# taz.de -- Protest gegen die AfD: Laut und schön
       
       > Das Sommerinterview mit Alice Weidel wurde von Gesang übertönt. Doch
       > friedlicher Protest wird infrage gestellt. Dabei ist Stören wichtig für
       > die Demokratie.
       
 (IMG) Bild: Protest gegen Militärparade: Die Clownsarmee am 14. Juli 2013 in Paris
       
       Auf der Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses mit Blick auf den
       Reichstag sitzen sich AfD-Chefin Alice Weidel und ARD-Journalist Markus
       Preiß hilflos gegenüber [1][und verstehen einander kaum.] Im Hintergrund,
       auf der anderen Seite der Spree, stehen ein paar Dutzend Protestierende.
       Und aus der 100.000 Watt starken Anlage des ehemaligen
       Gefangenentransporters „Adenauer SPR+“ dringt die Melodie des Südtiroler
       Andachtsjodlers in ohrenbetäubender Lautstärke – [2][„Scheiß AfD, Scheiß
       AfD“] tönen sanfte Stimmen durch das Berliner Regierungsviertel.
       
       Aktivist:innen des Künstlerkollektivs Zentrum für Politische Schönheit
       (ZPS) haben gestört. Stören: schwaches Verb. Bedeutung: Jemanden aus seiner
       Ruhe oder aus einer Tätigkeit herausreißen, einen gewünschten Zustand oder
       Fortgang unterbrechen, sagt der Duden.
       
       Am vergangenen Sonntag wollten sie nicht diskutieren oder diskutieren
       lassen. Sondern übertönten einfach die Äußerungen der AfD-Chefin und
       stellten mit ihrer Aktion auch gleich das ganze Format „Sommerinterview“
       mindestens infrage. Wenn Politiker:innen [3][der rechtsextremen AfD
       diese Bühne] geboten wird, muss die Bühne entnormalisiert werden, so das
       Motto. Die darauffolgende Debatte skandalisierte dann weniger die
       fortschreitende Normalisierung der rechtsextremen AfD als die Protestaktion
       selbst. Wie steht es um das allgemeine Protestverständnis?
       
       ## Hilft Störung nur der AfD?
       
       Die Störung störte. Erstmal die unmittelbar Betroffenen. Alice Weidel, als
       diese während des Interviews genüsslich ihre Definition von „Remigration“
       ausbreiten wollte und im Anschluss, als sie die Debattenkultur und einen
       Angriff auf die Presse- und Informationsfreiheit beklagte. Markus Preiß,
       weil durch den Lärm „journalistisch einiges auf der Strecke geblieben“ sei,
       wie er später sagte. AfD-Wähler:innen und Sympathisant:innen, die
       sich in den sozialen Medien über das vermeintliche „Versagen der ARD“
       ausließen.
       
       Und dann störte die Aktion auch jene AfD-Versteher:innen, die glauben, sie
       helfe nur der AfD selbst, weil die Partei sich einmal mehr als Opfer
       stilisieren könne. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann zum Beispiel, der
       erklärte, man könne die AfD nicht „kaputtschreien“, man müsse sie
       inhaltlich stellen. Alle zusammen gegen den Faschismus, alle zusammen – die
       AfD inhaltlich stellen, so wie die Union? Bisher würde das jedoch vor allem
       die Übernahme von AfD-Positionen bedeuten, wie im Falle der beschleunigten
       Abschiebungen, der [4][Schließung der Grenzen] oder der
       [5][Verschärfungspläne beim Bürgergeld.]
       
       Doch welcher Protest bliebe dann noch übrig, wenn sich politischer und
       gesellschaftlicher Widerstand gegen die AfD den Gepflogenheiten des
       parlamentarischen Diskurses unterordnet?
       
       ## „Das Spielerische ist sehr stark eingeschränkt“
       
       „Es macht Protest oft aus, dass er lautstark stört“, sagt der
       Protestforscher Simon Teune von der Freien Universität Berlin gegenüber der
       taz. Teune forscht an der Schnittstelle von Kunst und Protest. Das
       Potenzial von künstlerischen Protestformen wie jenen des ZPS sieht er
       darin, einen Moment zu schaffen, der stellvertretend für die gesamte
       Situation steht. „Künstlerische und kreative Protestformen können eine
       problematisierte Situation auf den Punkt bringen und ihr eine ästhetische
       Form geben.“
       
       Während des ARD-Sommerinterviews sei das vor allem durch den abgespielten
       Gesang des aktivistischen Augsburger Flinta-Chors Corner Chor passiert.
       Flinta steht für Frauen, Lesben, Intergeschlechtliche, Nichtbinäre, Trans
       und Agender Personen. Der Kontrast zwischen den harmonischen Stimmen, die
       diesen Moment der Schönheit schafften, und der simplen Botschaft könne
       politisch mobilisieren und einem größeren Publikum ein Deutungsangebot
       machen, so Teune.
       
       Interessant sei jedoch, so der Protestforscher, dass dieser Protest als
       legitime Äußerungsform jetzt infrage gestellt werde. Die
       Legitimitätskorridore für Protest hätten sich verengt. „Der Raum für
       kreative Aktionen, für das Spielerische ist sehr stark eingeschränkt.“ Im
       Vergleich zu den 1980er und 90ern Jahren sei es heute sehr viel
       schwieriger, Protestformen zu finden, die nicht sofort zerpflückt und
       infrage gestellt würden.
       
