# taz.de -- Reaktionen in Gaza auf Abkommen: Palästinenser feuern Freudenschüsse ab
       
       > In Gaza feiern die Menschen die Waffenruhe nur kurz, dann kehrt die harte
       > Realität zurück. Hamas-Anhänger sind im Straßenbild kaum mehr zu sehen.
       
 (IMG) Bild: Große Freude auch in Gaza am Donnerstag nach Bekanntwerden des Abkommens
       
       Dass die [1][Waffenruhe] nun so schnell kommt, ist am Donnerstag eine große
       Überraschung für die Menschen in Gaza. Viele hatten damit gerechnet, dass
       die Verhandlungen noch Tage andauern würden. Als sich am Donnerstagmittag
       die gute Nachricht verbreitet, beginnen die Feierlichkeiten: Überall in
       Gaza schießen Menschen in die Luft, wie es in der arabischen Welt Tradition
       zu freudigen Anlässen ist.
       
       Und dann, nur wenig später, geht das Leben wieder weiter wie zuvor: Manche
       sammeln Feuerholz, um damit zu kochen – denn Gas gibt es kaum. Andere
       tragen leere Töpfe in den Händen, auf dem Weg zu einer der Suppenküchen,
       bei denen sie noch etwas Essbares abgreifen konnten. Die Realität legt sich
       wie eine schwere Decke über die Freude der Menschen.
       
       Einer von ihnen ist Ramadan al-Ashqar, er ist in den Fünfzigern. Vor dem
       Krieg arbeitete er für eine Wasserentsalzungsfirma in der israelischen
       Stadt Bat Yam. Er freut sich, dass der Krieg nun endlich enden soll. Und
       plant trotzdem seine Ausreise: Nach Litauen soll es gehen, mit der ganzen
       Familie. „Ich will die Leben meiner Kinder nicht mehr aufs Spiel setzen“,
       sagt er, „unter einer Regierung, die durch Entscheidungen rennt wie ein
       Elefant im Porzellanladen“. Und meint damit nicht nur die israelische
       Führung unter Premier Benjamin Netanjahu.
       
       Nach zwei Jahren soll der Krieg nun endlich enden. [2][Die erste Phase]
       eines entsprechenden Plans ist beschlossen: Die Waffen schweigen, dafür
       kommen alle Geiseln aus Gaza frei und etwa 2.000 palästinensische Gefangene
       aus israelischen Knästen. Das Militär zieht sich zurück, nicht aus Gaza
       selbst, aber von der bisherigen Frontlinie. [3][Noch offen sind aber viele
       Fragen], unter anderem: Wie kann ein echter, langfristiger Frieden, wie ihn
       der US-Präsident verspricht, erreicht werden?
       
       ## „Frieden wäre möglich“
       
       Er habe Freunde in Israel, sagt Ramadan, aus den vielen Jahren, in denen er
       dort arbeitete. „Frieden wäre möglich“, betont er – wären da nicht
       „politische Interventionen und Kalkül“. Israelis und Palästinenser könnten
       beide mit derselben Lebensqualität nebeneinander existieren, erklärt er,
       „gäbe es keine politische Agenda auf beiden Seiten“.
       
       Geht es nach dem Trump’schen 20-Punkte-Plan, dessen Details Israel und die
       Hamas derzeit noch verhandeln, sieht die Vision für den Frieden so aus:
       Israel zieht sich zurück aus dem Gazastreifen, palästinensische
       Technokraten übernehmen unter internationaler Aufsicht die Kontrolle. Und
       die Hamas entwaffnet sich und soll keine politische Rolle mehr spielen.
       
       Im Straßenbild des Gazastreifens sind ihre Anhänger dieser Tage weniger
       sichtbar als zuvor. Man sieht keine großen öffentlichen Feiern der
       Waffenruhe – als ob man wüsste, dass viele der Menschen auf den Straßen sie
       ablehnen. Die letzte Umfrage des Palestinian Center for Policy and Survey
       Research dazu stammt aus dem Mai.
       
       Damals gaben 48 Prozent der Befragten im Gazastreifen an: Sie unterstützten
       die Anti-Hamas-Proteste. Und nur noch 23 Prozent der Menschen glaubten
       damals, dass die Hamas aus diesem Krieg irgendwie als Sieger hervorgehen
       würde.
       
