdecken
verschwinden oder an Nazis fallen soll.
Dass visionärer Esprit nicht bei Jeff Bezos oder Elon Musk enden muss,
zeigt der zurzeit in deutschen Kinos laufende Film [2][„Blum. Masters of
their own destiny“]. Der bosnische Beitrag für die Oscars 2026 stammt von
der Regisseurin [3][Jasmila Zbanić und porträtiert] den jugoslawischen
Holocaust-Überlebenden und Unternehmer Emerik Blum, der nach dem Zweiten
Weltkrieg im komplett zerstörten, bitterarmen und vorindustriellem Sarajevo
das Technologieunternehmen Energoinvest gründete.
Das erfolgreichste Unternehmen des sozialistischen Jugoslawien wurde
[4][ein weltweit führender Energiekonzern], dessen Umsatz kapitalistische
Betriebe alt aussehen ließ. Seine Arbeiter*innen schickte Blum zu
Weiterbildungen und in den Strandurlaub, veranstaltete Sport- und
Kulturevents für die Angestellten, die er bei den strategischen
Betriebszielen mitbestimmen ließ und antwortete Journalist*innen, die ihn
nach seiner Firma fragten: „Es ist nicht meine Firma, sondern gehört denen,
die dort arbeiten.“
Blum wurde in den 1980ern Bürgermeister von Sarajevo und organisierte die
olympischen Winterspiele. Blum ist das Gegenmodell zu Bezos. Blum ist ein
Beispiel dafür, dass eine Vision Praxis sein kann und nicht nur ein
Duftspray mit blumiger Note.
17 Nov 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Debatte-uebers-Renteneintrittsalter/!5949951
(DIR) [2] https://jfbb.info/programm/filme/blum
(DIR) [3] /Spielfilm-zu-Srebrenica-Massaker-im-Kino/!5786690
(DIR) [4] https://www.spiegel.de/politik/wahrer-herrscher-a-2a908d5c-0002-0001-0000-000045202462
## AUTOREN
(DIR) Doris Akrap
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