# taz.de -- Kommunalwahlkampf in Nordrhein-Westfalen: Wagenknecht schaut vorbei
       
       > In Duisburg bejubeln etwa 300 Menschen die BSW-Parteigründerin. Doch beim
       > Kampf um Ratsmandate in NRW dürfte ihr BSW schlecht abschneiden.
       
 (IMG) Bild: Endlich: Sahra Wagenknecht kommt spät zur Veranstaltung in Duisburg, aber sie kommt
       
       Duisburg taz | Es ist kurz vor 18 Uhr am Donnerstagabend, als
       BSW-Generalsekretär Christian Leye auf der Bühne, die das Bündnis Sahra
       Wagenknecht mitten in Duisburgs Fußgängerzone aufgebaut hat, merklich
       nervös wird: „Die Ankunft der Hauptrednerin verzögert sich etwas“, erklärt
       der 44-jährige Ex-Bundestagsabgeordnete den etwa 300 Menschen, die zur
       „zentralen Wahlkampfveranstaltung“ der [1][im Januar 2024 gegründeten
       Partei] gekommen sind. „Und mein Redemanuskript“, sagt Leye etwas gequält,
       „ist zu Ende“.
       
       Also redet Leye, der zuvor schon Duisburgs hohe Arbeitslosenquote, die mit
       dem massiven Schrumpfkurs beim Stahlkocher Thyssenkrupp drohende
       „Deindustriealisierung“, Armut, Milliardenschulden der Stadt und die daraus
       folgende Wut der Menschen gerade hier im Ruhrgebiet beklagt hat, einfach
       weiter über das, was ihm so gerade einfällt.
       
       Doch wenige Minuten später kann Leye aufatmen. Anabella Peters,
       stellvertretende Landesvorsitzende des BSW in Nordrhein-Westfalen, die als
       Moderatorin durch die Veranstaltung führt, deutet aus dem Hintergrund auf
       eine schwere schwarze Audi-Limousine mit Berliner Kennzeichen, die sich aus
       einer Seitenstraße nähert. Ihr entsteigt die Parteigründerin und -chefin,
       die hier viele noch immer als eine Art Heilsbringerin feiern.
       
       „Toll, dass ihr da seid“, begrüßt Wagenknecht, um die es nach dem mit 4,9
       Prozent denkbar [2][knapp verpassten Einzug in den Bundestag] still
       geworden war, die nach dem [3][Streit um Fundamentalopposition oder
       Regierungsfähigkeit in Thüringen] abgetaucht schien, das Publikum. Auch die
       Ex-Ikone der Linken bedient das Ressentiment gegenüber dem von vielen hier
       als abgehoben empfundenen Politikbetrieb.
       
       ## Wagenknechts Lieblingsthema: Krieg und Frieden
       
       Inhaltlich habe der Wechsel der Bundesregierung von Scholz zu Merz nichts
       verändert, klagt Wagenknecht: „Der ganze Mist geht weiter“, wertet sie die
       politische Konkurrenz pauschal ab. „Was geht im Kopf vieler Politiker vor“,
       das frage sie sich immer öfter – und bringt als Beispiele die Diskussion um
       ein späteres Renteneintrittsalter, den zu geringen Mindestlohn, drohende
       Altersarmut. „Wo ist die SPD“ – das frage sie sich nicht nur, wenn
       CDU-Kanzler Friedrich Merz den Sozialstaat für „nicht mehr finanzierbar“
       erkläre.
       
       Die leeren Kassen – das bringt die 56-Jährige zu ihrem Lieblingsthema:
       Krieg und Frieden, darunter macht Wagenknecht auch im NRW-Kommunalwahlkampf
       nicht. Die Verknüpfung von hohen Rüstungsausgaben auf Bundesebene und
       Sorgen vor Ort: Das ist das zentrale Motiv der BSW-Wahlkampagne im Kampf um
       die Rathäuser in größten Bundesland. „Mieten unbezahlbar. Aber Milliarden
       für Waffen“, oder „Wir ersticken an Energiekosten. Aber Milliarden für
       Waffen“, heißt es auf den Plakaten ihrer Partei etwa.
       
