# taz.de -- SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf: „Ich war nie nur Rebell“
       
       > Tim Klüssendorf zählt zum linken Flügel der SPD und ist jetzt ihr neuer
       > Generalsekretär. Ein Gespräch über Steuergerechtigkeit und die Gefahr,
       > auszubrennen.
       
 (IMG) Bild: „Wir wollen nicht für alle Ewigkeit mit der Union regieren“: Tim Klüssendorf im Willy-Brandt-Haus
       
       taz: Herr Klüssendorf, Sie wollten Sportreporter werden, jetzt sind Sie
       SPD-Generalsekretär. Wie konnten Sie so weit vom Weg abkommen?
       
       Tim Klüssendorf: Als Kind hatte ich den Traum, mal ein
       Champions-League-Finale zu kommentieren. Aber ich habe den Weg Richtung
       Sportreporter nicht eingeschlagen, sondern Volkswirtschaft studiert und bin
       dann als direkt gewählter Abgeordneter in den Bundestag gekommen. Immerhin
       habe ich in meiner Zeit als Aufsichtsrat beim VfB Lübeck mal ein Spiel als
       Co-Kommentator begleiten dürfen.
       
       taz: Der VfB Lübeck spielt in der Regionalliga. Droht der SPD ein ähnliches
       Schicksal? 
       
       Klüssendorf: Nein. Unser Wahlergebnis war schlecht, das ist unstrittig. Wir
       übernehmen trotzdem Verantwortung und sind Teil der Bundesregierung. Wir
       konnten wichtige Punkte im Koalitionsvertrag durchsetzen, inklusive der
       Reform der Schuldenbremse und der Milliardeninvestitionen, um Deutschland
       wieder voranzubringen. Die Regionalliga ist in weiter Ferne.
       
       taz: Wann hat Parteichef Lars Klingbeil Ihnen angeboten, Generalsekretär zu
       werden? 
       
       Klüssendorf: Ich habe kurz vor der entscheidenden Präsidiumssitzung mit
       Lars Klingbeil, Saskia Esken und Matthias Miersch gesprochen.
       
       taz: Waren Sie von dem Angebot überrascht? 
       
       Klüssendorf: Die Idee stand vorher ja auch schon in der einen oder anderen
       Zeitung, also nein.
       
       taz: Sie haben beim Parteitag 2023 erfolgreich einen Antrag für eine
       einmalige zehnprozentige Abgabe für große Vermögen gestellt und galten als
       Rebell. 
       
       Klüssendorf: Es macht Spaß, der Führung mal die Leviten zu lesen.
       
       taz: Hat die SPD-Führung jetzt den Rebell eingekauft? 
       
       Klüssendorf: Nein. Ich war nie nur Rebell, sondern als Sprecher der
       Parlamentarischen Linken im Bundestag Teil von vielen Kompromissen. Ich
       habe auch in der Fraktion darauf hingewirkt, dass die Mehrheiten stehen.
       
       taz: Parallelen zu Ihrem Vorvorgänger Kevin Kühnert, der vom Groko-Kritiker
       zum Generalsekretär wurde, drängen sich auf. 
       
       Klüssendorf: [1][Kevin Kühnert war schon als Juso-Chef viel bekannter als
       ich.] Ich bin ein anderer Typ.
       
       taz: Inwiefern? 
       
       Klüssendorf: Ich war mal Kreisvorsitzender der Jusos in Lübeck, aber nie
       auf Bundesebene engagiert. Mein Schwerpunkt war über viele Jahre die
       Kommunalpolitik. Und ich mache nun seit vier Jahren im Bundestag
       Finanzpolitik. Das sind andere Erfahrungen, die ich mitbringe.
       
       taz: Was macht einen guten Generalsekretär aus? Klüssendorf: Das Amt ist
       eine Mischung aus Organisation und Kommunikation. Ein guter Generalsekretär
       sorgt dafür, dass jeder weiß, warum die SPD was macht. Nicht nur zu
       Wahlkampfzeiten.
       
       taz: Und was qualifiziert Sie?
       
