# taz.de -- Köln wählt am Sonntag: Eine Grüne, die bei Linken beliebt ist
       
       > Berîvan Aymaz will Bürgermeisterin der größten Stadt in
       > Nordrhein-Westfalen werden. Verschiedene Milieus schätzen die
       > Deutsch-Kurdin. Reicht das zum Regieren?
       
 (IMG) Bild: Wahlkampf ist Nahkampf: Berîvan Aymaz Anfang September auf der Suche nach Wähler:innen-Kontakt in Köln-Mülheim
       
       Berîvan Aymaz kämpft. Unterstützt von einem knappen Dutzend
       Parteifreund:innen der Grünen läuft die 53-Jährige Anfang September
       über den Wiener Platz im rechtsrheinischen Stadtteil Mülheim. Hier ist
       gerade Markt. Ein knappes Dutzend Händler:innen verkaufen Obst und
       Gemüse, dazu Süßigkeiten, Kleidung und Accessoires – und überdecken so die
       Tristesse: Wie viele öffentliche Orte in Köln ist auch der von mittelhohen,
       quadratisch-schmucklosen Zweckbauten umbaute Wiener Platz zugepflastert.
       Nur am Rand können einige wenige Bäume im Sommer Schatten werfen.
       
       Die Landtagsabgeordnete, die bei den am Sonntag anstehenden Kommunalwahlen
       Oberbürgermeisterin von Deutschlands viertgrößter Stadt werden will, setzt
       hier auf den Direktkontakt zu den Bürger:innen. „Am 14. September ist
       Kommunalwahl“, spricht Aymaz potenzielle Wähler:innen an – und drückt
       ihnen Flyer mit ihrem Konterfei in die Hand, auf denen sie bezahlbare
       Wohnungen, besseren Nahverkehr, mehr Klimaschutz, aber auch mehr Sicherheit
       im öffentlichen Raum verspricht. „Gehen Sie wählen, unterstützen Sie mich“,
       bittet die Kandidatin.
       
       Die Bitte hat für Aymaz eine gewisse Dringlichkeit: Die letzten Umfragen
       sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus: Bei der Direktwahl des
       Stadtoberhaupts würden sich gerade einmal 13 Prozent für Aymaz entscheiden.
       Doch auch der Erstplatzierte, der Sozialdemokrat Torsten Burmester, bis
       Ende 2024 Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbunds, kommt
       gerade einmal auf 15 Prozent Unterstützung, ermittelte Forsa Ende August.
       Und auch für den CDU-Kandidaten Markus Greitemann, bisher Baudezernent in
       Köln, ist die Stichwahl, also das unvermeidbar scheinende Rennen zwischen
       den beiden Bestplatzierten, mit 11 Prozent noch in Reichweite.
       
       Hier im Arbeiter:innen-Stadtteil Mülheim aber, wo die Arbeitslosenquote
       rund 50 Prozent über der 9,3-Prozent-Quote der Gesamtstadt liegt, hat Aymaz
       eine Art Heimspiel: Mülheim liegt rechtsrheinisch auf der „Schäl Sick“:
       hier befindet man sich auf der Seite des Rheins, auf die viele der
       Kölner:innen, die linksrheinisch rund um Dom und Altstadt wohnen, noch
       immer etwas herablassend herunterblicken. Fast 50 Prozent der Menschen hier
       haben einen Migrationshintergrund. Und die Kandidatin, die als Parteilinke
       gilt, spricht mit nicht wenigen Türkisch oder Kurdisch.
       
       Aymaz wurde 1972 in Bingöl, einer kurdischen Provinz in der Türkei,
       geboren. Mit sechs Jahren kam sie zusammen mit Mutter und Bruder ins
       benachbarte Bonn – ihr Vater, zuvor Bürgermeister ihrer Geburtsstadt, war
       dort Kulturattaché der türkischen Botschaft geworden. Doch ein
       Regierungswechsel in der Türkei kurz vor dem Militärputsch von 1980 änderte
       alles. Aymaz’ Vater wurde wegen seiner kurdischen Herkunft abberufen und
       weigerte sich, in die Türkei zurückzukehren.
       
       „Er wusste, was ihm drohte“, hat Aymaz einmal während eines langen
       Gesprächs in ihrem Landtagsbüro erzählt – die Grüne ist Vizepräsidentin des
       nordrhein-westfälischen Landesparlaments. Nahe Verwandte, hatte Aymaz
       damals erzählt, seien in der Türkei verhaftet und gefoltert worden.
       
