# taz.de -- Heatwave-Festival in Berlin: Von der Platte für die Platte
       
       > Gegen die Unsichtbarkeit: Ein Festival von und für Jugendliche mitten im
       > Märkischen Viertel in Berlin kämpft gegen Kürzungen und für mehr
       > Teilhabe.
       
 (IMG) Bild: Die Jugendlichen demonstrieren gegen Kürzungen bei der Jugendarbeit
       
       Berlin taz | Bunte Sitzsäcke, zusammengewürfelte Gartenmöbel und Bierbänke
       laden in der Mitte der Festwiese am Seggeluchbecken zum Verweilen ein –
       mitten im [1][Märkischen Viertel], der Großsiedlung in Reinickendorf. Es
       riecht nach Popcorn und Jollof-Reis, ein Glücksrad klackert leise im
       Hintergrund, während sich Jugendliche, Familien und Rentner*innen rund
       um die Stände versammeln.
       
       Die Jugendberufsagentur ist ebenso vertreten wie der Treffpunkt „House of
       Queers“. An einem Stand liegt eine Petition für die Zukunft der
       Jugendarbeit. Von der Bühne schallt Musik über den Platz. Manche hören von
       den Balkonen der umliegenden Hochhäuser zu, andere lassen sich davon
       anziehen und kommen herunter.
       
       Bereits zum vierten mal haben am Wochenende junge Menschen aus
       Reinickendorf ihr eigenes Festival auf die Beine gestellt. Der Schauplatz
       im „MV“ ist dabei bewusst gewählt: „Das Festival ist für Reinickendorf, und
       das MV ist der Hotspot, hier sind die meisten Leute“, erklärt der
       19-jährige Ibo, Crewmitglied der ersten Stunde.
       
       Im Rahmen des Projekts „Partizipatives Jugend-Festival Reinickendorf“ haben
       15 Jugendliche sechs Monate lang eigenständig das gesamte
       [2][Heatwave-Festival] geplant – inklusive Künstler*innenakquise,
       Öffentlichkeitsarbeit und Sponsorensuche. Bewaffnet mit Energy Drinks und
       Veggie Gums traf sich das Team wöchentlich im Tanzraum des Jugendzentrums
       comX, ihrem Hauptquartier.
       
       ## Demonstration für Jugendarbeit
       
       Nikola war mit 17 das erste Mal an der Festival-Planung beteiligt und ist
       seitdem jedes Jahr dabei: „Wenn man unsere Gruppe sieht, sieht man
       unterschiedliche Menschen, Kulturen, Charaktere. Manchmal frage ich mich,
       wie es eigentlich sein kann, dass wir so gut zusammenarbeiten, aber wir
       respektieren jeden, der nicht respektlos ist.“
       
       Für den 14-jährigen Wael ist das Festival nicht nur ein Anlass, um Spaß zu
       haben, sondern auch, um auf Probleme aufmerksam zu machen. „Jugendliche
       werden aus vielem ausgeschlossen: Clubs, Gewinnspiele, Wahlen. Ich finde
       das unfair. Wir sollten mehr Rechte haben, sonst haben wir keine Freiheit.“
       Wael will später Politiker werden, um sich für Kinder stark zu machen.
       
       Unter dem Motto #unkürzbar findet am Rande des Festivals auch eine
       Demonstration statt, bei der auf die Bedeutung von Kinder- und Jugendarbeit
       aufmerksam gemacht wird, die von den aktuellen und [3][kommenden
       Haushaltskürzungen] bedroht ist. „Die Jugendlichen spüren die Unsicherheit
       im System, weil Planbarkeit fehlt“, sagt Katharina Heuer, Geschäftsführerin
       von „Kulturcoaching“, das außerschulische Angebote wie das
       Heatwave-Festival betreut.
       
       Und sie reagieren darauf. Ibo hat einen Song namens „#unkürzbar“
       geschrieben, den er auf der Demo und auf der Festivalbühne performt. Er ist
       im MV aufgewachsen, hat gerade das Abitur bestanden. „Bei mir zu Hause
       gibt’s keinen optimalen Ort zum Lernen – Ablenkung durch PC, Eltern,
       Geschwister. Im Jugendzentrum kann ich von meinen Sorgen erzählen, ich
       bekomme Hilfe beim Lebenslauf, bei der Berufswahl“, erzählt er. Dass bei
       der Jugendarbeit gekürzt werden soll, versteht er nicht: „Das ist eine
       Investition in die Zukunft des Landes.“
       
       ## Wenig Platz für Begegnung
       
       Laut Studien nehmen psychische Belastungen wie Stress und Erschöpfung
       [4][bei Jugendlichen immer weiter zu]. Im Abschlussbericht der
       Interministeriellen Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder
       und Jugendliche durch Corona“ ist festgehalten, dass viele Kinder und
       Jugendliche durch die Pandemie stark belastet wurden.
       
       Diejenigen, die in Plattenbausiedlungen wie dem MV leben, waren zusätzlich
       benachteiligt: wenig Platz, kein Garten, mangelhafte digitale Ausstattung.
       Die Pandemie hat bestehende soziale Ungleichheiten verschärft und gezeigt,
       wie wichtig außerschulische Begegnungsräume sind.
       
