# taz.de -- Anschlag auf das Stromnetz in Berlin: Terror der Modernegegner
       
       > Ein Bekennerschreiben preist den Stromausfall für Tausende als
       > Kollateralschaden ein. Von wegen. Getroffen wurde die offene
       > Gesellschaft.
       
 (IMG) Bild: Der beschädigte Strommast am Königsheideweg
       
       Das Bekennerschreiben liest sich, als ob es Gegner*innen der Moderne
       verfasst haben, aus einer Perspektive des 19. Jahrhunderts. „Tausende
       Städte erwachen zum Leben, Millionen Menschen werden von dem schrillen
       Piepen ihres Weckers aus dem Schlaf gerissen, welcher den Beginn eines
       weiteren Tages der Monotonie und Apathie einläutet“, [1][heißt es in dem
       auf der Plattform indymedia veröffentlichten Beitrag]. „Einige
       Anarchist:innen“ bekennen sich darin zu dem Brandanschlag auf zwei
       Strommasten, der den mehrtägigen Stromausfall in Berlins Südosten ausgelöst
       hatte. Rund 50.000 Menschen waren damit zeitweise ohne Strom, der Notruf
       fiel flächendeckend aus. Die Polizei stuft das Schreiben als authentisch
       ein.
       
       Weiter ist in dem Text von Menschen die Rede, die zur Arbeit hetzen, die es
       in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr schaffen, Kontakt zueinander
       aufzubauen, weil alle auf ihre Bildschirme starren. Vom Blaulichtläm, der
       wiederum „die wenigen Vögel, die noch über der Stadt kreisen“ letzlich
       „erschrickt“ ist die Rede. Hier tropft aus jeder Zeile eine pathetisch vor
       sich hergetragene Überforderung mit einem Stadtleben, bei dem Menschen mit
       verschiedensten Lebensrealitäten aufeinanderprallen. Hier entlarvt sich die
       zutiefst spießige, nostalgisch-verklärende Sehnsucht nach einem Leben
       jenseits von irgendwelchen Komplexitäten und unberührt von real
       existierenden sozialen Unterschieden. Es klingt so, als sei den
       Verfasser*innen letztlich schon die Etablierung von Eisenbahnen und das
       Einsetzen von Telegrafenmasten zu viel gewesen.
       
       Und tatsächlich offenbart sich nicht nur in diesem Schreiben, sondern auch
       in der Tat ein großes Scheitern an der Komplexität vom Zusammenleben in der
       Stadt. Denn dass sie [2][ihre Mitmenschen mit dem Anschlag in Gefahr
       gebracht haben], das ist den Verfasser*innen des Schreibens komplett
       egal. „Wir bitten die Anwohner:innen, die davon in ihren privaten
       Haushalten betroffen waren, um Nachsicht“, heißt es in dem Bekenntnis zum
       Anschlag. „Trotzdem sehen wir diesen Kollateraltschaden als vertretbar an,
       im Gegensatz zur faktischen Zerstörung der Natur und der oft tödlichen
       Unterjochung von Menschen.“ Für [3][beides machen sie die im
       Technologiepark Adlershof ansässigen Firmen] verantwortlich.
       
       Auch die RAF huldigte der Idee, dass der Zweck die Mittel heiligt. Aus
       Sicht der Bekenner*innen verkörpert Adlershof den
       „militärisch-industriellen Komplex“ und ist damit ein legitimes
       Anschlagsziel auf dem Weg zu einem besseren Leben für alle. Zerstört haben
       sie Kabel, [4][getroffen aber haben sie die offene] Gesellschaft.
       
       ## Vertrauen ausgenutzt
       
       Denn die Strommasten, die angezündet zu haben die „Anarchist:innen“ sich
       rühmen, stehen in der Regel unbewacht. Allein das zeigt, wie sehr der
       Alltag und die Strukturen, die ihn ermöglichen, auch auf gegenseitiges
       Vertrauen aufbauen. Dass die Terrorist*innen dieses Vertrauen
       ausgenutzt haben, macht ihre Tat noch abgerückter von den Bedürfnissen der
       Menschen, für die sie irgendwie zu kämpfen vorgeben. Denn nicht einen
       militärisch-industriellen Komplex haben sie getroffen, [5][sondern die
       Grundlagen des Zusammenlebens empfindlich gestört]. Und damit genau das,
       was sie angeblichen Kriegstreibern vorwerfen.
       
       Auf der Suche nach dem guten Leben nehmen die Verantwortlichen des
       Anschlags sich heraus, [6][den Alltag von Tausenden abzuwerten und Menschen
       in ihrer Sicherheit zu gefährden]. Das ist verantwortungslos. Es ist eine
       brachiale Missachtung linker Ideen. Hier hat sich in den vergangenen Jahren
       etwa die Idee von „Care“ etabliert. Das meint, gegenseitig füreinander
       einzustehen und füreinander zu sorgen.
       
       Es ist das Gegenteil davon, die eigene abstruse Weltsicht auf Kosten von
       anderen durchzusetzen. Es erfordert Kompromisse, einen offenen Blick
       füreinander und für die gegenseitigen Bedürfnisse und die Erkenntnis, dass
       viele Dinge vielschichtig sind und Realitäten nebeneinander stehen können.
       Terroristen dagegen wollen nur reinrocken. Auch das diskreditiert sie als
       Kompliz*innen im Kampf für das gute Leben.
       
       12 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://de.indymedia.org/node/537364
 (DIR) [2] /Stromausfall-in-Berlin/!6105502
 (DIR) [3] /Stromausfall-in-Berlins-Suedosten/!6112449
 (DIR) [4] /Stromausfall-in-Berlin-beendet/!6113539
 (DIR) [5] /Nach-Brandanschlag-auf-Strommasten-/!6109290
 (DIR) [6] /Nach-Brandanschlag-auf-Strommasten-/!6109290
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uta Schleiermacher
       
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