       Doch auch in Deutschland waren die Folgen der Repression für die Familie
       dramatisch: „Auf einmal waren wir ohne Pässe, papierlos“, erinnert sich die
       Grüne. Ihr Vater, der ehemalige Kulturattaché, versuchte, seine Familie als
       Gemüsehändler durchzubringen. Später sicherte sein ursprünglicher
       Lehrerberuf den Aufenthaltsstaus der Familie.
       
       Auf dem Wiener Platz, während Aymaz’ Wahlkampftour: Freundschaftlich, fast
       herzlich, reagiert Elif Kabukcu auf die Kandidatin. Das Gespräch zwischen
       den beiden Frauen wechselt immer wieder zwischen Deutsch und Türkisch.
       „Eigentlich bin ich Mitglied der Linken. Und deren Kandidat:innen für
       den Stadtrat und die Bezirksvertretung habe ich per Briefwahl auch schon
       gewählt“, sagt die 50-jährige Kabukcu. „Als Oberbürgermeisterkandidatin
       habe ich mich aber für Berîvan Aymaz entschieden.“ Wohl auch, weil dem
       l[1][inken Spitzenkandidaten Heiner Kockerbeck kaum Chancen eingeräumt
       werden, es in die Stichwahl zu schaffen].
       
       „Ich unterstütze Berîvan Aymaz, weil sie die Wohnungsnot, die Situation von
       obdachlosen Menschen, die Rechte von Frauen und von queeren Menschen klar
       thematisiert“, sagt Kabukcu. „Tiefgreifend“ seien die sozialen Probleme in
       Köln, erklärt die Alleinerziehende, die während Corona eine Gruppe für
       Ein-Eltern-Familien in Köln-Mülheim gegründet hat. „Schicksale“ habe sie
       dort kennengelernt, sagt Kabukcu – etwa die Mutter mit schweren
       Depressionen, die keine Klinik findet, die sie gemeinsam mit ihrem Kind
       aufnehmen kann: Wartezeiten von einem Jahr seien keine Seltenheit.
       
       Kabukcu erzählt von anderen Fällen: Von einer Mutter, die mit ihrem
       fünfjährigen Kind ohne feste Wohnung sei, von Woche zu Woche zwischen
       Freunden und Bekannten wechsle. Das Kind gehe deshalb nicht mehr regelmäßig
       in die Kita. Und überhaupt: Die „chronische Unterversorgung mit Kitaplätzen
       insgesamt“ sei in Köln ein Problem. Diskussionen über einen besseren
       Nahverkehr, enger getaktete Busse und Bahnen seien dagegen nachgerade
       „Luxusthemen“, findet sie.
       
       Auch Mario Gast hat bereits für Aymaz gestimmt. Seine Sorgen will der
       64-Jährige der Kandidatin an diesem Tag trotzdem mitgeben: Gast spricht
       über Kölns neue Schulden von fast 400 Millionen Euro allein in diesem Jahr,
       beschlossen vom Bündnis aus Grünen, CDU und Volt. Aymaz kontert mit von ihr
       abgelehnten Großprojekten wie dem U-Bahn-Bau auf der Ost-West-Achse, den
       der Stadtrat mit Stimmen von CDU, SPD und FDP beschlossen hat – die Grüne
       Fraktion verließ vor der Abstimmung den Saal.
       
       „Der Prozess um den Ratsbeschluss zum Tunnelbau ist ein Paradebeispiel
       dafür, was in Köln schiefläuft“, sagt Aymaz zur Ost-West-Achse. Sie klingt
       dabei wie Kritiker:innen vom Bündnis Verkehrswende Köln, das mit dem
       Slogan „Oben bleiben“ für den Ausbau der bestehenden Straßenbahn kämpft.
       Die U-Bahn, deren Kosten im Milliardenbereich liegen, bringe den
       Bürger:innen dagegen kaum Nutzen, argumentiert das Bündnis: Der
       Zeitgewinn der nur 2,3 Kilometer langen Strecke liege bei gerade einmal
       drei bis vier Minuten.
       
