# taz.de -- Schutz vor Gewalt gegen queere Menschen: Der Noteingang
       
       > In München gibt es jetzt eine Gewaltschutzunterkunft für trans*, inter
       > und nicht-binäre Personen. Nur: Es ist die einzige ihrer Art in
       > Deutschland.
       
 (IMG) Bild: Einen Ort wie die Gewaltschutzunterkunft in München hätte Emilio, 23, in seiner Jugend gebraucht
       
       München taz | Dieses Jahr ist das erste seit Langem, in dem sich Emilio auf
       seinen Geburtstag freut. Er hat schon alles bis ins Detail geplant: Eine
       Freundin hat vor, ihn in der Wohngruppe, in der er lebt, zu besuchen. Es
       gibt Schwarzwälder Kirschtorte, abends Pizza mit Parmaschinken und Rucola
       beim Italiener. Sollten seine Eltern unverhofft vor der Tür stehen, hat er
       der Leiterin der Wohngruppe aufgetragen, die Polizei zu rufen. Emilio ist
       jetzt frei. Die Angst vor Schlägen und der Zwang, ein Kleid zu tragen – all
       das soll vorbei sein.
       
       Emilio ist trans. Für das, was der 23-Jährige ist, was er mag und wie er
       sich der Welt präsentiert, wurde er von seinem Vater misshandelt. Die
       blauen Flecken und Traumata, die daraus resultierten, sind in den Berichten
       von Ärzt:innen dokumentiert. Gewalt gegen trans*, inter und nicht-binäre
       Menschen – zusammengefasst als T*IN-Personen – ist vielschichtig. Sie tritt
       in Familien, Partnerschaften und in öffentlichen Räumen auf und bleibt doch
       für ungeübte Augen oft unsichtbar.
       
       Laut dem Bundeskriminalamt (BKA) und dem Bundesinnenministerium (BMI) stieg
       die Zahl der Straftaten gegen LSBTIQ*-Personen in den letzten Jahren stark
       an: 1.785 Fälle gegen Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und
       intergeschlechtliche Menschen wurden 2023 erfasst, das sind deutlich mehr
       als die 1.188 im Vorjahr. Besonders häufig waren Beleidigungen,
       Gewalttaten, Volksverhetzung und Bedrohungen. Die registrierten
       körperlichen Angriffe betrafen 212 Opfer, 2022 waren es 197 gewesen.
       
       In München hat am Montag die erste Gewaltschutzunterkunft für
       T*IN-Personen in Deutschland eröffnet: ein Haus mit großem Garten, fünf
       Zimmern und einem Büro. Die Adresse muss aus Sicherheitsgründen geheim
       bleiben. Bis zur Eröffnung dauerte es sechs Jahre.
       
       Genau so eine Unterkunft hätte Emilio gebraucht, wahrscheinlich wäre ihm
       einiges erspart geblieben. Emilio wusste schon mit 13 Jahren, dass er keine
       Frau ist. Erst mit 19 gelang es ihm, von zu Hause auszuziehen. „Je älter
       ich wurde, desto schwieriger wurde es zu Hause. Meine Eltern haben immer
       mehr Alkohol getrunken, aber mein Vater hat auch angefangen, mich zu
       schlagen, wenn ich mit dem Thema ankam.“ Emilio wusste nicht, wohin. Also
       blieb er.
       
       Sechs Jahre später wird Emilio auf eigenen Wunsch in die psychiatrische
       Tagesklinik in Grünstadt aufgenommen. Dort bemerkt eine Ärztin die schweren
       Blutergüsse an seinem Körper. Die Arztbriefe waren für die taz einsehbar.
       Emilio darf über Weihnachten und Silvester in der Klinik bleiben, doch
       danach muss er zurück nach Hause. Fünf Monate später zieht Emilio
       schließlich aus, in eine psychiatrische Einrichtung. „Es war kein schöner
       Ort, wo ich dann hin bin. Aber ich habe mir gesagt: Besser als gar nichts.“
       
       Grundlage für die Gewaltschutzunterkunft in München [1][ist die 2017 in
       Deutschland ratifizierte Istanbul-Konvention (IK)], ein völkerrechtlicher
       Vertrag des Europarats zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer und
       häuslicher Gewalt. „Die Stadt München hat eine Vorreiterrolle, was die
       Umsetzung der IK angeht. Es ist großartig, dass der Oberbürgermeister auch
       in diesen Zeiten damit an die Öffentlichkeit geht“, sagt Lydia Dietrich,
       Geschäftsführerin der Frauen*hilfe München.
       
       Dietrich verweist auf das neue [2][Gewalthilfegesetz, das die
       Ampelregierung noch im Februar gemeinsam mit der Union verabschiedet hat].
       Dieses sichert Frauen und Kindern erstmals einen Anspruch auf Beratung und
       Schutz vor Gewalt zu. Bis 2036 sollen Frauenhäuser und Beratungsstellen
       bundesweit mit 2,6 Milliarden Euro gefördert werden. In einem früheren
       Entwurf waren auch T*IN-Personen explizit genannt. Doch auf Druck der
       Unionsfraktion im Bundestag wurden sie ausgeschlossen und haben somit
       keinen Anspruch auf Schutz.
       
       Plätze in Frauenhäusern, in denen Frauen und ihre Kinder vor Gewalt Schutz
       finden, sind rar. Etwa 7.700 gibt es deutschlandweit, laut IK wären mehr
       als 21.000 nötig. Transmaskuline und nicht-binäre Personen haben keinen
       Anspruch auf einen Platz im Frauenhaus. Ob trans Frauen aufgenommen werden,
       entscheiden die Häuser individuell. „Aus Angst vor Stigmatisierung und
       Diskriminierung versuchen es manche trans Frauen gar nicht erst“, erklärt
       Dietrich.
       
