# taz.de -- Wirtschaftsgeograf über Energiewende: „Natürlich kostet das den Staat viel Geld“
       
       > Solar und Wind sind billig, doch der Ausbau geht nur langsam voran. Brett
       > Christophers erklärt, wie die Erneuerbaren boomen können.
       
 (IMG) Bild: Das fliegende Klassenzimmer: Lokalpolitiker:innen hören im Windpark Mistorf auf 80 Metern Höhe einem Referenten
       
       taz: Herr Christophers, Strom aus erneuerbaren Energien lässt sich
       [1][immer billiger] herstellen. Dennoch werden in Europa zu wenig
       Windkraft- und Solaranlagen gebaut, um die Klimaziele zu erreichen. Liegt
       das daran, dass es lokale Widerstände gegen Windkraft gibt? 
       
       Brett Christophers: Sicher gibt es solche politischen Gründe. Aber es sind
       nicht die einzigen, es gibt auch wirtschaftliche: Nur weil man etwas
       kostengünstig produzieren kann, heißt das nämlich noch lange nicht, dass
       man damit viel Geld verdienen kann. In einer kapitalistischen Wirtschaft
       treffen private Unternehmen Investitionsentscheidungen auf der Grundlage,
       wie groß die Rendite ist, die sie erwarten. Und die ist nicht nur eine
       Frage der Kosten, sondern auch der erwarteten Einnahmen.
       
       taz: … welche auf dem Markt für erneuerbare Energie einfach zu gering sind? 
       
       Christophers: In den meisten Ländern ist die Stromerzeugung ein unglaublich
       umkämpftes Geschäft. Die Produzenten erneuerbarer Energien konkurrieren
       sich gegenseitig die Gewinne weg. Nehmen wir an, Sie sind ein
       Windenergieunternehmen und seit 15 oder 20 Jahren im Geschäft. Dann haben
       Sie in dieser Zeit gesehen, wie einzelne Teile Ihrer Anlagen deutlich
       billiger geworden sind, beispielsweise die der Antriebsturbinen. Sie würden
       instinktiv denken: Die Kosten sind gesunken, also werden meine Gewinne
       steigen. Aber wenn Sie in einem sehr umkämpften Markt tätig sind, frisst
       der Wettbewerb diese Kosteneinsparungen komplett auf. Ihr Unternehmen muss
       letztendlich die Preise für Strom senken. Also sinken Ihre Einnahmen.
       
       taz: Die niedrigen Preise werden zunächst an die Netzbetreiber und
       Stromvertreiber weitergegeben, aber letztlich – wenn sie entsprechende
       Stromverträge haben – zum großen Teil an die Verbraucher. Ist das nicht
       gut? 
       
       Christophers: Wenn die niedrigen Strompreise bei ihnen ankommen, ist es gut
       für die Verbraucher. Deshalb sind viele Förderprogramme für erneuerbare
       Energien darauf ausgelegt, diesen Wettbewerb zu fördern und den
       Verkaufspreis der Energie auf ein möglichst niedriges Niveau zu drücken.
       Aber gut für die Energiewende ist es nicht, weil dadurch die Rendite sinkt
       und deshalb der Ausbau stockt. Deshalb sind überall auf der Welt erhebliche
       staatliche Gelder erforderlich, um die Rentabilität hoch genug zu halten,
       um weitere Investitionen zu ermöglichen. Ohne diese Subventionen wäre der
       Ausbau noch deutlich langsamer.
       
       taz: Aber fossile Stromerzeuger sind auf dem gleichen Markt tätig. Warum
       ist das für sie anders? 
       
       Christophers: Zuerst einmal: Auch neue fossile Kraftwerke sind nicht so
       leicht zu finanzieren. Aber es ist auch so, dass ein Kohlekraftwerk und ein
       Windpark, die pro Tag genau die gleiche Menge Strom erzeugen, damit nicht
       unbedingt gleich viel Geld verdienen. Denn die Strompreise schwanken im
       Laufe des Tages. In der Regel erzeugen Erneuerbare den Strom vor allem
       dann, wenn er relativ günstig ist – beispielsweise mittags, wenn viele
       Menschen arbeiten und zu Hause keinen Strom verbrauchen. Und: Viele fossile
       Kraftwerke sind schon recht alt, da sind die Investitionskosten häufig
       schon abbezahlt. Im Falle eines Windparks fallen jedoch alle Kosten erst
       jetzt an. Grundsätzlich ist es so, dass für Investoren die erwarteten
       Gewinne aus einem neuen Wind- oder Solarpark einfach nicht ausreichen, um
       diese Investition zu tätigen, besonders wenn es keine robuste Unterstützung
       vonseiten der Regierung gibt. Das hat aber nichts mit den Renditen im
       Geschäft mit fossiler Stromerzeugung zu tun.
       
       taz: Dass Energieunternehmen in der EU einen Preis für den Ausstoß von CO2
       bezahlen müssen, soll aber die Energiewende beflügeln. Kann er das
       überhaupt leisten oder schmälert er nur die Gewinne aus fossilen
       Brennstoffen? 
       