       Wähler Gast will jetzt noch schnell über Klimaschutz reden – also erzählt
       Aymaz von den 2.000 Bäumen, die sie jedes Jahr in Köln pflanzen lassen
       will. Mehr Pflanzen, mehr Schatten: Zusammen mit ein paar Bänken könnte so
       auch der Wiener Platz attraktiver werden.
       
       Doch im Wahlkampf ist der drohende Hitzekollaps von Nordrhein-Westfalens
       einziger Millionenstadt keinesfalls das dominierende Thema. Glaubt man
       einer weiteren Forsa-Umfrage, durchgeführt von Ende Juni bis Anfang Juli,
       ist die Verkehrspolitik mit dem Dauerstau, in dem Köln jeden Tag versinkt,
       der Punkt, der die Kölner:innen am meisten interessiert. Erst darauf
       folgt der dysfunktionale Wohnungsmarkt. Dabei spricht das Bündnis „Wir
       wollen wohnen“, zu dem sich Mietervereine, der Deutsche Gewerkschaftsbund
       DGB und Wohlfahrtsverbände wie der Paritätische, die Arbeiterwohlfahrt oder
       die Caritas zusammengeschlossen haben, längst von einer „Wohnungsnot“, die
       in Köln „ein dramatisches Ausmaß erreicht“ habe.
       
       Der öffentlich geförderte Wohnungsbestand, also die Zahl der
       Sozialwohnungen, sei von ehemals 105.000 auf aktuell 37.000 geschrumpft,
       rechnet das Bündnis vor. Allein in diesem Jahr verlören 4.500 Wohnungen
       ihre Sozialbindung. Bei Neuvermietung koste der Quadratmeter in Köln heute
       deshalb im Schnitt 14,99 Euro – unbezahlbar für viele Familien und gerade
       für Alleinerziehende, Studierende, Rentner:innen. „Zu wenig freie
       Wohnungen, zu teure Wohnungen, zu wenig öffentlich geförderte Wohnungen.
       Das ist Köln im Jahr 2025“, kritisiert Hans Jörg Depel, Geschäftsführer des
       Mietervereins Köln. „So verliert die Stadt ihren sozialen Zusammenhalt.“
       
       Für Aymaz, aber auch für ihren SPD-Konkurrenten Burmester, ist bezahlbares
       Wohnen deshalb das Top-Thema im Wahlkampf. „In Köln haben mehr als 45
       Prozent der Menschen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. Aber nur
       6,7 Prozent des Bestands sind noch Sozialwohnungen“, rechnet Aymaz den
       Grund für das Marktversagen vor.
       
       Im Wahlkampf verspricht sie deshalb, eine „Offensive für bezahlbaren
       Wohnraum“ starten zu wollen, sollte sie als Oberbürgermeisterin ins Rathaus
       einziehen: Im Rahmen einer „sozial orientierten Bodenpolitik“ sollen dann
       städtische Grundstücke nicht mehr an „ausschließlich renditehungrige
       Investoren“ verkauft, sondern nur noch über Erbbaurecht vergeben werden –
       „möglichst an gemeinwohlorientierte Bauprojekte und Genossenschaften, die
       dann günstig neuen Wohnraum schaffen“, erklärt die Grüne. Außerdem will
       Aymaz verstärkt Wohnheime für Auszubildende und Studierende bauen lassen.
       Schon heute gäben viele in Köln „ihren Ausbildungs- oder Studienplatz
       wieder ab, nur weil sie keine bezahlbare Wohnung finden“, umwirbt sie junge
       Leute gezielt auf Social Media.
       
       Auch Sozialdemokrat Burmester verspricht „6.000 neue Wohnungen pro Jahr“,
       davon „1.000 neue Sozialwohnungen mit städtischem Förderprogramm“. Dazu
       soll eine „neue Wohnungsgesellschaft der Stadt“ gegründet werden, die
       selbst bauen und sanieren soll. Im CDU-Wahlprogramm von Markus Greitemann
       stehen dagegen konservativ-klassisch „Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit“
       an erster Stelle. Punkten könnte der Christdemokrat gerade mit dem Thema
       Sauberkeit – viele Kölner:innen ärgern sich über das, was die
       Lokalpresse die „Vermüllung“ der Stadt nennt.
       
