# taz.de -- Nachlass von David Bowie nun zugänglich: Der Thin White Duke zwischen Gothic und Gossip
       
       > Konzertmitschnitte, Archivzugänge und ein Buch über den Besuch des
       > britischen Popstars in einer Psychiatrie ermöglichen neue Zugänge zu
       > Bowies Œuvre.
       
 (IMG) Bild: Oswald Tschirtner und David Bowie 1994 in Gugging
       
       „David Bowie Will Never Die“ heißt ein Track der Techno-Produzentin Pilocka
       Krach von 2013. Drei Jahre später starb Bowie dann doch. An einem Punkt
       aber sollte die Berliner Musikerin recht behalten. Von den Welten, die
       Bowie geschaffen hat, gehen immer wieder kleine oder größere
       Inspirationswellen aus – bis heute.
       
       So ist mit „I Can’t Give Everything Away 2002–2016“ gerade das finale
       Boxset der „Era“-Reihe veröffentlicht worden. Eine Serie, die chronologisch
       durch das Gesamtwerk von David Bowie führt, zum Reinschnuppern geeignet,
       aber auch für Hardcore-Fans interessant wegen Bonusmaterial. Ein Schmankerl
       ist der bislang unveröffentlichte Mitschnitt vom Montreux Jazz Festival
       2002. An diesem Abend kam als Zugabe [1][sein Album „Low“ (1977)] in voller
       Pracht zur Aufführung.
       
       Neben den letzten Alben und der posthum veröffentlichten EP „No Plan“
       enthält die Box auch Remixe, alternative Versionen und ein Buch mit
       Zeichnungen, Handschriftlichem und Porträts des kongenialen japanischen
       Fotografen Masayoshi Sukita.
       
       ## Tiefschürfende Einblicke
       
       Tieferschürfende Einblicke darf man allerdings eher beim neu eröffneten
       David Bowie Centre, [2][einem Ableger des Londoner Victoria & Albert
       Museums] erwarten. Im V&A East Storehouse, das auf dem vormaligen
       Olympiagelände im Stadtteil Hackney zu finden ist, hat der Nachlass des
       Thin White Duke nun eine Heimat gefunden – in einem Museum mit 200
       wechselnden Exponaten.
       
       Vor allem ist das Zentrum aber ein Archiv. Zur Eröffnung wurde bekannt,
       dass der späte Bowie nicht nur mit „Blackstar“ (2016) sein eigenes Requiem
       komponiert und das Jukebox-Musical „Lazarus“ entwickelt hat. Der britische
       Popstar hatte darüber hinaus noch Energie für Abseitigeres. „The
       Spectator“, ein anderes (unvollendet gebliebenes) Musical sollte vom
       Londoner Kulturleben im 18. Jahrhundert erzählen – inspiriert von der
       gleichnamigen Tageszeitung (einem Vorläufer der bis heute existierenden
       Wochenzeitung).
       
       Der Ur-Spectator hatte von 1711 an einen kurzen Lauf, erschien nur knapp
       zwei Jahre, wurde aber in Kaffeehäusern leidenschaftlich rezipiert. Wie
       Ideen – in dem Fall das Konzept von Satire – in die Kultur einsickern,
       faszinierte Bowie offenbar bis zum Schluss. Und es war ihm kein Einfall zu
       klein oder zu abseitig! Sein Nachlass umfasst 90.000 Objekte, die nun
       jede:r aus dem Archiv anfordern kann.
       
       ## Tastende Suche
       
       Vielleicht finden sich dort ja Hinweise, welche Spuren Bowies Besuch im
       österreichischen Gugging hinterlassen hat. Auf eine tastende und doch
       thesenverliebte Suche hat sich der Literaturwissenschaftler (und
       gelegentliche taz-Autor) Uwe Schütte diesbezüglich mit seinem Buch
       „Sternenmenschen – Bowie in Gugging“ begeben; bebildert ist das Essay
       angenehm zurückhaltend mit Fotos der Österreicherin Christine de Grancy
       (1942–2025).
       
       Dort wo heute das Museum Gugging ist, befand sich einst die
       Niederösterreichische Landesnervenklinik – ein Ort mit teils abgründiger
       Geschichte. Schätzungen zufolge wurden dort während der
       nationalsozialistischen Diktatur über 2.000 Menschen ermordet. Seit den
       1950er Jahren wurde die Klinik auf Initiative des Psychiaters Leo Navratil
       dann zu einem Ort für Outsider Art, auch Art Brut genannt.
       
       1981 entstand für die begabtesten Patienten eine separate Wohneinheit, das
       „Zentrum für Kunst-Psychotherapie“. Dort lebte etwa August Walla, bekannt
       geworden durch Wandmalereien, die seine eigenwillige polytheistische
       Privatmythologie abbildeten; oder Oswald Tschirtner, mit seinen
       minimalistischen „Kopffüßler“-Zeichnungen.
       
