# taz.de -- Tödlicher Polizeieinsatz in Brandenburg: Ein Toter, zwei Polizisten, keine Anklage
> Im April 2023 starb Vitali Novacov nach einem Polizeieinsatz in Königs
> Wusterhausen. Trotz Ungereimtheiten wurde das Verfahren gegen die Beamten
> eingestellt.
(IMG) Bild: Ermittelt nicht mehr gegen ihre Kollegen: die Polizei Brandenburg
Berlin taz | Vitali Novacov war zwei Tage tot, als seine Familie davon
erfuhr. Ein Mitarbeiter der moldauischen Botschaft rief an und sagte, dass
Novacov in eine Konfrontation mit der Polizei geraten und mit Pfefferspray
besprüht worden sei. Danach sei er im Krankenhaus gestorben.
Eine stark verkürzte und beschönigende Darstellung des Polizeieinsatzes,
wie sich später herausstellte. Der Anruf erreichte Ivan Novacov im April
2023. Seitdem warten er, Vitali Novacovs Ex-Frau und sein jugendlicher Sohn
auf Aufklärung und einen Gerichtsprozess. Wieso wurde Vitali Novacov vor
seinem Wohnhaus im brandenburgischen Königs Wusterhausen von der Polizei
festgenommen? Wieso wurde er auf den Boden gedrückt und starb einen Tag
nach seiner Festnahme im Krankenhaus?
Diese Fragen bleiben nun ungeklärt, denn wie die taz erfuhr, stellte die
Staatsanwaltschaft Cottbus das Verfahren gegen die zwei beschuldigten
Polizeibeamten Anfang August ein. Es wird keine Anklage erhoben.
## Widersprüchliche Festnahme
Dass die Öffentlichkeit von dem Fall erfahren hat, lag auch an Recherchen
der taz. [1][Sie berichtete 2023 über Novacovs Tod] und die Widersprüche
rund um die Festnahme:
Vitali Novacov ist Anfang 2023 nach Königs Wusterhausen gezogen, um dort
als Bauarbeiter zu arbeiten. Vorher hat der 45-jährige gebürtige Moldauer
in Russland und Bulgarien gearbeitet. Am 11. April 2023 soll er abends vor
seinem Wohnhaus randaliert haben, woraufhin Anwohner die Polizei rufen. Die
Beamten nehmen Novacov fest, zwei Anwohner helfen mit. Sie drücken ihn auf
den Bauch, fesseln ihn mit Handschellen, als er am Boden liegt. Novacov
wehrt sich, die Polizisten drücken seinen Kopf in den Sand. Einer der
Anwohner soll Novacov mit der Faust auf den Kopf geschlagen haben, bis er
geblutet hat. [2][So steht es in den Ermittlungsakten, die der taz in
Teilen vorliegen].
Novacov wird bewusstlos, sein Herz hört auf zu schlagen. Die Polizisten
versuchen, den am Boden liegenden Mann zu reanimieren, aber schaffen es
nicht. Der gerufene Notarzt reanimiert weiter, nach etwa 30 Minuten schlägt
Novacovs Herz wieder. Er wird in ein Berliner Krankenhaus eingeliefert.
Doch am nächsten Nachmittag stirbt Vitali Novacov dort.
Auf dem Totenschein vermerkt der behandelnde Arzt einen Sauerstoffmangel im
Hirn als Todesursache. Novacov ist erstickt, „durch gewaltsames
Zu-Boden-Drücken von Gesicht und Thorax in Bauchlage“.
Die Staatsanwaltschaft begründet die Einstellung des Verfahrens damit, dass
keine eindeutige Todesursache festgestellt werden konnte, wie ihr
Pressesprecher am Telefon erklärt. Nach den Untersuchungen durch zwei
Rechtsmediziner sei ein lagebedingter Erstickungstod am wahrscheinlichsten,
aber man bewege sich eben im Wahrscheinlichkeitsbereich. [3][Dass Vitali
Novacov erstickt ist, könne durch die Bauchlage bedingt gewesen sein],
durch das eingesetzte Pfefferspray, aber auch durch die Stresssituation
zuvor. Novacov sei ja aufgeregt durch den Garten gelaufen. Nicht
nachweisbar seien ein Würgen oder Abschnüren der Halsluftzufuhr. „Die
Zeugen haben angegeben, dass keiner der Beamten auf ihm gekniet hat“, sagt
der Staatsanwalt. Am Ende hätten „ungünstige Umstände“ zu Novacovs Tod
geführt, die den Beteiligten nicht zugeordnet werden könnten.