       Den Ton dafür gesetzt hat die scheidende Oberbürgermeisterin Henriette
       Reker, die nicht mehr für eine dritte Amtszeit kandidiert. In einem
       Interview Ende Januar mit dem Kölner Stadtanzeiger zeigte sich die
       68-Jährige parteilose Rathauschefin, die 2015 von Grünen, CDU, FDP und der
       Wählergruppe Klima-Freunde unterstützt wurde und die am Tag vor ihrer
       ersten Wahl durch das Messerattentat eines Rechtsextremen schwer verletzt
       wurde, denkbar amtsmüde: Sie sehe eine „zunehmende Verwahrlosung“ Kölns und
       „schäme sich“ für „diese dreckige Stadt“.
       
       Um „dieser Verwahrlosung zu begegnen“, gebe es restriktive Mittel, schob
       die Noch-Oberbürgermeisterin mit Blick auf die offene Drogenszene etwa am
       Neumarkt in der Nähe der Fußgängerzone nach. „Einige Städte vertreiben die
       Obdachlosen und Drogenabhängigen aus der Stadtmitte“, sagte Reker. Doch
       dafür gebe es in Köln „keine Mehrheit“ im Stadtrat.
       
       Auf klare Ablehnung trifft der von Reker frustriert eingeforderte
       Law-and-Order-Kurs nicht nur bei der Kandidatin Aymaz. „Verdrängung durch
       rein ordnungspolitische Maßnahmen ist keine Lösung“, so die Grüne in
       Köln-Mülheim zur taz. „Wir erleben bereits jetzt, dass die Drogenszene
       schon heute auf andere Stadtteile wie etwa Köln-Ehrenfeld ausweicht.“ Die
       Polizei sei teilweise mit mehreren Polizeimannschaftswagen auf dem Neumarkt
       präsent.
       
       „Suchtkranken Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Boden
       liegen, muss geholfen werden“, fordert Aymaz. Nötig seien weitere, rund um
       die Uhr verfügbare Drogenkonsumräume – und Rückzugsmöglichkeiten, wo es
       Essen, Duschen sowie ärztliche und soziale Betreuung geben soll. Dadurch
       werde auch der öffentliche Raum entlastet und die Sorgen von
       Anwohner:innen und Geschäftsleuten ernst genommen.
       
       Ähnlich argumentiert auch SPD-Mann Burmester, der einen weiteren
       Drogenkonsumraum in der ehemaligen Zentrale des Kaufhof-Warenhauskonzerns
       in der Innenstadt fordert. Der Christdemokrat Greitemann will sich dagegen
       am sogenannten Züricher Modell orientieren, einer Mischung aus Prävention,
       Repression, Therapie – und Vertreibung: In Zürich können nur Menschen
       Drogeneinrichtungen nutzen, die auch in Zürich gemeldet sind. Alle anderen
       werden in ihre Heimatorte zurückgeschoben.
       
       Die Kandidat:innen hoffen so, eine massive Unzufriedenheit der
       Kölner:innen mit der Arbeit von Politik und Stadtverwaltung
       aufzugreifen. In der Anfang Juli veröffentlichten Forsa-Umfrage erklärten
       64 Prozent, nichts sei in den vergangenen Jahren in ihrer Stadt besser
       geworden. 78 Prozent sagten dagegen, die Stadt habe sich zu ihrem Nachteil
       verändert – und 19 Prozent meinten, sie würden lieber woanders wohnen.
       
       ## Kulturkampf von rechts
       
       Benutzt wird diese Unzufriedenheit aber auch für eine Art Kulturkampf von
       rechts außen, mit dem sich Ende August sogar [2][Tech-Milliardär Elon Musk
       in den Kölner Kommunalwahlkampf einmischte]. „Either Germany votes AfD – or
       it is the end of Germany“ (etwa: „Entweder Deutschland wählt die AfD oder
       Deutschland ist am Ende“) postete der wohl noch immer reichste Mensch der
       Welt auf seinem Netzwerk X. Die AfD hat Unterstützung nötig – ihr
       Oberbürgermeisterkandidat kam Anfang August nur auf Zustimmungswerte von 9
       Prozent.
       
       Auslöser der erneuten massiven Werbung des einstigen Trump-Kumpels Musk für
       die rechtsextreme Partei war wohl der Post eines anderen X-Nutzers, der die
       Überschrift des rechten ungarischen Magazins The European Conservative
       teilte: „Köln-Wahl: AfD ist die einzige Partei, die frei über Migration
       sprechen kann.“ Dabei bezog sich das rechte ungarische Nachrichtenportal
       wiederum auf die Bild-Zeitung, die getitelt hatte, in Köln gebe es eine
       „bizarre Wahlkampf-Einigung“, die Parteien verpflichte, „nur positiv über
       Migration zu sprechen“.
       