       Dass heute friedvolle kreative Protestformen stärker hinterfragt werden,
       hat Teunes Ansicht nach vor allem mit den sozialen Medien zu tun. „Social
       Media funktioniert sehr segmentiert und der Ausschnitt, den das Zentrum
       für politische Schönheit verbreitet, ist ein anderer, als der, den
       AfD-Kreise verbreiten“, sagt er. Es sei also viel leichter, virale Momente
       zu schaffen, doch viel schwieriger zu wissen, wie diese letztendlich von
       verschiedenen Gruppen eingeordnet werden.
       
       ## Kreativer Protest hat Geschichte
       
       Schon immer haben Aktivist:innen kreativen Protest und Störmomente
       genutzt, um ihr Anliegen symbolisch zu verpacken. Die Studentenbewegung der
       68er nutzte Protestformen wie Happenings, das sind meist spontane,
       improvisierte Kunstaktionen mit Publikumsbeteiligung. In den 80er Jahren
       flog ein Heißluftballon von Greenpeace über den Todesstreifen von West-
       nach Ostberlin, um gegen Atomwaffentests zu protestieren.
       
       Seit Mitte der 2000er Jahre traten Clownsarmeen bei
       Antiglobalisierungsprotesten bei G8 oder G20 auf. Und die
       Occupy-Bewegungen der 2010er Jahre in New York, in London und in Istanbul
       bauten ganze Zeltstädte mit eigenen Bibliotheken und Zeitungen auf, um
       gegen soziale und ökonomische Ungleichheiten zu protestieren. In den
       letzten Jahren haben schließlich Klimaaktivist:innen der Letzten
       Generation und von Extinction Rebellion Gebrauch von kreativen Formen des
       Protests und zivilen Widerstands gemacht – mit Farbattacken und
       Sitzblockaden.
       
       Das Zentrum für Politische Schönheit arbeitet seit 2009 mit provokanten,
       künstlerischen Protestformen, häufig sind sie explizit gegen die AfD
       gerichtet. Nach einer Rede Björn Höckes im Jahr 2017, in dem er das
       Berliner Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnete, bauten
       sie 24 Betonstelen in den Nachbargarten von dessen Haus im thüringischen
       Bornhagen. 2019 erntete das Kollektiv viel Kritik, als sie die
       vermeintliche Asche von Opfern des Holocausts in einer Säule vor dem
       Reichstag installierten, als Mahnung an die CDU, nicht mit der AfD
       zusammenzuarbeiten.
       
       ## Künstlerischer Protest folgt einer eigenen Logik
       
       Kunst und Politik erleben in solchen Momenten eine Verquickung, agieren
       außerhalb des rein inhaltlichen Diskurses, überschreiten dabei auch
       Grenzen. Aktionskünstler Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit
       sagte vor einigen Jahren: „Im Gegensatz zum Diskurs hat Kunst die Freiheit,
       Fragen zu stellen, aber sie muss keine Antworten liefern.“ Das kann
       kritisiert werden, dennoch folgt künstlerischer Protest einer eigenen
       Logik. Er spielt mit Freiheiten, mit Deutungsoffenheit und Ambivalenz, mit
       genau dem, was durch die AfD bedroht ist.
       
       Anstatt sie zu skandalisieren, sollten Kunst und Protest also vielmehr als
       Strategien gegen das allgemeine Gefühl von Hilflosigkeit erkannt werden.
       Die Mahnungen, „Störung nutze nur der AfD“, laufen ins Leere, denn bisher
       scheint der AfD kaum etwas zu schaden. In Umfragen liegt sie bei 25
       Prozent, gleichauf mit der Union. Niemand hat ein Patentrezept, das zu
       insinuieren wäre anmaßend.
       
       Der AfD muss auf vielfältige Weise begegnet werden, nicht nur im
       politischen Diskurs, sondern auch mit Kunst, mit Satire, mit Haltung. Genau
       in diesen Formen liegt die Stärke des demokratischen Protests: Er kann
       witzig sein, ironisch, subversiv. Bei Protesten von Rechtsextremen sieht es
       anders aus – angesichts der dort zur Schau getragenen Menschenverachtung
       und des Rassismus kann einem nur das Lachen im Hals stecken bleiben.
       
       ## Vielleicht wird es doch nicht so schlimm gewesen sein
       
       Schließlich lohnt ein Gedanke an die Zukunft. Denn wie Protest gewertet
       wird, kann sich im Laufe der Jahre verschieben. Laut Protestforscher Teune
       wurden beispielsweise die Gewalt in der [6][Sufragettenbewegung] und in der
       Anti-Atom-Bewegung im Nachhinein getilgt, während ihre Erfolge gefeiert
       wurden.
       
       Was also wird der historische Abstand über den Protest der heutigen Zeit
       offenbaren? „Wer weiß, in 10, 15 Jahren, falls die AfD an der Macht ist und
       eine Politik macht wie in den USA, in Ungarn oder in Russland, dann kann
       sich die Bewertung im Nachhinein noch mal verschieben“, so Teune.
       Vielleicht wird es dann doch nicht so problematisch gewesen sein, Alice
       Weidel im Sommerinterview zu stören.
       
       25 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
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