# taz.de -- Debatte über staatliches „Grunderbe“: Blühende Erbschaften
> Die Ostbeauftragte schlägt ein „Grunderbe“ vor, um die
> Vermögensungleichheit zwischen Ost und West zu mindern. Ohne
> Vermögenssteuer wird das nichts.
(IMG) Bild: Hier an der Gedenkstätte Bernauer Straße, anderswo noch in den Köpfen: die Überbleibsel der Mauer
Ost und West verstehen sich nicht. Immer noch nicht? Wohl eher: Wieder
nicht. Hatten Menschen in Ost wie West bis vor einigen Jahren das Gefühl,
dass tatsächlich zusammenwächst, was zusammengehört, um mal eine
Wiedervereinigungsfloskel zu bemühen, bricht es jetzt auseinander. Im
Westen sagen laut einer [1][Forsa-Umfrage] 61 Prozent der Menschen, dass
sie eher „Trennendes“ sehen, im Osten sind es sogar 75 Prozent. Was ist
passiert, dass Ossis und Wessis sich wieder stärker beargwöhnen, anstatt in
der Kneipe miteinander Soljanka und Rheinischen Sauerbraten zu tauschen?
Um das zu verstehen, ist ein Blick in die Statistik hilfreich. Und der
offenbart, dass die Lücke nicht zwischen Ost und West klafft, sondern
zwischen Gefühl und Realität. So belegen die zahlreichen [2][Studien des
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung], dass es den Menschen
insgesamt, von individuellen Unterschieden mal abgesehen, besser geht als
vor 35 Jahren – und das in Ost und West. Einkommen, Vermögen, Wohneigentum
haben sich angeglichen, der Osten hat aufgeholt.
Wenngleich sich hier tatsächlich nach wie vor Gräben auftun. So liegt der
Durchschnittsbruttoverdienst laut einer Studie der
[3][Hans-Böckler-Stiftung] im Westen aktuell bei 4.800 Euro, im Osten bei
rund 4.000 Euro. Im Westen wohnen 45 Prozent der Menschen in Eigenheimen,
im Osten sind es 31 Prozent. Und so geht das weiter: Ostdeutsche sind
seltener in Führungspositionen und politischen Entscheidungsgremien zu
finden, die Zonen zwischen Binz und Annaberg-Buchholz werden wegen der
hohen AfD-Wahlergebnisse gern als Dunkeldeutschland verunglimpft.
Das ist alles richtig – und trotzdem kein Grund, alles, was bisher
erfolgreich war, infrage zu stellen. Schauen wir allein in die ostdeutschen
Kommunen: sanierte Plattenbauten, befestigte Gehwege, ausgebaute
Infrastruktur. Es blüht zwar nicht jede Landschaft, aber es gibt auch keine
Brachflächen mehr wie vor 35 Jahren.
## Unterschiede zwischen Stadt und Land
Zur Wahrheit gehört ebenso, dass die größten wirtschaftlichen Unterschiede
nicht im Ost-West-Vergleich zu finden sind, sondern zwischen Stadt und
Land. Um es kurz und salopp zu sagen: Menschen in den Städten geht es in
der Regel wirtschaftlich besser als jenen auf dem Land.
Der Grund: Landflucht, vor allem der jungen Leute. Ländliche Strukturen
sind für junge Menschen und Familien nur dort interessant, wo sie im
Speckgürtel größerer Städte liegen. Nur dort gibt es ausreichend
(attraktive) Arbeitsplätze, Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen,
Einkaufsmöglichkeiten und im besten Fall auch eine gute Bus- oder
Bahnverbindung. Wo das nicht gewährleistet ist, ziehen die Menschen weg,
was zwangsläufig zum Verfall ländlicher Regionen und verständlicherweise zu
einer größeren Unzufriedenheit führt – unabhängig von der deutschen
Einheit.
Um die materiellen [4][Ost-West-Unterschiede zu untermauern, werden
mittlerweile gern Erbschaften herangezogen]. Grundsätzlich wird viel
vererbt, jede und jeder dritte Erbe darf sich über rund 100.000 Euro
freuen.
An dieser Stelle allerdings ist das Ost-West-Gefälle besonders krass: In
Baden-Württemberg, Hessen und dem Saarland sind Erbschaften mit über 50.000
Euro normal, während sich Erben im Osten mit weit unter 50.000 Euro
abfinden müssen. Das würde die Ostbeauftragte Elisabeth Kaiser gern
ausgleichen und schlägt ein „Grunderbe“ vor: ein Startkapital, vom Staat
finanziert.
## Ein klein wenig Gerechtigkeit
Die Idee hat Charme, weil sie nicht vordergründig auf den
Ost-West-Ausgleich fokussiert, sondern auf den erheblichen Unterschied
zwischen Arm und Reich. Etwa 1,5 Prozent der Erwachsenen in Deutschland
kann über ein Nettovermögen von mindestens 1 Million Euro verfügen, während
die vermögensarme Hälfte nur wenige Tausend Euro besitzt. Zieht man heran,
dass jede und jeder vierte Milliardär dieses Vermögen nicht selbst
erarbeitet, sondern geerbt hat, würde ein Grunderbe tatsächlich für ein
klein wenig Gerechtigkeit sorgen.
Doch so schön die Idee auch klingt, so unrealistisch ist sie derzeit. Die
Bundesregierung debattiert über eine Bürgergeldreform und will von einer
Vermögenssteuer nichts hören. Die Botschaft ist klar: Dort, wo das Geld
sitzt, soll es auch bleiben, und dort, wo kaum etwas ist, wird es noch
weniger. Und das ist kein Ost-West-Problem, sondern ein gesamtdeutsches.
3 Oct 2025
## LINKS
(DIR) [1] https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/sites/default/files/uploads/files/2025-09/45202_f24.0387_Einheit%20und%20Erinnerungskultur.pdf
(DIR) [2] https://www.diw.de/de/diw_01.c.911745.de/publikationen/wochenberichte/2024_34_1/zufriedenheit_mit_einkommen__arbeit_und_gesundheit_unterscheidet_sich_nach_haushaltseinkommen__alter_und_elternschaft.html#section1
(DIR) [3] https://www.boeckler.de/data/pm_wsi_2025_09_30.pdf
(DIR) [4] https://www.quirinprivatbank.de/pm/jeder-dritte-will-mehr-als-eine-viertel-million-euro-vererben
## AUTOREN
(DIR) Simone Schmollack
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