       Der „größte Wahlbetrug“ der neuen schwarz-roten Bundesregierung sei die
       schuldenfinanzierte milliardenschwere Wiederaufrüstung der Bundeswehr,
       erklärt die BSW-Namensgeberin deshalb. Merz’ „Kompagnon“, SPD-Chef Lars
       Klingbeil, sei in die Ukraine gereist und habe dem von Russland
       überfallenen Land jährlich „neun Milliarden Euro für
       Waffenlieferungen„zugesagt. „Und hier können wir uns den Sozialstaat nicht
       mehr leisten“, empört sich Wagenknecht. „Man verkauft uns für doof“,
       umgarnt sie ihre Zuhörer:innen: „Wir als BSW sind die Stimme derer, die das
       nicht wollen.“
       
       Den größten Applaus kassiert Wagenknecht aber, wenn sie die Israel-Politik
       der Bundesregierung als „Verlogenheit“ geißelt. Natürlich verurteile sie
       den Terrorangriff der Hamas auf Israel mit seinen über 1.000 Todesopfern
       als „Massaker“, erklärt sie pflichtschuldig. Das Vorgehen der Regierung von
       Israels umstrittenen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu aber habe „mit
       Selbstverteidigung nichts mehr zu tun“, sei ein „barbarischer
       Vernichtungsfeldzug gegen die Palästinenser“. Das Publikum johlt.
       
       ## BSW schwächelt im tiefen Westen
       
       Doch ob das reicht, das BSW in viele Stadträte zu bringen, ist zumindest
       zweifelhaft. In landesweiten Umfragen rangiert die Wagenknecht-Partei unter
       „Sonstige“, kommt gerade einmal auf zwei bis drei Prozent. Bei der
       Bundestagswahl im Februar war sie noch bei 4,1 Prozent gelandet, was
       bereits unter ihren Erwartungen lag.
       
       Im Gegensatz zum Osten, wo das BSW nicht nur in Thüringen, sondern auch in
       Brandenburg mitregiert, hat die Partei hier im Westen nie wirklich Fuß
       fassen können – und das, obwohl gerade im Ruhrgebiet etliche [4][führende
       Funktionäre der Linkspartei Wagenknecht gefolgt] sind. So war BSW-General
       Christian Leye, dem die Landesliste der Linken bis zum vergangenen Februar
       ein Bundestagsmandat beschert hatte, noch 2021 Landesvorsitzender und
       Direktkandidat der Linkspartei in Duisburg.
       
       Der amtierende BSW-Landeschef Amid Rabieh war vor seinem Wechsel
       Geschäftsführer der Linken-Ratsfraktion in Bochum, wo die
       Wagenknecht-Vertraute und Ex-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen schon
       Monate vor Gründung des BSW jeden Hinweis auf die Linkspartei an ihrem
       Wahlkreisbüro getilgt hatte. Die Folge war eine [5][Implosion der Bochumer
       Ratsfraktion der Linken], die fünf ihrer sechs Ratsmitglieder verlor.
       
       „Einen wesentlichen Verlust an Parteimitgliedern hatten wir aber nicht“,
       sagt der letzte verbliebene Ratsherr der Bochumer Linken, Horst Hohmeier,
       dazu. Deren Zahl sank in Bochum zwar zunächst von rund 250 auf 200. Doch
       danach profitierten die Genoss:innen hier [6][wie auch anderswo von dem
       Hype], den vor allem [7][die heutige Bundestagsfraktionschefin Heidi
       Reichinnek] der Partei beschert hat: Mittlerweile zählt die Linke in der
       Ruhrgebietsstadt 900 Mitglieder – eine Verdreifachung der Zahl vor dem
       Auszug der Wagenknecht-Jünger.
       