       Klüssendorf: Ich habe meinen Wahlkreis zum zweiten Mal in Folge direkt
       gewonnen, und habe Ideen dafür, wie man politische Mehrheiten organisieren
       kann. Außerdem habe ich meinen Master in Unternehmensführung und Marketing
       gemacht und war dann als Referent des Lübecker Bürgermeisters daran
       beteiligt, die Kommunalverwaltung mit über 5.000 Mitarbeitern zu
       modernisieren.
       
       taz: Kevin Kühnert ist als 35-Jähriger ausgebrannt zurückgetreten. Machen
       Sie sich Gedanken, wie Sie dem entgehen?
       
       Klüssendorf: Natürlich mache ich mir darüber Gedanken, auch zusammen mit
       meinem Team und meinem engsten Umfeld.
       
       taz: Olaf Scholz hatte als Generalsekretär den Spitznamen Scholzomat, weil
       er so glatt wie geschliffen redete. Werden Sie freier sprechen? 
       
       Klüssendorf: Scholz hatte als Generalsekretär trotzdem eigene Ideen und
       politischen Einfluss. Sprachlich bin ich sicher ein anderer Typ. Ich will
       Politik so transparent wie möglich machen und Floskeln vermeiden, auch wenn
       man die nicht immer verhindern kann.
       
       Wer erdet Sie, wenn Sie jetzt Teil des Raumschiffs Berlin sind? 
       
       Klüssendorf: Meine engen Freunde in Lübeck haben Jobs weit weg von der
       Politik. Die schauen hin und wieder Nachrichten und informieren sich vor
       allem über Social Media. Von vielen Sachen, die in Berlin als sehr, sehr
       wichtig gelten, haben die nie gehört. Das ist für mich ein wichtiger
       Reflexionsraum.
       
       taz: Heidi Reichinneks Social-Media-Präsenz hatte Anteil am Wahlerfolg der
       Linken. Was kann die SPD davon lernen? 
       
       Klüssendorf: Heidi Reichinnek stellt Maximalforderungen. Das passt nicht
       zur Volkspartei SPD. Wir wollen Zukunftsvisionen entwickeln, Inhalte
       offensiver vertreten. Aber immer mit dem Anspruch, mehrheitsfähig zu sein.
       
       taz: Die SPD denkt den Kompromiss immer gleich mit? 
       
       Klüssendorf: Nein. Wir denken die Mehrheitsfähigkeit in der Gesellschaft
       mit. Meine Aufgabe als Generalsekretär wird es auch sein, zu organisieren,
       dass die SPD eine zusammenhängende Erzählung findet. Viele Mitglieder
       sagen: Wir müssen über das Gesellschaftsbild der SPD reden. Das muss mehr
       sein, als Einzelforderungen zu addieren. Es reicht nicht, noch eine
       Mindestlohnerhöhung und noch eine Verlängerung der Stabilisierung des
       Rentenniveaus zu fordern.
       
       taz: Welche drei Themen sollte die SPD nach vorn stellen? 
       
       Klüssendorf: Erstens: eine solidarische Verteilungspolitik und
       Steuergerechtigkeit. Zweitens: Arbeit und Soziales. Wie sichern wir
       Arbeitsplätze? Was soll unser Sozialstaat leisten? Wie wird er finanziert?
       Drittens: der Schutz unserer Demokratie.
       
       taz: SPD-Chef Lars Klingbeil will als Finanzminister aber sparen,
       Steuererhöhungen sind im Koalitionsvertrag nicht vereinbart. Packen Sie Ihr
       Konzept für vermögenswirksame Steuern jetzt in die Schublade? 
       
       Klüssendorf: Nein, natürlich nicht. Es ist möglich, SPD-Positionen zu
       vertreten und gleichzeitig als eine Partei mit 16,4 Prozent
       Regierungspolitik zu machen. Wir müssen klarmachen, dass das, was wir
       wollen, nicht morgen Gesetz wird, nur weil wir Teil der Bundesregierung
       sind.
       
       taz: Die SPD will also weiterhin eine Vermögensabgabe … 
       
       Klüssendorf: … und die Reform der Erbschaftssteuer und die Aktivierung der
       Vermögenssteuer.
       
       taz: Der Aktienkurs von Rheinmetall hat sich im letzten halben Jahr
       verdreifacht. Ist eine Übergewinnsteuer für Rüstungskonzerne nötig? 
       
