# taz.de -- Kirill Serebrennikov in Salzburg: Der Schlitten fährt sich fest
       
       > Kirill Serebrennikov überzeugt bei den Salzburger Festspielen mit „Der
       > Schneesturm“ nach Vladimir Sorokin. Das Stück versöhnt mit einem
       > durchwachsenen Jahrgang.
       
 (IMG) Bild: „Der Schneesturm“ von Serebrennikov und Sorokin
       
       Es war ein Theaterregisseur, der vor 105 Jahren die Salzburger Festspiele
       gründete: Max Reinhard inszenierte 1920 Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“
       auf dem Domplatz, wo er heute noch gespielt wird. Obwohl das Spiel vom
       Sterben des reichen Mannes nach wie vor eine der Cashcows des Programms
       ist, werden die Festspiele heute jedoch vor allem als Klassik-Festival
       gehandelt, dominiert von den großen Opern-Produktionen und dem imposanten
       Konzertprogramm.
       
       Das Salzburger Sprechtheater hat in den vergangenen Jahren schleichend an
       Bedeutung verloren – einzelne Highlights ausgenommen – und zur Strahlkraft
       der Festspiele immer weniger beigetragen. Dazu passt, dass die Festspiele
       sich von der erst 2024 angetretenen Schauspielchefin [1][Marina Davydova]
       nach nur einer Saison trennten und der Leitungsposten seither verwaist ist.
       Ihr bereits geplantes Programm für 2025 wird dennoch unverändert umgesetzt.
       
       Für 2026 wird Intendant Markus Hinterhäuser das Schauspielprogramm selbst
       verantworten, was Davydova neulich dazu veranlasste, öffentlich zu raunen,
       das Schauspiel würde womöglich ganz abgeschafft, was Hinterhäuser
       allerdings umgehend dementierte.
       
       Mit anderen Worten: Es gab schon bessere Zeiten für die Schauspielsparte
       bei den Salzburger Festspielen. Nach einer zerfransten Dramatisierung von
       Karl Kraus’ kolossalem Kriegskaleidoskop „Die letzten Tage der Menschheit“
       von Regisseur Dušan David Pařísek und einem enervierenden Gastspiel des
       Odéon – Théâtre de l’Europe mit dem vierstündigen „Le Passé“ von [2][Julien
       Gosselin] können die Festspiele mit der letzten Produktion dieses Jahrgangs
       endlich aufatmen.
       
       ## Sinnliches Total-Theater
       
       Erneut kommt ein formal und ästhetisch gewagtes Experiment auf die Bühne:
       Regisseur [3][Kirill Serebrennikov] hat die Erzählung „Der Schneesturm“ des
       russischen [4][Gegenwartsautors Vladimir Sorokin] eingerichtet und in
       Koproduktion mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus ein sinnliches und
       assoziationsreiches Total-Theater geschaffen, in dem Sprechtheater, Musik
       und Tanz wie selbstverständlich verschmelzen.
       
       Sorokin und Serebrennikov leben seit Jahren im Berliner Exil und gelten als
       scharfe Putin-Kritiker. Dass die Uraufführung von „Der Schneesturm“
       ausgerechnet auf den Tag des für Putin erfolgreichen Gipfeltreffens in
       Anchorage fällt, gibt dem Abend eine fatale Dringlichkeit.
       
       Sorokins 2010 geschriebene Novelle „Der Schneesturm“ ist eine
       hochprozentige Mischung aus alten russischen Motiven und Science-Fiction.
       Erzählt wird von einer Irrfahrt durch ein surreal überzeichnetes,
       märchenhaftes und grausames Russland. Ausgerechnet an einem besonders
       heißen Tag herrscht auf der Bühne (Vlad Ogay) der Perner-Insel fast
       durchgängig der titelgebende Schneesturm, durch den Dr. Garin (phänomenal:
       August Diehl) sich mit dem trottelhaften Kutscher Perkushka (großartig:
       Filipp Avdeev) zu einem Dorf durchkämpfen will, um die dort von einer
       Zombie-Seuche bedrohten Einwohner zu impfen.
       
       Aber es geht nicht voran, denn der Kutscher hat nur 50 Spielzeug-Pferde zu
       Verfügung, eine Kufe des Schlittens ist geborsten und allerlei weitere
       Hindernisse stellen sich in den Weg, wie etwa eine lüsterne Müllerin, die
       den Frierenden zu Schubert-Klängen Unterschlupf und Körperwärme gewährt.
       Später fährt sich die fragile Schlitten-Kufe gar im Nasenloch eines Riesen
       fest. In dieser surrealen Welt ist manches unheimlich und bedrängend, es
       gibt aber auch viele Momente leiser Komik und handfester Groteske.
       
       ## Eingespieltes Ensemble
       
       Serebrennikov greift neben den beiden Hauptfiguren auf Kräfte aus seinem
       früheren Gogol-Center Moskau zurück, die eine eingespielte Truppe und geübt
       darin sind, die Präsentationsformen elegant zu wechseln. Da wird getanzt,
       gesteppt und exzellent gesungen, auch mehrstimmig, einmal sogar das
       „Cruzifixus“ aus Bachs h-Moll-Messe.
       
       Auf der Bühne befindet sich ein rundes Karussell-Podest, das zur Kutsche
       wird, aber auch eine Raumkapsel sein könnte. Über der Bühne ist eine große
       Leinwand installiert, und auf halber Höhe gibt es zwei kreisrunde Screens,
       die Bilder aus den gläsernen Kosmonautenhelmen der beiden Hauptpersonen
       übermitteln. Es gibt enorm viel zu sehen, dennoch folgt der Abend einem
       vitalen Rhythmus, der einen Bilder-Overkill verhindert.
       
       Serebrennikov bleibt nah am Originaltext und reiht in seiner Textfassung
       die besonders plastischen Episoden der Erzählung aneinander. Dass sich die
       kafkaeske Kutschenfahrt am Ende etwas zieht, ist kein Betriebsunfall,
       sondern volle Absicht. Schließlich heißt das Ziel des Doktors und seines
       herzensguten Kutschers „Langenweiler“.
       
       Ohne plumpe Aktualisierungen zu bemühen, bringen Sorokin und sein Regisseur
       auf subtile Weise den russischen Wahnsinn aus Fatalismus, Trägheit,
       Suchtpotenzial und Unterwürfigkeit auf die Bühne. Der Schneesturm wird
       dabei selbst eine poetische Figur aus Schneeflocken und dem tanzenden,
       neunköpfigen Ensemble, flankiert von der suggestiven Livemusik von Malika
       Maminova. Ovationen für alle Beteiligten, besonders für Sorokin.
       
       18 Aug 2025
       
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