       Christophers: CO2-Preise und -Steuern können eine wichtige Rolle spielen,
       aber nur, wenn sie in einer Höhe erhoben werden, die eine bedeutende
       ökonomische Wirkung hat. Der CO2-Preis in der EU ist einfach nicht hoch
       genug, um Investitionen in erneuerbare Energien in dem von uns benötigten
       Tempo zu fördern. Großbritannien hat im vergangenen Jahr sein letztes
       Kohlekraftwerk erfolgreich stillgelegt. Das war aus verschiedenen Gründen
       möglich. Einer der wichtigsten Gründe war, dass Großbritannien seit vielen
       Jahren einen zusätzlichen CO2-Preis für Kohlekraftwerke erhebt, der über
       den in der EU geltenden CO2-Preis hinausgeht. Und das war wirksam.
       
       taz: Im vergangenen Jahr hat Deutschland Rekordzahlen bei der Genehmigung
       von Windenergieanlagen und bei der Installation von Solaranlagen erzielt.
       Widerspricht das nicht Ihrer These? 
       
       Christophers: Nein. Es ist durchaus möglich, Fördermechanismen für
       Investitionen in erneuerbare Energien zu entwickeln, mit denen die
       erwartete Rendite im privaten Sektor hoch und stabil genug ist, um diese
       Investitionen auch tatsächlich umfangreich zu tätigen. Natürlich kostet das
       den Staat viel Geld. Deutschland war in den 2000er Jahren Vorreiter bei
       Investitionen in Windenergie, insbesondere dank Einspeisevergütungen.
       
       taz: Das heißt, der Staat garantiert einen bestimmten Preis für den Strom,
       um die Rendite stabil und vorhersehbar zu machen. 
       
       Christophers: Genau, und bis Mitte der 2010er Jahre waren die Investitionen
       in Deutschland recht hoch. In der zweiten Hälfte der 2010er Jahre und bis
       Anfang der 2020er Jahre verlangsamte sich das Tempo, weil Schwarz-Rot die
       staatlichen Fördermechanismen zurückfuhr. Die Regierung hat damals
       erwartet, dass der Erneuerbarensektor ohne diese Unterstützung überleben
       und die Investitionen aufrechterhalten könnte. Das hat sich als falsch
       erwiesen. In den letzten 18 bis 24 Monaten hat sich das Ausbautempo wieder
       beschleunigt. Das ist den überarbeiteten Fördermechanismen der
       Ampelregierung zu verdanken.
       
       taz: Investitionen in erneuerbare Energien werden also entweder für private
       Verbraucher und Unternehmen oder für den Staatshaushalt günstig sein, aber
       nie für alle auf einmal. 
       
       Christophers: Die Regierungen befinden sich in einer Zwickmühle. Etwas sehr
       günstig für Haushalte und gleichzeitig profitabel für private Unternehmen
       zu machen, damit sie investieren, geht normalerweise nicht. Letztendlich
       geht es bei den staatlichen Fördermechanismen genau darum, einen Mittelweg
       zu finden. Aber dann passiert meist folgendes: Zuerst merken die
       Regierungen, dass sie sich bewusst sind, dass der Privatsektor nur
       investiert, wenn es für ihn ausreichend profitabel ist, und subventionieren
       ihn. Die Gewinne sehen gut aus und der Privatsektor investiert. Dann
       reduzieren die Regierungen die Subventionen wieder, weil sie sich Sorgen um
       die Kosten machen. Und dann wird nicht mehr investiert. Genau das, was wir
       über die vergangenen Jahrzehnte in Deutschland gesehen haben.
       
       taz: Was ist die Alternative? 
       
       Christophers: Die Regierungen könnten sagen: Lasst uns diese Anlagen zu
       öffentlichem Eigentum machen und den Strom als öffentliche Energieerzeuger
       verkaufen. Dann fällt das Problem weg, dass die Renditen zu niedrig oder
       nicht planbar sind. Stromerzeugung ist in vielen Teilen der Welt bereits in
       unterschiedlichem Ausmaß verstaatlicht.
       
       taz: Aber wenn der Stromsektor in vielen Ländern schon [2][in staatlicher
       Hand] ist, warum ist der Ausbau dann mit Ausnahme von China weltweit zu
       langsam? 
       
       Christophers: Weil der Aus- und Umbau der Stromerzeugung mit Erneuerbaren
       trotzdem Geld kostet, das viele Länder nicht haben. Deswegen ist es viel
       überzeugender, dass beispielsweise Schweden das kann – ein Land mit
       geringer Verschuldung, das günstig Kredite aufnehmen kann und über hohes
       politisches Vertrauen verfügt, sodass die Bevölkerung diesem Projekt nicht
       feindselig gegenübersteht. Ich sage nicht, dass es einfach wäre, aber es
       wäre in Schweden um einiges einfacher als beispielsweise in …
       
       taz: … Südafrika, wo der staatliche Energieversorger hoch verschuldet ist
       und seine Angestellten vor allem im Kohlesektor arbeiten. 
       
       Christophers: Ja, oder in Vietnam oder Senegal, wo die Regierungen bereits
       mit massiven Schulden belastet sind. Diese Schulden schränken ein, wie viel
       Startkapital diese Regierungen für den Aufbau erneuerbarer Energien
       mobilisieren können, der bekanntermaßen mit hohen Anfangsinvestitionen
       verbunden ist. An dieser Stelle müssten die Industrieländer bei der
       Finanzierung helfen – immerhin haben sie am meisten vom Verbrennen fossiler
       Brennstoffe profitiert.
       
       19 Jul 2025
       
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