       ## Hamas-Herrschaftssystem ist zusammengebrochen
       
       Ihr Herrschaftssystem ist schon vor Längerem zusammengebrochen: Ihre
       Gehälter bekommen die Hamas-Funktionäre nur noch in Teilbeträgen. Teilweise
       sogar in Naturalien statt Geld: Mehl und andere Nahrungsmittel.
       
       Auch sie fragen sich: Was passiert mit uns, wenn der Krieg endet? Werden
       wir Gaza wieder regieren? Danach sieht es derzeit eher nicht aus. Wird uns
       der Rest der Bevölkerung in Frieden leben lassen oder nach 17 Jahren der
       Unterdrückung Rache nehmen wollen? Wenn wir unsere Waffen abgeben, wer
       schützt uns nicht nur vor Israel – sondern auch vor den Menschen, die wir
       vorher regierten?
       
       Diese Fragen stellen sich auch, weil die Gewalt zwischen Hamas-Mitgliedern
       und der Bevölkerung jüngst zunahm. Trotz des Krieges und dem militärischen
       Druck, unter dem sie stand, formte die Hamas während des Krieges eine
       eigene „Anti-Korruptions-Einheit“, genannt Sahem. Das ist arabisch für
       Pfeil. Ihre Aufgabe ist die Kontrolle der Zivilbevölkerung und die
       Unterdrückung jeden Widerstands.
       
       Ein Fall, an dem diese Einheit beteiligt war, erregte jüngst Aufsehen: Vor
       etwas über einer Woche attackierte eine „Sahem“-Truppe Mitglieder der
       Familie al-Mujaida in Südgaza. Es ist eine große Familie, man kennt ihren
       Namen. Um fünf Uhr morgens begann der Überfall. Mindestens 30
       Hamas-Milizionäre waren beteiligt, sie griffen mit großen Waffen, darunter
       auch Panzerfäusten, das temporäre Zuhause der Familie an, während sie innen
       schlief.
       
       Die Familie hängt der Fatah an, der konkurrierenden palästinensischen
       Fraktion, die im Westjordanland regiert. Augenzeugen beschreiben den
       Angriff inmitten einer Zeltstadt von Vertriebenen: Zwanzig Minuten habe der
       Beschuss angehalten. Manche berichten: Sie hätten gedacht, israelische
       Bodentruppen seien in das Gebiet einmarschiert. Und tatsächlich nutzte
       Israel die Gunst der Stunden. Und tötete schließlich mit einem Luftangriff
       auf die beteiligte Hamas-Einheit mindestens 20 ihrer Mitglieder.
       
       ## Präsenz der Muslimbruderschaft
       
       Die taz konnte mit einem ehemaligen Mitglied der Inneren Sicherheit – einer
       Hamas-Behörde, die lange den Menschen im Gazastreifen fürchterliche Angst
       einjagte – sprechen. Das luxuriöse Haus, das er auf Kredit erbaut hatte,
       sei zur Belastung geworden, sagt er, nun, da er nicht mehr bezahlt werde.
       Er hofft, ausreisen zu können. Belgien sei sein Ziel, sagt er: „Die
       arabische Community dort ist groß, und ‚die Brüder‘ haben eine große
       Präsenz“. Damit meint er die Muslimbruderschaft.
       
       In Trumps Plan steht: „Sobald alle Geiseln zurückgekehrt sind, wird
       Hamas-Mitgliedern, die sich zu friedlicher Koexistenz und zur Abgabe ihrer
       Waffen verpflichten, Amnestie gewährt. Hamas-Mitglieder, die den
       Gazastreifen verlassen möchten, erhalten sicheren Zugang zu
       Aufnahmeländern.“ Darauf spekulieren wohl einige. Bei einem großen Teil der
       Bevölkerung würde das für Freude sorgen. Bevor sich die Realität der
       angerichteten Zerstörung wieder über sie legt.
       
       Übersetzung aus dem Englischen und Mitarbeit: Lisa Schneider
       
       10 Oct 2025
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hisham Al-Masri
       
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