# taz.de -- Bilanz der Frauen-EM: Was uns die Vorrunde lehrt
       
       > Kluge TV-Expertinnen, konterfähige Underdogs und viele Tore. Nur dem
       > deutschem Schlager kann die EM nicht zu Ruhm verhelfen.
       
 (IMG) Bild: Spanien schießt Tore, wie hier beim 3:1 Sieg gegen Italien in der Vorrunde
       
       ## Schießt viele Tore!
       
       14 Tore in zwei Spielen – die Bilanz des letzten Gruppenspieltags pointiert
       erneut ein Charakteristikum dieser EM: Es werden verdammt viele Tore
       geschossen. Spanien sticht dabei, wie so oft in diesem Turnier, besonders
       hervor. Fünf Tore im ersten, sechs im zweiten und drei im dritten Spiel hat
       die [1][Selección] verwandelt. Was führt zu den hohen Spielergebnissen? As
       simple as it seems: ein besseres Offensiv- als Abwehrspiel sämtlicher
       Teams. Hinten zieht’s durch die luftigen Ketten, vorne wird gekonnt
       kombiniert und abgeschlossen. Helfen können Lehrsätze aus der Kreisliga:
       immer mit zurückkommen, keine Bälle quer vor dem eigenen Tor und nah an der
       Gegnerin bleiben!
       
       ## Habt keine Stars!
       
       Wer als Person des öffentlichen Lebens kein Self-Branding betreibt, lässt
       sich ordentlich Scheine durch die Lappen gehen. „Self-Branding“ ist
       Englisch und steht für „Ich kreiere aus jedem noch so irrelevanten Schritt,
       den ich in meinem Alltag tue, einen Instagram-Post, baue eine große
       Followerschaft auf, schließe Deals mit Werbetreibenden und kassiere fett
       ab.“ Fußballer lieben diesen Trick, können sie so doch ihre mickrigen
       Millionengehälter ein wenig aufbessern. Auch im Frauenfußball haben sich
       vereinzelte Spielerinnen, beispielsweise die viel diskutierte Schweizerin
       [2][Alisha Lehmann,] dieses Game zu eigen gemacht. Turniere können diesem
       Geschäftsmodell einen besonderen ökonomischen Push geben.
       
       Eigentlich – jedoch nicht diese EM. Bisher glänzen hier die Teams mehr, als
       dies einzelne Spielerinnen tun. Klar, es gibt welche, die besonders
       herausstechen, wie Legende Alexia Putellas, doch unterm Strich gilt die
       mediale Aufmerksamkeit weniger der Performance einzelner Spielerinnen als
       der Teamleistung. Vielleicht liegt es daran, dass der Frauenfußball
       nachhaltiger und die Teams stärker geworden sind. Sie hängen weniger als
       noch vor zehn Jahren von den paar Leistungsträgerinnen ab, die neben dem
       Fußballspielen nicht Vollzeit arbeiten gehen. So oder so, weniger
       Star-Besessenheit tut dem Teamsport Fußball gut.
       
       ## Versteht die Schweiz!
       
       Der Ruf der Trainerlegende [3][Pia Sundhage] litt zuletzt. Mit Brasilien
       schied sie bei der WM 2023 in der Vorrunde aus, mit der Schweiz wollte es
       bis zum Beginn dieser EM auch nicht so recht klappen. Unstimmigkeiten, zu
       hartes Training – es gab Gerüchte. Doch seit dem EM-Auftaktspiel führt die
       65-jährige Schwedin das Team des Gastgebers mit Geschick und freundlicher
       Gelassenheit durchs Turnier. Auch während des Spiels hat sie Einfluss aufs
       Geschehen; Gegen Island und Finnland wechselte sie jeweils die
       entscheidenden Torschützinnen ein. Als Spielerin wurde Sundhage mit
       Schweden 1984 Europameisterin. Der Viertelfinaleinzug jetzt mit der Schweiz
       ist ein vergleichbarer Erfolg.
       
       ## Hört keine Musik!
       
       Was dem [4][Wolle Petry] nicht gelang, schaffen die DFB-Frauen auch nicht:
       Gassenhauer wie „Verlieben, verloren“ finden außerhalb deutscher
       Radiostationen keinen Anklang. Es ist die Erkenntnis, die wir bei beinah
       jedem European Song Contest auf die Schwarzbrotstulle geschmiert bekommen:
       Der europäische Markt bleibt hiesigem Kulturgut verschlossen, ganz gleich,
       ob es im Flanellhemd oder in kurzen Hosen daherkommt. Nicht jede Musik
       vermag Grenzen zu überschreiten.
       
       ## Hört Expertinnen zu!
       
       Da hocken sie und reden über Fußball: Mit Kathrin Lehmann, [5][Almuth
       Schult] und Fritzy Kromp hat sich in den vergangenen Jahren ein
       TV-Expertinnentypus durchgesetzt, der ein Spiel lesen und sich eloquent
       dazu äußern kann und nicht ins Studio gekommen ist, um einen Spruch
       rauszuhauen. Plötzlich liefern die ansonsten in diesem Bereich geschmähten
       Torleute – remember Oli Kahn! – plötzlich die beste Expertise: Lehmann und
       Schult standen zwischen den Pfosten und die Ex-Verteidigerin Kromp nur
       knapp davor.
       