Julian Muckel vom Verein Opferperspektive Brandenburg berät die Familie des
Verstorbenen seit seinem Tod. „Wenn es sich um eine Situation zwischen
Bürger:innen und keinen Polizeieinsatz gehandelt hätte, würde dieser
Fall zur Anklage kommen“, sagt Muckel. „Aber offenbar geht die
Staatsanwaltschaft an die Sache mit einem anderen Besteck ran.“
Muckel findet, der Tathergang werde ausgeklammert. Dass ein Mann von der
Polizei so lange auf den Boden gedrückt wurde, dass er danach gestorben
ist. Stattdessen argumentiere die Staatsanwaltschaft mit einer nicht
ausreichenden Wahrscheinlichkeit seines Erstickungstodes. „Woran soll er
sonst gestorben sein?“, fragt Muckel. „Ohne den Polizeieinsatz wäre Vitali
Novacov noch am Leben“, sagt Muckel.
Im Fall Novacov sind mehrfach Ungereimtheiten aufgetreten. Die
brandenburgische Polizei beschlagnahmte nach taz-Recherchen Novacovs
Kleidung und eine Blutprobe in der Klinik, obwohl die Durchsuchung nicht
angeordnet war. Am Tag nach der Festnahme meldete die Polizei, dass Vitali
Novacov das Bewusstsein verloren habe, die Handfesseln gelöst worden seien
und Erste Hilfe geleistet wurde. Der zur Hilfe gerufene Notarzt schrieb in
seinem Einsatzbericht, dass Vitali Novacov noch mit Handschellen fixiert
war, als er am Tatort eintraf und die Polizisten versuchten, den am Boden
liegenden Mann zu reanimieren. Eine Herz-Druck-Massage mit angelegten
Handschellen ist schwierig. In der Notfallmedizin wird die Fixierung von
bewusstlosen Menschen generell als gefährlich betrachtet.
Julian Muckel von der Beratungsstelle Opferperspektive Brandenburg sagt, er
habe in den letzten zwei Jahren ein interessengeleitetes Verfahren erlebt.
Es habe schon mit der ersten Polizeimeldung begonnen, in der stand, dass
sich Vitali Novacov „unberechtigt auf einem Grundstück“ aufgehalten habe –
dabei lief er durch den Vorgarten seines Wohnhauses. Es sei vermutet
worden, dass Novacov Alkohol getrunken oder Drogen konsumiert habe, sagt
Muckel. Die Bluttests ergaben: Novacov war nüchtern.
Und Muckel fragt: „Warum ermittelten die Beamten in eigener Sache?“ Nachdem
Novacov mit dem Krankenwagen abtransportiert worden war, befragten die zwei
beschuldigten Polizisten Zeugen am Tatort – obwohl eine andere,
unbeteiligte Streife vor Ort war. Der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft
Cottbus vermutet: „wegen Dienstbeflissenheit“.
Der Anwalt von Novacovs Familie hat bei der Generalstaatsanwaltschaft in
Brandenburg Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens eingelegt. Er
betrachte es als rechtsstaatswidrig, dass beschuldigte Beamte in einer
Sache ermitteln, die sie selbst betrifft, sagt Muckel.
Vernehmungsprotokolle, die unter solchen Umständen entstehen, halte der
Anwalt für unbrauchbar.
Novacovs Familie sei fassungslos darüber, dass die Polizisten nicht vor
Gericht kommen. Ihre letzte Hoffnung liege jetzt bei der brandenburgischen
Generalstaatsanwaltschaft. „Ansonsten ist ihr Vertrauen in den Rechtsstaat
Deutschland komplett gebrochen“, sagt Muckel.
Die Staatsanwaltschaft Cottbus führt die Anklage gegen den Nachbarn, der
Vitali Novacov gegen den Kopf geschlagen haben soll, losgelöst vom
bisherigen Verfahren fort. Wegen einfacher Körperverletzung.
28 Aug 2025
## LINKS
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## AUTOREN
(DIR) Sophie Fichtner
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