# taz.de -- „Tagesschau“ soll länger werden: Ein gewagtes Experiment
       
       > Die „Tagesschau“ um Punkt 20 Uhr ist eine Institution. Intern überlegt
       > man nun, die Sendung um eine Viertelstunde zu verlängern. Ob das
       > funktioniert?
       
 (IMG) Bild: Soll mehr Sendezeit bekommen: Die Tageschau
       
       Als ich noch Mitglied bei der Lesebühne „Reformbühne Heim & Welt“ war,
       lautete unsere offizielle Anfangszeit: „Immer Sonntags um 20 Uhr 15 nach
       der Tagesschau“. Vor der Veranstaltung flimmerten auf der Bühne des
       damaligen „Kaffee Burger“ die Hauptnachrichten der ARD in schwarzweiß über
       den Bildschirm eines Portables. Vortragende wie Publikum schauten gemeinsam
       hin oder weg.
       
       Die gute alte Tante „Tagesschau“ war und ist eine Institution. Noch immer
       ist sie mit fast zehn Millionen Zuschauern im Schnitt die am meisten
       gesehene Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen.
       
       Gerade für ältere Fernsehende ist sie ein absoluter Fixpunkt zwischen dem
       Griff ins Abendfach ihrer Medikamentenbox und dem nachfolgenden
       Heimatschinken. Die [1][Generation Z], dem linearen Fernsehen ohnehin
       entfremdet, kennt das Ritual immerhin noch von Besuchen bei den
       Urgroßeltern, während rüstige Alterchen meines Schlags sich eher auf dem
       Mittelweg bewegen: Das lineare Unterhaltungsprogramm lassen wir zwar links
       liegen zugunsten der Streamingdienste oder allenfalls der Mediatheken. Doch
       die Tagesschau ist für uns immer noch ein Muss. Sie ist für meine wie auch
       die noch ältere Generation das wärmende Lagerfeuer, um das sich
       allabendlich die Republik versammelt.
       
       Stopp, „wärmend“ nehme ich zurück. Die „Tagesschau“ ist nicht behaglich,
       denn sie bringt den Horror in die Wohnzimmer. Eher ist sie das alles
       versengende Lagerfeuer, der Autounfall auf der Gegenfahrbahn, von dem man
       dennoch nicht die Augen abwenden kann. Eine fatale Verstrickung wie
       Kettenrauchen oder Nägelkauen, der wohl das vage Gefühl von einer
       staatsbürgerlichen Informationspflicht zugrunde liegt: Gaza, Ukraine,
       Erdbeben, Rechtsradikale, Trump. Wer sich an so etwas erwärmt, erfreut sich
       auch an überfahrenen Rehkitzen.
       
       ## Aufgeblasene Sendungen
       
       Man sollte also meinen, die Sendung wäre lang und quälend genug. Laut
       WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn wird zurzeit jedoch bereits intern
       mit einer Verlängerung von bisher 15 auf 30 Minuten experimentiert.
       Jenseits des oben genannten Pflichthorrors wolle man die Sendung auch
       stärker für Alltagsthemen öffnen.
       
       Aber ob das funktioniert? Den Jungen sagt die Art der Aufbereitung sowieso
       nicht zu. Die Älteren können sich nicht länger konzentrieren. Und ich
       selbst empfand kürzlich einen „Tagesschau“-Beitrag darüber, was
       irgendwelche Käferchen Lustiges im Wald anstellten oder so ähnlich (ich
       erinnere mich kaum), direkt im Anschluss an [2][von Rechtsradikalen
       ausgehungerte Kinder] in einem Kriegsgebiet als mindestens unpassend, wenn
       nicht obszön.
       
       So etwas aber dürften wir in einer auf das Doppelte aufgeblasenen Sendung
       öfter sehen. Es ist das Zuckerbrot-und-Peitsche-System, das auch vielen
       Kindersendungen mit und ohne Maus zu eigen ist: Lehrreiche oder ernste
       Beiträge wechseln sich gern ab mit leichten, unterhaltenden,
       eskapistischen. Wir sind aber kind of erwachsen. Man möchte das Publikum
       nicht seelisch überfordern, und langweilt es stattdessen lieber.
       
       ## Viel „man weiß es nicht“
       
       Schließlich gibt es für die Liebhaber zerfransten Geblubbers längst
       genügend Möglichkeiten: Dokus, [3][Talkshows], Magazine, Tierfilme, you
       name it. Ganz abgesehen von den Vertiefungsformaten der Nachrichten selbst,
       wie „Tagesthemen“ oder „heute-journal“, die sich ihren Schwerpunktthemen
       seit jeher ausgiebiger widmen.
       
       Außerdem gibt es fast jeden Tag noch einen „Brennpunkt“, der die Tagesschau
       ohnehin um weitere fünfzehn Minuten verlängert, sobald nur irgendwo ein
       Sack Reis umgefallen ist: Die wichtigsten Infos dazu lieferte zuvor die
       Tagesschau, doch der Brennpunkt bringt noch jede Menge Drumherum dazu: Wie
       sah der Sack aus, wie viel Reis war drin, stand er schon irgendwie schief,
       und wer hat ihn umgeschmissen? „Interessante Frage, aber man weiß es
       nicht“, sagt der „Brennpunkt“ – das ist sein Kernsatz, das ist seine
       Aufgabe: Qualifizierte Ahnungslosigkeit, denn zuzugeben, dass man nicht
       weiß, was man nicht wissen kann, ist ein wesentliches Prädikat des seriösen
       Journalismus.
       
       „Man weiß es nicht“: Den Satz wird man nach einer Verlängerung der
       „Tagesschau“ in Zukunft öfter hören. Denn sie würde jedes Thema
       brennpunktartig immer ein kleines bisschen breiter treten. Wenn sich dann
       mal nicht auch noch die Senioren verabschieden.
       
       15 May 2025
       
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