       Klüssendorf: Darüber kann man diskutieren. Die technische Umsetzung wirft
       noch viele offene Fragen auf. Selbstverständlich finde ich den Gedanken
       angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre aber plausibel.
       
       taz: Die SPD wollte mal die Bürgerversicherung. Soll sie jetzt wieder dafür
       werben? 
       
       Klüssendorf: Das Konzept ist nicht schlecht. Aber ich finde, wir sollten es
       überarbeiten.
       
       taz: Also ist die Idee passé? 
       
       Klüssendorf: Nein. Sie soll nicht vom Tisch genommen werden. Aber wir
       werden uns generell mit der Frage beschäftigen, wie wir die
       Sozialversicherungssysteme reformieren, damit die Arbeitnehmerinnen und
       Arbeitnehmer sich weiter auf sie verlassen können. Wir werden dazu Ideen
       entwickeln. Dazu gehört auch die Frage, die Bärbel Bas aufgeworfen hat: wer
       eigentlich alles in die Rentenkasse einzahlt.
       
       taz: Die Union hat [2][die Idee, Beamte in das Rentensystem einzubeziehen,
       sofort kassiert]. 
       
       Klüssendorf: Es ist wichtig, dass klar wird, dass die SPD auch jenseits des
       Koalitionsausschusses und von praktischer Regierungspolitik weiter denkt.
       Im politischen Berlin werden solche Forderungen schnell abgeräumt. Ich
       finde, wir brauchen da mehr Offenheit. Die Antwort auf steigende Beiträge
       für die Sozialversicherungen kann nicht sein, dass die Leute länger
       arbeiten sollen oder ihnen Leistungen gekürzt werden.
       
       taz: Eine Regierungspartei, die etwas fordert, was sie nicht umsetzen kann
       – klingt enttäuschend. 
       
       Klüssendorf: Man muss es erklären. Wir brauchen für unsere Projekte
       gesellschaftliche Mehrheiten. Davon sind wir momentan weit entfernt. Wir
       müssen dafür kämpfen, dass sich das ändert.
       
       taz: Den Job, die SPD pur zu vertreten, werden Sie machen müssen. 
       
       Klüssendorf: Ich habe den Vorteil, nicht in Regierungsverantwortung zu
       sein. Aber ich werde meine Spielräume nicht auf Kosten des
       Koalitionspartners nutzen. Das habe ich mir fest vorgenommen.
       
       taz: Was heißt das? 
       
       Klüssendorf: Den Satz „Die Union hindert uns daran, die Welt zu
       verbessern“, werden Sie von mir nicht hören. Ich werde unsere Botschaften
       positiv und offensiv für uns formulieren.
       
       taz: Ist die Linksfraktion Partner oder Gegner? 
       
       Klüssendorf: Wir haben im Bundestag nur einen Gegner, die AfD. Sonst
       niemanden. Wir arbeiten mit allen demokratischen Fraktionen zusammen.
       
       taz: Dann ist Jan van Aken mit seinem „Tax the rich“-T-Shirt ein guter
       Motivator für die SPD? 
       
       Klüssendorf: Je mehr Menschen diese Inhalte vertreten, desto besser.
       
       taz: Sind linke Mehrheiten für Sie ein Ziel? 
       
       Klüssendorf: Das sollten wir im Auge behalten. Wir wollen nicht für alle
       Ewigkeit mit der Union regieren.
       
       taz: Lars Klingbeil hat kürzlich gesagt, die SPD sei in der Mitte, nicht
       links. Hat er das mit Ihnen abgesprochen? 
       
       Klüssendorf: Das muss er nicht mit mir abstimmen. Die SPD hat den Anspruch,
       eine Volkspartei zu sein – und ist damit breit aufgestellt. Unsere
       Bandbreite reicht von der Mitte bis nach links. Klar ist: Wir sind eine
       linke Volkspartei.
       
       Werden Sie in Zukunft noch Zeit für Fußball haben? 
       
       Klüssendorf: Ich werde versuchen, mir immer Termine für [3][den FC
       Bundestag] zu blocken.
       
       taz: Auf welcher Position spielen Sie da? 
       
       Klüssendorf: Ich habe zuletzt offensiv zentral gespielt. Aber eigentlich
       bin ich linker Verteidiger.
       
       23 May 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Ruecktritt-des-SPD-Generalsekretaers/!6038310
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 (DIR) [3] https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/85o6424-lg-berlin-ii-afd-fc-bundestag
       
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