       ## Gäste waren willkommen
       
       Navratils Nachfolger Johann Feilacher war nicht nur Psychiater, sondern
       zudem Maler und Bildhauer – und rückte die Kunst noch stärker in den Fokus.
       Ihm schwebte vor, dass die Patient:Innen gleiche Rechte und
       Möglichkeiten haben wie „gesunde“ Kunstschaffende. Die psychosoziale
       Einrichtung hieß fortan „Haus der Künstler“. Gäste waren willkommen –
       sofern sie zurückhaltend agierten.
       
       Und 1994 kam dann also auch Bowie. Die Hintergründe erklärt Schütte in
       einem vielschichtigen, etwas ausufernden Essay. In dem nimmt etwa Bowies
       Halbbruder viel Raum ein. Der zehn Jahre ältere Terry hatte Bowies
       kulturelle Sozialisation nachhaltig beeinflusst, erkrankte als junger
       Erwachsener aber an Schizophrenie und beging 1985 Selbstmord. Die Angst,
       eine ähnliche genetische Disposition zu haben, thematisierte Bowie immer
       wieder – ebenso wie sein Streben, diese Abgründe mit den Mitteln der Kunst
       von sich fern zu halten.
       
       Zu jener Zeit arbeitet Bowie mit Brian Eno an dem Album, das „1. Outside“
       (1995) heißen sollte; der Untertitel „The Diary of Nathan Adler or The
       Art-Ritual Murder of Baby Grace Blue: A non-linear Gothic Drama Hypercycle“
       verweist auf dessen Konzept. Nach Jahren im Stadion-Pop-Mainstream wollte
       Bowie Mitte der 1990er wieder zurück in avantgardistischere Gefilde.
       
       ## Geschmeidiges Amalgam
       
       Was ihm und Eno mit dem sperrigen und doch geschmeidigen Amalgam aus Jazz,
       Rock, Ambient und Industrial auch gelingen sollte. „Das bedeutete, dass
       wir uns psychologisch weitab der Knotenpunkte von Pop positionieren
       mussten“, umschrieb Bowie diesen Ansatz, für den der Besuch in Gugging wohl
       auch ein Puzzlestück war.
       
       Ein Bekannter Brian Enos, der Wiener Liedermacher und Impresario André
       Heller, sorgte dafür, dass ihr Besuch unter dem Radar der Presse blieb.
       Viel geredet wurde an dem Tag sowieso nicht, Bowie hielt sich an seinen
       Skizzenblock. Trotz seiner Zeit in Berlin in den 1970ern blieb sein Deutsch
       rudimentär, die Gugginger wiederum verstanden und sprachen kein Englisch.
       
       Und daher wollte etwa Walla – so berichtet es Schütte – wissen, was Bowie
       von Beruf sei. Heller dolmetschte. Als Bowie erklärte, er sei Musiker,
       holte Walla seine Trompete. Und verlor umgehend das Interesse, als es dem
       Gast nicht gelang, dem Instrument Hörenswertes zu entlocken. Mit
       „abwertender Handgeste in Richtung Bowie“ sei er in sein Zimmer
       entschwunden.
       
       ## Seltener Luxus: unerkannt bleiben
       
       Für den britischen Popstar war es ein seltener Luxus, dass ihn in Gugging
       niemand kannte. Er kam am nächsten Tag gleich wieder, ohne Entourage.
       „Keiner von ihnen wusste, dass er Künstler war. Ihre Aufrichtigkeit war
       faszinierend und manchmal beängstigend“ sollte er später erklären.
       
       Bowie näherte sich den Guggingern mit Unbefangenheit – was Christine de
       Grancy bemerkenswert fand und sich mit seinem familiären Hintergrund
       erklärte. „Er wirkte überhaupt nicht irritiert – das war auffallend“,
       erinnerte sich die Fotografin in einem Interview von 2017.
       
       Autor Uwe Schütte hat über die Recherche hinaus eigene Verbindungen ins
       „Haus der Künstler“. Sein Doktorvater, [3][der Schriftsteller und
       Literaturwissenschaftler W. G. Sebald], hatte über Ernst Herbeck geforscht,
       einen der wenigen Sprach-Künstler unter den Guggingern. Auf dessen Spuren
       war Schütte öfter im psychosozialen Zentrum – lange bevor er wusste, dass
       sich seine Wege da fast mit denen von David Bowie gekreuzt hatten.
       
       Mit autobiografischen Einschüben vermittelt Schütte Atmosphärisches aus dem
       Anstaltsleben. Und nimmt sich bei seinen thesenstarken, thematisch
       ausschweifenden, bisweilen arg muskulös mäandernden Assoziationsketten
       selbst gleich wieder an die Leine – wohl wissend, dass man mit
       kausalistischen Rückschlüssen von Werk auf Biografie schnell auf dünnem Eis
       unterwegs ist.
       
       Gerade bei einem schimärenhaften Künstler wie Bowie. Immerhin, ein Detail
       scheint gesichert: In dem Studio, in dem „1. Outside“ aufgenommen wurde,
       hingen zur Inspiration Kunstwerke aus Gugging an der Wand.
       
       18 Sep 2025
       
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