       Den Anfang nahm das Projekt in München 2019. Die Gleichstellungsstelle für
       Frauen initiierte einen partizipativen Prozess, um zunächst den Bedarf in
       München zu ermitteln. Expert:innen und Personen der Community nahmen
       daran teil. Drei Jahre später, im März 2022, legte sie dem Stadtrat einen
       Aktionsplan zur Bekämpfung „geschlechtsspezifischer Gewalt“ vor. Der sieht
       unter anderem vor, T*IN-Personen ab 18 Jahren in akuten Bedrohungslagen die
       Möglichkeit zu bieten, temporär in einer geschützten Unterkunft
       unterzukommen.
       
       Nach Zustimmung des Stadtrats holten die Gleichstellungsstelle und die
       Koordinierungsstelle für LGBTIQ+ die Frauen*hilfe als Trägerin ins Boot.
       Dietrich übernahm die Suche nach einer Immobilie – in München eine
       besonders herausfordernde Aufgabe. Doch dann machte sie einen Glücksgriff.
       „Das Projekt gibt es, weil Lydia Dietrich ein unheimlich mutiger Mensch
       ist, der sich getraut hat, das umzusetzen“, sagt Jakob Zara Pfeiffer,
       Mitarbeiter:in der Gleichstellungsstelle. Geleitet wird das Projekt von
       Patrizia Melzer von der Beratungsstelle der Frauen*hilfe.
       
       Wie groß der Bedarf an einer solchen Gewaltschutzunterkunft ist, lässt sich
       nur erahnen. Denn langfristige Studien, die die Gewalt an T*IN-Personen
       erfassen, gibt es nicht. Das BKA und das BMI veröffentlichen erst seit 2022
       Zahlen zu Hasskriminalität aufgrund von „geschlechtsbezogener Diversität“.
       Der Begriff beschreibt Straftaten gegen Menschen, die sich weder als
       männlich oder weiblich bezeichnen oder die wegen ihrer geschlechtlichen
       Identität diskriminiert werden. [3][Bereits 2023 stiegen die erfassten
       Angriffe in dieser Kategorie um 105 Prozent], insgesamt wurden 854 Fälle
       registriert.
       
       Laut einer EU-weiten Studie aus dem Jahr 2014 berichteten 34 Prozent der
       befragten trans Personen, in den vergangenen fünf Jahren körperliche oder
       sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Das entspricht jeder dritten
       T*IN-Person. 80 bis 90 Prozent der LSBTIQ*-feindlichen Taten werden nicht
       offiziell erfasst, sagt Sebastian Stipp, Ansprechperson der Berliner
       Polizei für queere Menschen.
       
       Beratungsstellen sind oft die erste Anlaufstelle, doch ihre Möglichkeiten
       sind begrenzt. Eine Weitervermittlung ist nicht immer möglich. Charly Krenn
       von Rubicon Köln, einer psychosozialen Beratungsstelle für LSBTIQ-Personen,
       die von Gewalt betroffen sind, hat es selbst erlebt. „Wir haben das
       Problem, dass Menschen bei uns vor der Tür stehen und wir sie nirgendwo
       hinschicken können.“ Oft bleibt den Betroffenen keine Wahl, als an den Ort
       zurückzukehren, an dem ihnen Gewalt angetan wurde.
       
       Die Gewaltschutzunterkunft in München legt ihren Fokus auf
       Partnerschaftsgewalt. Betroffene von familiärer Gewalt, so wie Emilio,
       werden nicht aufgenommen. „Partnerschaftliche Gewalt ist stigmatisiert,
       besonders in queeren Beziehungen. Über Gewalterfahrungen zu sprechen, ist
       schwer – vor allem, wenn dem Umfeld sowieso bewiesen werden muss, dass es
       eine legitime Beziehung ist“, erklärt Chris Henzel, Berater in der
       T*IN-Antigewaltberatung der Schwulenberatung Berlin. In Köln soll in den
       nächsten Jahren ein Angebot entstehen, das auch bei familiärer und
       queerfeindlicher Gewalt im Wohnraum Schutz bietet.
       
       Als Emilio mit 13 zum Friseur ging, um seine langen Locken abschneiden zu
       lassen, fühlte er sich befreit. „Ich bin ins Wohnzimmer gegangen, Mama und
       Papa saßen auf der Couch, haben mich angeguckt, als ob ich vom Mars komme.
       Sie haben angefangen sich aufzuhetzen. Ich meinte: Lasst es mich doch erst
       mal erklären.“ Sie sagten ihm, dass er mit seinem Verhalten alles nur
       schlimmer mache. Es sei nur eine Phase.
       
       Heute trägt Emilio eine Cap über seinen dunklen Haaren und einen Hoodie. Er
       trägt gerne Joggers, „Jungsklamotten“ sagt Emilio. Wenn er das über Zoom
       erzählt, rückt er ganz nah an seinen Handy-Bildschirm, um sein Gegenüber zu
       erkennen. Emilio wurde ohne Iris auf beiden Augen geboren. Seit 2022 wohnt
       er in der Nikolauspflege in Mannheim, einer Stiftung für blinde und
       sehbehinderte Menschen. Damals, als er nicht weiterwusste, hätte er sich
       eine barrierefreie Gewaltschutzunterkunft gewünscht. „Da weißt du, dass du
       am richtigen Punkt bist“, sagt er, „und dass du so sein kannst, wie du
       bist, ohne irgendetwas zu verstecken.“
       
       1 Jun 2025
       
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