# taz.de -- DLRG-Präsidentin Ute Vogt: „Schwimmen ist zu einer sozialen Frage geworden“
       
       > Ute Vogt ist Präsidentin der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft. Sie
       > kritisiert: Viele Bäder sind marode und Kinder lernen nicht mehr
       > schwimmen.
       
 (IMG) Bild: Ute Vogt, Präsidentin der Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG)
       
       taz: Frau Vogt, Ende Juni war dieses Jahr das bislang tödlichste
       Badewochenende, mindestens 15 Menschen kamen ums Leben. Über alle
       Altersgruppen hinweg ertrinken meistens Männer, auch die Zahl junger
       Ertrunkener ist gestiegen. Woran liegt das? 
       
       Ute Vogt: Das liegt ganz klar an Selbstüberschätzung. Wir kennen Fälle, wo
       junge Männer einen Fluss durchschwimmen wollten und die Strömung
       unterschätzt haben. Flüsse sind gemessen an der Zahl der Badenden [1][die
       mit Abstand gefährlichsten Badegewässer]. Viele achten auch nicht auf die
       Wassertiefe oder springen überhitzt ins Wasser und bekommen dann einen
       Kreislaufzusammenbruch.
       
       taz: Durch den Klimawandel gibt es längere und intensivere Hitzeperioden.
       Steigt dadurch das Risiko für Badeunfälle? 
       
       Vogt: Ja, und deshalb wollen wir die Menschen dafür auch sensibilisieren.
       Während längerer Hitzeperioden suchen mehr Menschen Abkühlung in den
       Gewässern. Und wenn mehr Menschen vor Ort sind, steigt auch die
       Unfallgefahr. [2][Bei Hitzewellen können vermehrt Herz-Kreislauf-Probleme
       auftreten.] Bei Sportgeräten wie Stand-up-Paddles ist das ein echtes
       Problem. Da steht man lange in der Sonne, und bei einem plötzlichen Sturz
       ins kalte Wasser kann es richtig gefährlich werden. Wir haben auch immer
       wieder Nichtschwimmer auf diesen Paddles erlebt. Wichtig wäre auch eine
       gesetzliche Schwimmwestenpflicht für Kinder, wenn sie auf Booten sind.
       
       taz: Wie kann man denn Badeunfällen vorbeugen? 
       
       Vogt: Wir empfehlen auch erfahrenen Schwimmern, nicht allein rauszugehen
       und sich vorher richtig abzukühlen. Eine spezielle Boje, die man sich
       umbindet, kann bei Notfällen wie Krämpfen helfen, kurzfristig über Wasser
       zu bleiben, um auf sich aufmerksam zu machen. Sicherer ist es, möglichst in
       Ufernähe zu schwimmen. Am besten badet man dort, wo es bewachte Badestellen
       gibt.
       
       taz: In der Vergangenheit las man immer wieder auch von geflüchteten
       Menschen, die ertranken. 
       
       Vogt: Das stimmt. In manchen Ländern außerhalb Europas gibt es kaum
       Gelegenheit, Schwimmen zu lernen. Und hier lernen sie es auch nicht, weil
       es viel zu wenig Schwimmunterricht gibt. Hinzu kommt der Gruppenzwang:
       Mitunter trauen sich junge Männer nicht zu sagen, dass sie nicht schwimmen
       können, und gehen im Wasser dann unter. Viele unterschätzen Seen, dabei
       können auch sie gefährlich sein. Es gibt Unterströmungen, Strudel und
       Abbruchkanten. Außerdem werden nicht alle Seen bewacht.
       
       taz: Expertinnen und Experten sind besorgt, dass die Gefahr für Badeunfälle
       noch steigt, weil viele Kinder und Jugendliche nicht mehr schwimmen lernen.
       Ein Grund sind marode Schwimmbäder. Wie groß ist der Sanierungsstau? 
       
       Vogt: Der ist riesig. Viele Schwimmhallen wurden in den 1970er Jahren
       gebaut. In den 1990er Jahren hätten die Bäder saniert werden müssen, was
       aber vielerorts nicht geschah. Wir gehen davon aus, dass in den nächsten
       vier Jahren rund 800 Bäder schließen müssen, wenn sie nicht saniert werden.
       Im Jahr 2000 gab es bundesweit ungefähr noch 7.800 Schwimmbäder, laut
       Studien sind es aktuell 6.000, Tendenz fallend. Wir schätzen, dass jährlich
       etwa 80 Bäder verloren gehen.
       
       taz: Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) hat sich mit anderen
       Verbänden zur Initiative Bäderallianz zusammengeschlossen, darin fordern
       sie Investitionen von jährlich 1 Milliarde Euro über zwölf Jahre und ein
       Bäderförderprogramm. Ist diese Forderung realistisch angesichts der
       riesigen Haushaltslücken in den kommenden Jahren? 
       
       Vogt: Im Koalitionsvertrag steht, dass 1 Milliarde Euro für Sportstätten
       eingeplant sind. Über einen Zeitraum von vier Jahren ist das aber viel zu
       wenig, diese Summe bräuchte es jährlich allein für die Schwimmbäder. Ein
       weiteres Problem: Zwar nennt der Koalitionsvertrag auch Schwimmhallen,
       allerdings erst an zweiter Stelle. Es ist häufig leider so, dass beim
       Begriff Sportstätten, der auch Schwimmbäder umfasst, die Sporthallen
       bevorzugt werden. Sie sind günstiger im Unterhalt als Schwimmbäder.
       
       taz: Wahrscheinlich wegen der Energiekosten, oder? 
       
