# taz.de -- Abrechnung mit Selbstbedienungskassen: Wer sagt hier Bullshit-Job?
       
       > Selbst-Scanner-Kassen im Supermarkt rationalisieren unseren Alltag,
       > fressen Arbeitsplätze und soziale Begegnung. Ich halte davon absolut
       > nichts.
       
 (IMG) Bild: Ergebnis der Selbstscankassen: Zeitersparnis oder im Spätkapitalismus wegrationalisierte soziale Begegnung?
       
       Seit ein paar Wochen erlebe ich zuverlässig einen Moment der Freude, wenn
       ich zu Budni, der Hamburger Drogeriekette, gehe: dann, wenn die Schlange an
       der Kasse, an der ein Mensch sitzt, länger ist als die [1][vor der
       Selbstkassiererkasse]. Ich nehme es als Zeichen des Protests, als
       Abstimmung mit den Füßen. Mal schauen wie lange noch.
       
       Fragt man bei der Pressestelle von Budni nach, so ist die Einführung der
       Selbstkassiererkassen ein reines Fest: schnelleren Service für die
       Kundschaft sollen sie bieten, die Reaktion von Personal und Kund:innen
       seien einhellig positiv, die Zunahme an Ladendiebstählen habe mit den neuen
       Kassen nichts zu tun. Und Personal werde deswegen nicht abgebaut.
       
       Fragt man Menschen außerhalb der Pressestellen, warum sie die Einführung
       der Selbstscannerkassen begrüßen, kommt zuverlässig ein Argument: Kassieren
       sei ein [2][Bullshitjob] und die Automatisierung eine Wohltat für die
       Betroffenen.
       
       Es ist ein Argument mit zwei interessanten Leerstellen. Zum einen gibt es
       zumindest im deutschsprachigen Raum keine aktuelle Studie, in der man
       Kassier:innen selbst zu ihrer Arbeitszufriedenheit befragt hätte. Zum
       anderen scheinen sich die Feinde des Bullshit-Kassierens nicht mit der
       Frage zu beschäftigen, was niedrigschwellige berufliche Alternativen für
       die Menschen sein können, [3][die man wegautomatisiert].
       
       ## Ist Kassieren ein „Bullshitjob“?
       
       Was macht denn das Kassieren zu einem Job, den es nicht geben sollte? Die
       Antwort ist ziemlich einfach: Geiz. Arbeitsteilung ist billig, daher
       rechnet es sich, Menschen ausschließlich fürs Kassieren abzustellen, um
       andere, noch schlechter Bezahlte, vor allem mit dem Einräumen der Regale zu
       beschäftigen. Es ist der gute alte Geist des Fordismus, den die
       wohlmeinenden Bullshitjobabschaffer:innen kritiklos übernehmen.
       
       Kein Mensch kommt auf die Idee, stattdessen zu fragen, wie ein guter
       Arbeitsplatz für Kassierer:innen aussehen würde, dabei gibt es längst
       Beispiele, von denen Arbeitspsychologinnen erzählen. Entscheidend sei, dass
       die Arbeit nicht auf das Sitzen an der Kasse beschränkt ist und Angestellte
       etwa auch an den Käse- und Fleischtheken oder beim Einräumen im Einsatz
       sind.
       
       Tatsächlich sagte eine Budni-Kassiererin genau das, als ich sie fragte, wie
       sie die Selbstscankassen fände: Sie kassiere nicht ungern, wenn sie
       dazwischen auch noch andere Aufgaben hat, zum Beispiel Ware einräumen.
       
       Soweit ich weiß, gehört Budni zu den eher angenehmen Arbeitgebern. Andere
       Märkte sind in Sachen Rationalisierung weiter und dünnen das Personal so
       schnell aus, dass die Politik über eine Automatensteuer nachdenken könnte.
       Stattdessen erwägt sie erweiterte Öffnungszeiten für vollautomatisierte
       Kleinstsupermärkte, aber das ist ein anderes trostloses Themenfeld.
       
       Das schnelle Abkassieren, mit dem Supermärkte der Kundschaft zuwinken,
       könnte man auch haben, wenn genügend Kassen besetzt wären, aber ach, die
       Personalkosten, der Fachkräftemangel. Stattdessen hat also die
       Selbstkassierstation Einzug gehalten und das natürlich nicht nur bei Budni,
       sondern auch bei Ikea, Rewe, Kaufland, Edeka, dm und wie die großen Ketten
       so heißen.
       
       ## An der Kasse stehen ist eine soziale Begegnung
       
       Dem Selbstkassieren folgt, wie die Fliege dem Mist, der Ladendiebstahl.
       Dass erheblich mehr gestohlen wird, liegt auch an Inflation und steigenden
       Preisen – aber eben auch an der Möglichkeit, selbst gezielt falsch oder gar
       nicht zu scannen. Das versetzt das Kassenpersonal, das – nun schlechter
       bezahlt übrigens – neben dem Scanner steht, in eine neue Rolle:
       Aufpasser:in zu sein gegenüber einer Kundschaft, die nun noch mehr unter
       Verdacht steht.
       
       Laut Heike Lattenkamp vom Verdi-Landesverband Hamburg ist das für die
       Angestellten „frustrierend und belastend“. Was ihnen entgeht, sollen neue
       Überwachungssysteme auskundschaften, zu denen die Unternehmen sich ungern
       äußern und [4][die in Pilotmärkten bereits getestet werden].
       
       Wie also sieht der Deal für die Kundschaft aus? Weniger Mensch an der Kasse
       + mehr Überwachung = mehr Lebenszeit für die Kund:innen?
       
       Fehlt nur das, was weicher Faktor genannt wird (diese Benennung ist so
       abschreckend, dass sie von einer Unternehmensberatung stammen muss): An
       einer Kasse zu stehen, bedeutet eine soziale Begegnung, die man nicht
       selbst kuratiert. Eine Kassiererin oder ein Kassierer ist kein Sozialbüro,
       aber es ist ein Mensch, mit dem man interagiert.
       
       Kürzlich stand ich an einer Supermarktkasse, deren Kassiererin zuverlässig
       mürrisch ist. Eine mittelalte Kundin in Jogginghose fragte nach einer
       Flasche Jägermeister. „Klein?“, fragte die Kassiererin. „Groß!“, sagte die
       Kundin. „Das gibt morgen Kopfschmerzen“, sagte die Kassiererin und es lag
       so etwas wie Wohlwollen in ihrer Stimme.
       
       Die Kassiererin kann die Person sein, die eine der wenigen oder die einzige
       ist, die wahrnimmt, wie es mit der mittelalten Kundin und der
       Jägermeisterflaschen-Größe so aussieht. Sie kann die einzige sein, die
       einen auffordert, kurz das Telefonat zu unterbrechen. Es kann die Person
       sein, die an einem apokalyptischen Morgen sowas sagt wie „gute Schuhe“, was
       inmitten der Apokalypse viel wert ist.
       
       Es ist sonderbar, dass die Kund:innen das Zeitsparversprechen so
       begeistert schlucken. Eigentlich könnten sie inzwischen begriffen haben,
       dass die digitale Effizienzmaschinerie nicht zu mehr quality time für sie
       geführt hat, sondern zu freudloser Atemlosigkeit. Haben sie aber nicht. Ich
       weiß nicht, ob die Protestschlange vor den menschlich besetzten Kassen
       lange erhalten bleibt, ich kann es nur hoffen.
       
       21 Nov 2025
       
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       ## AUTOREN
       
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