       ## Bleibt deutsch?
       
       So kann man natürlich auch die Viertelfinals von Frankreich und England
       schauen: „Neuauflage vom Finale verschoben“ schreibt der Express unter
       souveräner Umgehung des Genitivs. Für die Botschaft, dass die DFB-Auswahl
       erst en passant die Französinnen rauswerfen wird, um später auf die jetzt
       schon ängstlichen Engländerinnen zu treffen, braucht’s keine Grammatik.
       Leichte Zweifel meldet immerhin sportschau.de an: „Deutschlands Weg ins
       Endspiel wird nun deutlich schwerer“, denn, so die bange Frage: „Halbfinale
       gegen Spanien?“ Wer spricht schon von einem Viertelfinale gegen Frankreich,
       wenn dieses Land Visionen hat.
       
       ## Foult nicht so oft!
       
       Eine Rote Karte gab es nur in dieser Vorrunde und die – alle haben es
       gesehen – wurde wegen [6][Handspiels] gezeigt. Auch die Bilanz der
       Gelb-Roten Karten fällt mit drei so aus, dass man von einem fairen Turnier
       sprechen kann. Bei der EM 2022 gab es übrigens überhaupt keine Rote Karte
       und insgesamt nur zwei Gelb-Rote. Ein anderer Indikator dürfen Elfmeter
       sein: zehn Stück bislang, im Turnier 2022 waren es insgesamt acht. Kleine
       Indizien, dass es im Frauenfußball künftig ein bisschen derber zugehen
       wird, lassen sich also markieren.
       
       ## Schaltet um!
       
       [7][Belgien] hat nicht wirklich eine Chance gehabt gegen die
       Turniermitfavoritinnen aus Spanien. Das 2:6 war durchaus ein angemessenes
       Ergebnis. Aber wie es den Belgierinnen gelungen ist, zweimal auszugleichen,
       das war durchaus sehenswert und spricht für einen Trend bei diesem Turnier.
       Die Underdogs pflegen ein elaboriertes Umschaltspiel. Da weiß jede, wo die
       Mitspielerinnen platziert sind, welche Laufwege sie einschlagen.
       
       Auch die EM-Neulinge Polen und Wales haben gezeigt, dass die Zeit vorbei
       ist, in der technisch unterlegene Teams die Bälle planlos nach vorne
       schlagen. Und so konnte es dazu kommen, dass die spanische Abwehr ein paar
       Mal gewaltig ins Schwimmen gekommen ist. Belgiens Sieg im letzten
       Gruppenspiel gegen ausdauernd anrennende Portugiesinnen liefert den Beweis,
       dass die Fähigkeit zum schnellen Gegenangriff stilbildend ist für den
       modernen Frauenfußball.
       
       ## Fans, bildet Blöcke!
       
       Am Montagmorgen warteten etliche traurige [8][Niederländerinnen] am
       Badischen Bahnhof von Basel auf den Zug und ihre Heimreise. Schätzungsweise
       10.000 Oranje-Fans hatten schon in der Stadt extrem für Stimmung gesorgt.
       Aber auch die Französinnen konnten sich nicht über mangelnde Unterstützung
       beklagen. Ob aus den Niederlanden, England oder Deutschland – überall
       werden touristische Rekordzahlen verkündet.
       
       Die Fanpartys und -märsche sind mit dieser EM endgültig zum Bestandteil
       auch von Frauenturnieren geworden. In den Stadien sitzen die Lautstärksten
       mittlerweile wie bei den Männerspielen im Block zusammen. Beeindruckend
       auch die pausenlose Unterstützung des schwedischen Anhangs im Letzigrund
       von Zürich gegen Deutschland.
       
       ## Macht euch den VAR zunutze!
       
       Für den Gang zum Kühlschrank, um sich ein Bier zu holen, reicht eine
       durchschnittliche VAR-Unterbrechung bei diesem Turnier eigentlich immer.
       Manchmal dauert die Überprüfung einer Abseitsstellung gar so lang, dass man
       getrost noch ein Oberhemd bügeln kann, bevor die Videoüberprüfung beendet
       ist. Dabei hatte doch die Uefa verkündet, dass mit der erstmals bei den
       Frauen eingesetzten „halbautomatischen Abseitsüberprüfung“ alles viel
       einfacher gehen soll.
       
       Zehn Spezialkameras, die 29 verschiedene Körperpunkte pro Spielerin
       erfassen und die im Spielball integrierte „Connected Ball Technology“ zur
       genauen Bestimmung des Moments der Ballabgabe scheinen die Entscheidungen
       jedenfalls nicht zu beschleunigen.
       
       Und wehe, eine Elfmeterentscheidung wird überprüft! Das dauert noch viel
       länger. Darauf noch eine frische Halbe aus dem Kühlschrank!
       