       Vogt: Genau. Hinzu kommen noch Wasser- und Personalkosten. Es gibt
       mittlerweile neue Bausysteme, um Schwimmhallen günstig zu bauen. Dazu
       zählen das 2521‑System aus den Niederlanden oder sogenannte Einfachbäder.
       Diese neuen Hallen können durch den modularen Aufbau preiswerter und
       schneller gebaut werden, durch neue Energiekonzepte sind sie günstiger im
       Unterhalt. Sinnvoll wäre es, wenn sich mehr Kommunen zusammentun würden, um
       ein Bad zu betreiben. Sie müssten natürlich leicht erreichbar sein auch für
       Menschen, die kein Auto haben. Die Kommunen werden beim Bäderbau und vor
       allem beim Unterhalt alleingelassen.
       
       taz: Die DLRG schätzt, dass ungefähr sechs von zehn Schulkindern am Ende
       ihrer Grundschulzeit keine sicheren Schwimmer sind. Der Anteil an Kindern,
       die nicht schwimmen können, soll sich in den letzten Jahren sogar
       verdoppelt haben. Sind das die direkten Folgen des Schwimmbadsterbens? 
       
       Vogt: Absolut. In den Städten ist die Versorgung meist ordentlich, im
       ländlichen Raum ist sie oft katastrophal. Unsere Ortsgruppen fahren teils
       eine Stunde, bis sie überhaupt ein Bad erreichen, in dem sie Kinder
       ausbilden können. Durch die weit entfernten oder maroden Bäder fällt in
       vielen Grundschulen der Schwimmunterricht zu oft aus. Auch die
       Schulschließungen während der Coronapandemie haben sich negativ ausgewirkt,
       die Zahl der Nichtschwimmer bei Kindern hat sich verdoppelt.
       
       taz: An vielen Schulen fehlen auch noch die Schwimmlehrer, was die
       Situation verschärft. 
       
       Vogt: Ja, deshalb unterstützen wir die Lehrkräfte mit unseren Ortsgruppen.
       Davon haben wir bundesweit etwa 2.000, dazu gibt es noch den Deutschen
       Schwimmverband, der auch Unterricht gibt. Aber wir kommen an unsere
       Grenzen; wir können nicht ehrenamtlich auffangen, was strukturell in der
       Bildungspolitik versäumt wird. Die Nachfrage nach Schwimmkursen ist auf
       jeden Fall da. Fast jede Ortsgruppe hat eine lange Warteliste.
       
       taz: Wie lernen die Kinder dann aber Schwimmen, wenn der Unterricht so oft
       ausfällt? 
       
       Vogt: Meist nur, wenn die Eltern einen besonderen Wert darauf legen.
       [3][Schwimmen ist mittlerweile zu einer sozialen Frage geworden.] Kinder
       aus wohlhabenderen Familien wird das Schwimmen eher beigebracht, weil es
       dort häufig eine gewisse Familientradition hat. Es ist weniger eine
       Geldfrage, weil die Eintrittspreise subventioniert werden. In vielen
       Familien mit niedrigem Einkommen geht Schwimmen vielmehr als Kulturtechnik
       verloren, weil es nicht als lebensnotwendig betrachtet wird. Dabei ist
       Schwimmen wie Lesen und Schreiben eine Grundfertigkeit, die jeder Mensch
       beherrschen muss.
       
       taz: Als erstes Schwimmabzeichen können Kinder das Seepferdchen machen, das
       oft als Meilenstein gefeiert wird. Sind sie damit sichere Schwimmer? 
       
       Vogt: Nein, das ist ein weitverbreiteter Irrtum. Das Seepferdchen ist kein
       Schwimmabzeichen und bedeutet, [4][dass sich ein Kind unter optimalen
       Bedingungen im Schwimmbecken einige Meter über Wasser halten kann].
       Vielleicht kann es auch einmal kurz den Kopf unter Wasser tauchen, aber
       nicht sicher schwimmen. Das müssen Eltern unbedingt wissen. Wirklich sicher
       sind die Kinder erst, wenn sie das Schwimmabzeichen Bronze haben, früher
       auch Freischwimmer genannt.
       
       taz: Sie sind als DLRG auch im Katastrophenschutz tätig, etwa bei der
       Flutkatastrophe im Ahrtal. 
       
       Vogt: Ja. Dort haben wir gemerkt, wie sich die Hochwasser durch den
       Klimawandel verändert haben. Früher waren sie oft stehendes Wasser, jetzt
       sind es richtige Fluten. Deshalb bilden wir mehr Menschen zu
       Strömungsretterinnen und Strömungsrettern aus. Sie lernen, wie man sich
       abseilt und gegenseitig absichert. Wir mussten auch unsere Ausrüstung
       anpassen. Die klassischen Hochwasserboote sind im Ahrtal reihenweise
       umgekippt, seitdem nutzen wir noch mehr Schlauchboote mit Aluboden.
       
       taz: [5][Bei der DLRG arbeiten fast alle ehrenamtlich], auch Sie im
       Präsidium. Gibt es genug Nachwuchs? 
       
       Vogt: Davon können wir nie genug haben (lacht). Aktuell haben wir mit
       630.000 Menschen einen neuen Mitgliederrekord, das ist wunderbar. Ein
       Problem ist aber, dass viele junge Menschen weniger freie Zeit auch in den
       Ferien haben, weil sie arbeiten oder für Prüfungen lernen müssen. Das
       merken wir: Früher waren Rettungsschwimmer bis zu drei Wochen an der Küste
       oder am See, heute sind sie oft nur noch für eine Woche verfügbar.
       
       15 Aug 2025
       
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