       Das Springer-Blatt zielte damit auf ein „Fairness-Abkommen“ der Kölner
       Parteien, das seit 1998 immer wieder erneuert wird: 2025 hatten Grüne, CDU,
       SPD, Linke, FDP, Grüne, Volt und Die Partei dafür unterschrieben. Im Kern
       verpflichten sich die Parteien darauf, „nicht auf Kosten von unter uns
       lebenden Menschen Wahlkampf zu betreiben und inhaltlich fair zu bleiben“,
       sowie „keine Vorurteile gegen hier lebende Migrantinnen, Migranten und
       Flüchtlinge zu schüren oder in den eigenen Reihen zu dulden“.
       
       Eigentlich demokratischer Grundkonsens also – nicht ohne Grund wurde die
       AfD, die in Köln Sprüche wie „Abschieben statt Einfliegen“ plakatiert, erst
       gar nicht um ihre Unterschrift unter das Fairness-Abkommen gebeten. Und
       natürlich erklärte die rechtsextreme Partei schnell, eine solche Erklärung
       auch überhaupt nicht unterzeichnen zu wollen.
       
       Allerdings heißt es in dem seit fast 30 Jahren immer wieder neu aufgelegten
       Abkommen etwas missverständlich auch, Migrant:innen sollten „nicht für
       negative gesellschaftliche Entwicklungen wie die Arbeitslosigkeit oder die
       Gefährdung der inneren Sicherheit“ verantwortlich gemacht werden. Wohl
       gerade deshalb konnten diverse Medien das Abkommen für ihre Agenda nutzen:
       „Probleme durch Migration sollen in Köln nicht stattfinden – zumindest
       nicht im Wahlkampf“, hieß es etwa in einem Kommentar des
       NRW-Regionalfensters des TV-Senders RTL.
       
       Das Magazin Focus zeigte sich „entsetzt“ über einen „Asyl-Schweigepakt“ und
       nannte migrantisch geprägte Stadtteile Kölns wie Mülheim
       „Verbrechens-Hochburgen“. Und das rechtspopulistische Online-Magazin Tichys
       Einblick verglich das Fairness-Abkommen mit dem Schweigegelübde Omertá der
       sizilianischen Mafia – und hämte, das „leidige Thema“ Migration könne schon
       „wegen der inzwischen alltäglichen Gewalttaten, Messerangriffe, Hinrichtung
       von Polizisten, Vergewaltigungen, Drogendelikten, Bandenkriegen und anderer
       Straftaten“ immer weniger tabuisiert werden.
       
       Gerade der letzte Teil der Fairness-Vereinbarung, also die Verbindung
       zwischen Gefährdung der inneren Sicherheit und Migration, müsse vielleicht
       präziser formuliert werden, hat einer der beiden christlichen Ombudsleute,
       die über die Einhaltung des Abkommens wachen, gegenüber dem Spiegel
       mittlerweile eingeräumt. Natürlich müsse nach Taten wie etwa dem
       Terrorangriff von Solingen gesagt werden können, woher Gewalt stamme, wer
       Gewalt ausübe, so der evangelische Stadtsuperintendent von Köln, Bernhard
       Seiger. Deshalb gebe es in Köln auch keine „Sprech- und Denkverbote und
       auch keinen Maulkorb“.
       
       Oberbürgermeister-Kandidatin Berîvan Aymaz, als Kind selbst Schutzsuchende
       in Deutschland, geht noch einen Schritt weiter: „Es ist kein Wunder, dass
       ausgerechnet Köln zur Zielscheibe in diesem Kulturkampf von Rechten und
       Populisten gemacht wurde – schließlich ist unsere Stadt immer gegen
       Rassismus und auch die AfD aufgestanden“, sagt die Grüne.
       