       Der 15-jährige Jamal arbeitet neben der Schule bei der
       „Nachbarschaftsetage“, einem Treffpunkt für Menschen, die Unterstützung
       brauchen. Dort helfen sie sich gegenseitig beim Verstehen und Bearbeiten
       von amtlichen Dokumenten oder verbringen Zeit mit Menschen, die oft allein
       sind. Für das Festival hat Jamal eine mobile Küche organisiert, ein
       Anhänger, aus dem er mit dem 52-jährigen Janvon der Nachbarschaftsetage
       Pizza verkauft.
       
       ## Finanzierung des Festivals ist ungewiss
       
       Jugendstadtrat Alexander Ewers (SPD) ist beeidruckt vom Einsatz der
       Jugendlichen. „Das Spannende ist nicht nur das Festival selbst, sondern der
       Prozess, der die Gruppe ausmacht“, sagt er. Ewers, der früher selbst in der
       offenen Kinder- und Jugendarbeit tätig war, berichtet, wie ein
       Jugendlicher, der in der Schule große Mühe mit Referaten hatte, ihn beim
       ersten Festival vor Hunderten von Menschen interviewte. Für ihn sei das
       Projekt eine gute Gelegenheit, mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und
       ihre Bedürfnisse zu hören. „Armut ist ein großes Thema. Und wie wir
       Übergänge gestalten, insbesondere von der Schule in den Arbeitsmarkt.“
       
       Die Jugendarbeit unterstützt Schulen und Familien bei diesem Übergang. Beim
       Heatwave-Festival lernen junge Menschen Eigenverantwortung und
       Demokratiebildung passiert spielerisch. Doch wird das nach den geplanten
       Kürzungen im Haushalt noch im selben Ausmaß möglich sein? Für nächstes Jahr
       sei die Finanzierung des Festivals ungewiss, sagt Ewers: „Das Projekt wird
       aktuell vom Land finanziert. Wenn dort gekürzt wird, wissen wir nicht, was
       bleibt.“ Er wolle versuchen, es bezirklich abzusichern, „aber ob das
       klappt, ist noch unklar“.
       
       Die alternde Gesellschaft erzeuge zwei Minderheiten: Kinder und Eltern von
       Minderjährigen, schreiben Aladin El-Mafaalani, Sebastian Kurtenbach und
       Klaus Peter Strohmeier in ihrem aktuellen Buch [5][„Kinder – Minderheit
       ohne Schutz“]. Sie fordern: „Ein alterndes Land muss ein kinderorientiertes
       Land sein.“
       
       Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention sichert Kindern das Recht, in
       allen sie betreffenden Angelegenheiten ihre Meinung frei zu äußern – und
       dass diese angemessen berücksichtigt wird. Die jungen
       Festivalmacher*innen in Reinickendorf machen genau das: Sie sprechen
       mit, sie gestalten und sie feiern. Mit Musik, Meinung und Pizza. Doch das
       geht nur, solange ihnen von politischer Seite aus die nötigen Räume und
       Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
       
       20 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Leben-im-Maerkischen-Viertel/!6059563
 (DIR) [2] https://www.festivalreinickendorf.eu/
 (DIR) [3] /Berliner-Landeshaushalt/!6095960
 (DIR) [4] /Psychische-Gesundheit-von-Kindern/!6015886
 (DIR) [5] /Deutschlands-Umgang-mit-Kindern-und-Jugendlichen/!vn6075170/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bianca Nawrath
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Plattenbau
 (DIR) Sozialer Brennpunkt
 (DIR) Schwerpunkt Armut
 (DIR) Gesellschaftliche Teilhabe
 (DIR) Jugendliche
 (DIR) Sozialpolitik
 (DIR) Kürzungen
 (DIR) Demonstration
 (DIR) Festival
 (DIR) Berlin
 (DIR) Urlaub
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Kinderarmut
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Plädoyer für Jugendreisen: Die Freiheit, das Falsche zu tun
       
       Auf Jugendreisen muss es Schutzkonzepte geben, schreibt die 18-jährige
       Autorin. Denn alle jungen Menschen sollten diese Erfahrung der
       Unabhängigkeit machen können.
       
 (DIR) Leben im Märkischen Viertel: Stolz und Vorurteil
       
       Hochhaussiedlungen könnten die Wohnungskrise lösen, haben aber keinen guten
       Ruf. Was sagen Menschen, die hier leben oder aufgewachsen sind?
       
 (DIR) Monitor zu Jugendarmut: Viele junge Menschen bleiben arm
       
       Armut unter Jugendlichen ist in Deutschland weit verbreitet. Die Folgen:
       Schlechterer Zugang zu Bildung, bezahlbarem Wohnen und sozialer Teilhabe.
       
 (DIR) Psychische Gesundheit von Kindern: Ohne Halt
       
       Studien zufolge leidet ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen unter
       psychischen Störungen. Das Hilfesystem ist darauf nicht vorbereitet.