       ## Stürmt die Bildregie!
       
       Marko Saloranta hat das finnische Team bei dieser EM zu einigen
       bemerkenswerten Auftritten geführt, auch wenn es am Ende nicht für das
       Viertelfinale gereicht hat. In Erinnerung bleiben wird er bei den
       Fernsehzuschauenden aber wohl eher wegen seiner eigentümlichen Art, sein
       Hemd hochzukrempeln. Unzählige Male war er in Nahaufnahme zu sehen. So war
       das oft in den Übertragungen.
       
       Während die Zuschauenden gewiss viel lieber mal die Wiederholung einer
       Torszene, den Auslöser einer umstrittenen Foul- oder Abseitsentscheidung
       gesehen hätten, bekommen sie Bilder von ulkig gekleideten Fans oder
       irgendwie dreinblickenden Trainerinnen geliefert.
       
       Die Bildregie bei dieser EM ist derart unterirdisch, dass man sich beinahe
       schon den Hokuspokus wünscht, der bei der Klub-WM der Männer veranstaltet
       wurde. Da liefen die Schiedsrichter mit Bodycams über den Platz. Wie wohl
       das Hemd von Saloranta aus Schiedsrichterinnenperspektive ausgesehen hätte?
       
       14 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Spanisches-Frauen-Nationalteam/!6095521
 (DIR) [2] /Fussball-Influencerin-Alisha-Lehmann/!6096752
 (DIR) [3] /Schwedische-US-Trainerin-Pia-Sundhage/!5117064
 (DIR) [4] /Wolfgang-Petry-singt-mit-DFB-Frauen/!6094721
 (DIR) [5] /Almuth-Schult/!t5630148
 (DIR) [6] /Nach-Rot-und-Elfmeter/!6097248
 (DIR) [7] /!6096002/
 (DIR) [8] /EM-Debakel-der-Niederlande/!6096236
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marie Gogoll
 (DIR) Johannes Kopp
 (DIR) Martin Krauss
 (DIR) Andreas Rüttenauer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
 (DIR) Schweiz
 (DIR) Fankultur
 (DIR) Fußball
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
 (DIR) Kolumne Nur öppis chliises*
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Neuer Fantypus bei der EM: Feminismus mit kühlem Vibe
       
       Bei der EM gibt es eine neue Fangeneration, die mit dem Männerfußball nie
       groß in Berührung gekommen ist. Machen sie den Fußball besser?
       
 (DIR) Rassismus bei der EM: Verbrauchte Geste
       
       Englands Jessica Carter wird im Netz rassistisch beleidigt. Das Team zeigt
       sich solidarisch und stößt eine Debatte über Gewalt auf Social Media an.
       
 (DIR) DFB-Team erreicht Halbfinale: Die wahnsinnige Spielwende der Wück-Elf
       
       Nach der 13. Minute schien das Schicksal des bis dahin eher haarig
       auftretenden DFB-Teams besiegelt. Doch dann passierte was Unpackbares.
       
 (DIR) Trainerin der Schweizer „Nati“: Pia Sundhage macht es mit Gelassenheit
       
       Die erfahrene Schwedin hat die Schweiz ins Viertelfinale gecoacht. Nach
       einer schwierigen Anlaufphase gilt sie nun wieder als Erfolgstrainerin.
       
 (DIR) EM-Duell zwischen Schweden und England: Erfahrung, Taktik und Musik
       
       Mit Schweden und England begegnen sich im Viertelfinale zwei der besten
       Turniermannschaften der vergangenen Jahre. Der ultimative taz-Test.
       
 (DIR) Torhüterin Ann-Kathrin Berger: Einfach lässig
       
       Als Jugendliche war DFB-Torhüterin Ann-Kathrin Berger Offensivspielerin.
       Dabei macht sie ihre Gelassenheit zur geborenen Torfrau.
       
 (DIR) Italiens Fußballerinnen bei der EM: Da geht noch mehr
       
       Das italienische Team bestätigt die positive Entwicklung der vergangenen
       Jahre trotz aller Widrigkeiten. Gegen Norwegen will man weiter zulegen.
       
 (DIR) Nach Rot und Elfmeter: Mehr als ein Pfiff im Walde
       
       Das deutliche 1:4 der Deutschen gegen Schweden war mehr als ein
       Ausrutscher: Es zeigte erhebliche Defizite vor allem im defensiven System.
       
 (DIR) Rituale bei der EM der Frauen: Die heilige Liturgie der Uefa
       
       Das Gedenken an den verstorbenen Profi Diogo Jota gehört zum festen Ritual
       in den EM-Stadien. Auch ein Bernhardinerwelpe darf nicht fehlen.
       
 (DIR) Frauenfußball vor der EM in der Schweiz: Revolutionär, feministisch und letzten Endes auch nur Fußball
       
       Der Frauenfußball wächst und wächst. Wachstum scheint auch der einzige
       Maßstab, andere Themen werden übersehen.