       „Grundsätzlich gibt es in Köln eine Mehrheit links der Mitte“, sagt auch
       der Soziologe Ansgar Hudde, der dort an der Universität lehrt und zum Thema
       „Politische Muster in Deutschlands Nachbarschaften“ forscht. Das zeige auch
       die Forsa-Umfrage von Ende August, nach der die Grünen bei der Wahl des
       Stadtrats mit 23 Prozent stärkste Kraft werden könnten. Die SPD käme
       demnach auf 20 und die Linken auf 10 Prozent. Die CDU liegt bei 17 und die
       AfD bei 12 Prozent. FDP und Sonstige wie etwa Volt und die Klimafreunde
       kommen laut der Umfrage auf zusammen 18 Prozent.
       
       „Damit droht eine starke Zersplitterung des Stadtrats“, warnt Hudde. Zwar
       sei im Kölner Stadtparlarment ein Wechsel vom bisherigen grün-schwarzen,
       von Volt unterstützten Ratsbündnis hin zu Rot-Rot-Grün denkbar. „Eine
       Politik der reinen Lehre wird aber keine Partei durchsetzen können“, sagt
       der Soziologe.
       
       Noch schwerer vorhersehbar sei, wer Oberbürgermeister oder
       Oberbürgermeisterin der Millionenstadt werde, meint Hudde: „Alle drei haben
       mittelmäßige Chancen“, sagt er mit Blick auf den SPD-Mann Burmester, die
       Grüne Aymaz und den Christdemokraten Greitemann. Bei der absehbaren
       Stichwahl zwischen den aktuell bestplatzierten Kandidat:innen am 28.
       September aber könne der Sozialdemokrat durchaus vor der Grünen liegen,
       glaubt er: „Torsten Burmester wird nicht geliebt, polarisiert aber etwas
       weniger als Aymaz.“ Denn ob Kölns Stadtgesellschaft, die wie etwa in Berlin
       auch, im Zentrum links, in den Vororten aber teils traditionell, teils
       konservativ und manchmal auch rechtspopulistisch tickt, in ihrer Gesamtheit
       wirklich reif für die erste Person mit Migrationshintergrund an der
       Stadtspitze ist – das gilt keineswegs als ausgemacht.
       
       ## Die Kandidatur: kein Selbstläufer
       
       Dass Aymaz’ Kandidatur alles andere als ein Selbstläufer ist, ahnen
       mittlerweile auch viele Grüne. Schließlich ist nicht nur die Zustimmung für
       die Spitzenkandidatin selbst gering. Gefragt nach der Wahl des Stadtrats,
       würden sich 6 Prozent weniger Wähler:innen für die Grünen entscheiden
       als bei der vorherigen Wahl 2020. Damals fuhr die Partei ein Wahlergebnis
       von 29 Prozent ein.
       
       Das Problem der Grünen: Teilen der Stammwählerschaft scheint sie zu wenig
       progressiv. Doch wenn Aymaz gewinnen will, muss sie spätestens bei der
       Stichwahl eben auch die politische Mitte erreichen.
       
       Deutlich wird das auch bei den Grünen, die Aymaz auf dem Wiener Platz
       unterstützen. „Viele junge Leute sagen mir: Wenn ihr eine linke Politik
       machen würdet, würde ich euch wählen“, erzählt die Sprecherin der Grüne
       Jugend Köln, Marika Esch – und freut sich, dass eine Parteilinke
       Rathauschefin werden will.
       
       „Gerade in der Sozialpolitik unterscheiden sich unsere Positionen kaum von
       denen der Linken“, findet dagegen die Anwältin Daniela Hilgers, die in
       Köln-Mülheim für die Bezirksvertretung kandidiert. „Manchen Wähler:innen
       sind wir zu links“, sagt die 52-Jährige, die seit 19 Monaten Parteimitglied
       ist, „und für andere nicht links genug.“ Und zumindest bei denen, fürchtet
       Hilgers, „rächt sich unser langjähriges Bündnis mit der CDU jetzt“.
       
       12 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Linke-vor-NRW-Kommunalwahl/!6111123
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
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       Der Bundeskanzler kommt ins nordrhein-westfälische Münster, um der CDU im
       Kommunal-Wahlkampf zu helfen. Aber ist Merz überhaupt eine Unterstützung?
       
 (DIR) Oberbürgermeisterwahl in Köln: Die Grüne Berîvan Aymaz will im Rathaus ganz nach oben
       
       Aymaz, Kind kurdischer Einwanderer, hat Chancen auf das
       Oberbürgermeisteramt in Köln. Wer ist die Grüne?