# taz.de -- Zum 150. Geburtstag von Thomas Mann: Der heimliche Außenseiter
       
       > Zum Jubiläum wird Thomas Mann so beflissen gedacht, als könne die
       > Besinnung auf ihn die gesellschaftliche Mitte zusammenhalten. Das ist
       > bemerkenswert.
       
 (IMG) Bild: Nach außen stets bürgerlich-akkurat, aber dahinter: innere Dramen! Thomas Mann in Pacific Palisades, vermutlich 1946
       
       Berlin taz | Ein Kaufmannssohn. Privilegiert. Großbürgertum. Doch er will
       nicht so werden wie sein nervöser, vom Pflichtbewusstsein
       zusammengehaltener Vater, entdeckt die Musik und das Sehnen und stirbt
       früh. Thomas Mann hat ihn erfunden, Hanno Buddenbrook heißt er.
       
       Oder Hans Castorp. Wieder ein Kaufmannssohn. Alles in allem ein ziemlich
       durchschnittlicher junger Mann, bloß etwas blässlich. Eine Karriere als
       Ingenieur ist ihm vorgezeichnet. Doch in einem Sanatorium in den Bergen
       wird er krank. Er bleibt dort oben, in der dünnen Luft einer moribunden
       Gegenwelt, bis er dem bürgerlichen Leben im Flachland mit Beruf und
       Familie, ohne es sich einzugestehen, entfremdet ist. Und bis der Erste
       Weltkrieg ausbricht und sowieso alles hinwegfegt.
       
       Die „Buddenbrooks“ [1][und „Der Zauberberg“], Manns berühmteste Romane.
       Pflichtethik und Lebenskrisen. Sexualität als Versuchung und Verhängnis.
       Starre Rollenmodelle, Künstlertum als Gegenmodell. Sinnsuche und
       Selbstverwirklichung als Verfall und Verfeinerung zugleich.
       
       In der Mitte des Bürgertums rumort die Unruhe. Es ist, wenn man von den
       Thomas-Mann-Klischees mal einen Schritt zurücktritt, eigentlich ziemlich
       bemerkenswert, dass diese so waghalsigen wie entlarvenden Bücher nicht nur
       den Kanon prägten, sondern auch direkt die kulturelle DNA unserer
       Gesellschaft. Aber sie taten es und tun es zum Teil noch. Der heimliche
       Außenseiter, der aus der Selbstverständlichkeit Herausgefallene, das
       „Sorgenkind des Lebens“ (Th. Mann) als Identifikationsangebot und
       Zentralfigur – das hat Thomas Mann zwar nicht erfunden, aber feinst
       ausgemalt und popularisiert. Bis heute gibt es kaum einen Familienroman,
       der nicht von den „Buddenbrooks“ beeinflusst ist.
       
       ## Wie Mitte ist Thomas Mann?
       
       Jetzt, zum 150. Geburtstag, wird seiner vielerorts so beflissen gedacht,
       als könne die Besinnung auf ihn unsere gesellschaftliche Mitte
       zusammenhalten. Am 6. Juni findet in Lübeck fast schon ein Staatsakt statt,
       mit Bundespräsident und allem. Doch das Staatstragende ist nur eine Seite
       an Mann. Die andere: In seiner Mitte, so bürgerlich sie daherkommt, ist
       nichts stabil. Da sind Anstrengung und Sehnsucht, sublimierte Verzweiflung
       und nur schüchternes Glück.
       
       Seine Bücher lesend, in diesen Kathedralen der Sprache wandelnd, versteht
       man denn auch, warum in der Moderne Gegenkultur und Subkultur,
       Therapiegesellschaft und Kreativitätsparadigma erfunden worden sind. Es
       musste irgendwann ja auch Raum geben, um Sexualität auszuleben und die
       Hinterfragung vorgegebener Rollen, die in seinen Büchern ergebnislos
       drängte, auch praktisch umzusetzen.
       
       Wie Mitte ist Thomas Mann? Nach außen hin inszenierte er sich stabil, als
       kultureller Repräsentant, stets in Anzug und Krawatte oder mit Fliege
       (außer manchmal am Strand). Doch dahinter: innere Dramen. Neurosen.
       Abhängigkeit von Zuspruch und Anerkennung. Ein ständiges Hin und Her von
       Selbstbeobachtung und Bewältigung des an sich selbst Beobachteten. Und:
       lebenslanger Kampf, ja Kampf, gegen die eigene Homosexualität, ausgetragen
       im ehelichen Schlafzimmer und im eigenen Tagebuch. So repräsentativ er sich
       gab, er war sich immer auch selbst fremd. Heimlicher Außenseiter blieb er.
       
       Auch politische Verzweiflung trieb ihn um. Nachdem Thomas Mann sich im
       Ersten Weltkrieg [2][als Reaktionär inszeniert hatte], [3][wandelte er
       sich] in der Weimarer Republik erst zum Demokraten und im Zweiten Weltkrieg
       dann auch zum antifaschistischen Aktivisten. Mit einer „Rhetorik des
       entflammten Zorns“ (so der Mann-Forscher Dieter Borchmeyer) wandte er sich
       gegen die Nazis, vom kalifornischen Exil aus in Radioansprachen.
       Hoffentlich sehen die konservativen Menschen, die sich jetzt zu seinem
       Geburtstag auf Thomas Mann berufen, in Zeiten der erstarkten AfD auch
       diesen Aspekt: Spätestens ab 1930 war er eine leibgewordene Brandmauer.
       
       6 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /100-Jahre-Der-Zauberberg/!6001543
 (DIR) [2] /Ausstellung-Bruderkrieg-ueber-Manns/!5042696
 (DIR) [3] /Buch-ueber-Thomas-Mann/!6064208
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dirk Knipphals
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Thomas Mann
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Geburtstag
 (DIR) Jubiläum
 (DIR) Literatur
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) deutsche Literatur
 (DIR) Literatur
 (DIR) Thomas Mann
 (DIR) Übersetzung
 (DIR) Thomas Mann
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Thomas Mann-Ausstellung in Lübeck: Ein Mann voller Brüche
       
       Lübeck ehrt seinen Nobelpreisträger Thomas Mann mit der Ausstellung „Meine
       Zeit“. Sie zeigt den Wandel des Schriftstellers zum Demokraten.
       
 (DIR) Thomas Mann als Spielsache: Siebeneinhalb Zentimeter Literaturheiliger
       
       Weil er 150 Jahre alt würde, bringen sein Verlag und ein Spielwarenkonzern
       Literaturnobelpreisträger Thomas Mann als Plastikfigur heraus. Ein Frevel?
       
 (DIR) Buch über Thomas Mann: Gegen den „Hakenkreuz-Unfug“
       
       2025 ist das Thomas-Mann-Jahr: Der Germanist Kai Sina zeigt die Wandlung
       des Schriftstellers vom kaisertreuen Nationalisten zum Kämpfer für die
       Demokratie.
       
 (DIR) Eine Begegnung mit Susan Bernofsky: Die Übersetzerin
       
       In Deutschland wird gerade der 100. Geburtstag von Thomas Manns
       „Zauberberg“ begangen. In New York sitzt Susan Bernofsky noch an einer
       Neuübersetzung.
       
 (DIR) Biografie von Klaus Mann: Auf der Suche nach Liebe
       
       Schnellschreiber, Kettenraucher, schwul: Thomas Medicus’ Biografie über
       Klaus Mann zeichnet das Leben des Autors in seinen Widersprüchen nach.