       ## Linkspartei nach Abgang der Wagenknecht-Fans im Aufwind
       
       „Wahnsinnig spannend“ sei der Mitgliederboom, sagt Ratsherr Hohmeier: „Es
       sind total viele junge Leute in die Partei eingetreten“ – und „unheimlich
       empathisch“ und „wertschätzend“ kommunizierten die. „Ganz anders als
       früher“, sagt Hohmeier dazu: „Es ist ein Wahnsinn – teilweise sind uns
       sogar die Parteiausweise ausgegangen und mussten nachgedruckt werden.“
       
       Dabei steht Bochum stellvertretend für ganz Nordrhein-Westfalen. Zählte der
       Linken-Landesverband am Tag des Parteiaustritts von Wagenknecht am 23.
       Oktober 2023 nur 7.232 Genoss:innen, sind es aktuell 21.873, heißt es aus
       der Düsseldorfer Landeszentrale.
       
       Ablesbar ist das auch an den Wahlergebnissen: Bei der Bundestagswahl konnte
       die Linkspartei in NRW ihr Ergebnis mit 8,3 Prozent im Vergleich zur Wahl
       2021 mehr als verdoppeln. In Bochum stieg die Zahl der Zweitstimmen von 5,2
       auf 11,5 Prozent, in Bonn von 5,4 auf 12,4 Prozent, in Münster von 5 auf
       12,5 Prozent und in Duisburg von 4,7 auf 10,7 Prozent.
       
       In Nordrhein-Westfalens einziger Millionenstadt Köln habe das BSW erst gar
       „keine substanzielle Verankerung aufbauen“ können, heißt es in einem Papier
       des Linken-Landesverbands. Kein einziges Ratsmandat sei in Köln verloren
       gegangen – und das, obwohl mit [8][Carolin Butterwegge die letzte
       Linken-Landtagswahlspitzenkandidatin] Wagenknecht gefolgt ist. In der
       Domstadt steigerte sich die Linkspartei bei der Bundestagswahl von 5,8 auf
       14,9 Prozent.
       
       ## Kein flächendeckender Wahlantritt des BSW
       
       Das BSW dagegen bleibt nicht nur gemessen an den Wahlergebnissen, sondern
       auch personell schwach. Von „400 bis 450 Mitgliedern“ spricht
       BSW-Landesgeschäftsführer Günter Blocks, bei den NRW-Kommunalwahlen
       Spitzenkandidat für das Ruhrparlament. Die geringe Zahl ist eine direkte
       Folge der äußerst restriktiven Aufnahmepolitik, die das BSW immer noch
       fährt: Aus Angst vor Trollen und Querulant:innen muss noch immer jeder
       einzelne Parteibeitritt von der Berliner BSW-Parteizentrale genehmigt
       werden.
       
       In Ostwestfalen etwa kann das BSW deshalb nur in Bielefeld und Paderborn
       antreten. Im Rest der Region steht die Wagenknecht-Partei schlicht nicht
       auf den Stimmzetteln. Nach eigenen Angaben tritt das BSW nur in 47 Kommunen
       an. In Nordrhein-Westfalen gibt es insgesamt 427 Kommunen: 396 Städte und
       Gemeinden sowie 31 Kreise.
       
       Die Wagenknecht-Fans, die am Donnerstagabend in Duisburg vor der BSW-Bühne
       stehen, ficht das jedoch nicht an. „Aus dem Herzen gesprochen“ habe ihr die
       Parteigründerin, sagt etwa eine 76-jährige Rentnerin. Wagenknecht habe
       „Themen angesprochen, die von der normalen Politik schöngeredet werden, wie
       hier die Schulen und die Straßen aussehen“, sagt der 48-jährige Kolja
       Schmidt, der in einem Callcenter arbeitet. „Endlich sagt mal eine: Wir
       wollen nicht die Milliarden in den Krieg und die Rüstung stecken – sondern
       nach dem schauen, was die normalen Menschen hier eigentlich brauchen.“
       
       Wieviele Wähler:innen im bevölkerungsreichsten Bundesland das auch so
       sehen, wird sich am 14. September zeigen. Mit größerer Unterstützung ihrer
       Parteichefin können die BSW-Wahlkämpfer:innen bis dahin allerdings nicht
       mehr rechnen: Wagenknecht selbst will in den kommenden Wochen nur noch ein
       einziges Mal in NRW vorbeischauen – in Wuppertal, drei Tage vor den
       Kommunalwahlen.
       
       29 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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