# taz.de -- Historischer Roman von Arno Frank: Ein unaufhaltsamer Aufstieg nach ganz unten
       
       > Eine Kleinstadt zwischen 1935 und 1945: Arno Frank begleitet im Roman
       > „Ginsterburg“ Deutsche, die sich nur allzu gerne der Nazi-Herrschaft
       > unterwerfen.
       
 (IMG) Bild: Die Idylle trügt – das Gift hat sich eingeschlichen
       
       Das Gift hat sich in die Kleinstadt eingeschlichen. Es breitet sich aus,
       unter den Kindern, beim Pfarrer, dem Fabrikanten und einem geachteten
       Mediziner. Das Gift verändert eine geordnet erscheinende kleine Welt. Die
       einen bringt es um, die anderen laben sich an ihm.
       
       Zum Ende hin verschlingt es nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die
       Mauern, das Fachwerk, die Kirchen der Stadt, alles. Dass daran diejenigen
       die Schuld tragen, die das Gift zuvor versprüht haben, wollen diese nicht
       erkennen. Das Gift heißt Hass, Ressentiment, Überheblichkeit,
       Antisemitismus und Nationalismus.
       
       Dieses Gift tropft im neuen Roman von Arno Frank in einer Kleinstadt mit
       dem fiktiven Namen Ginsterburg, irgendwo in der Mitte Deutschlands gelegen,
       aus allen Ritzen, ohne seine Wirksamkeit gar zu offensichtlich zu zeigen.
       Eher kommt es ganz unauffällig daher, geruchlos und unsichtbar.
       
       Das Ginsterburg-Epos spielt sich in den Jahren 1935, 1940 und 1945 ab. Dies
       ist keine Gute-Nacht-Lektüre. Arno Frank verlangt vom Leser eine
       ordentliche Portion Konzentration. Sein Buch gliedert sich in drei
       Zeitebenen, diese wiederum zerfallen in einzelne Erzählepisoden, die von
       den Protagonisten der Geschichte getragen werden. Hört sich kompliziert an,
       ist es aber nicht.
       
       ## Keine Helden
       
       Die Nazi-Zeit also, immer wieder [1][gerne genutzte Folie deutscher
       Literaten für Familiendramen, Holocaust und Heldengeschichten.] Aber in
       dieser hier gibt es keine Helden, und die Familien sind zerrissen, auch
       wenn der äußere Schein stets gewahrt bleibt. Die Stadt Ginsterburg
       erscheint anfangs so wohlgeordnet, mit Bahnhof, Fachwerkhäuschen, Kirche
       und Fabrikschornsteinen, als sei sie einer Modellbahnanlage entsprungen.
       Doch das täuscht.
       
       Großartige Zeiten scheinen das zu sein, so glauben es die Gläubigen schon
       1935, während die Zweifler das Zweifeln noch nicht aufgegeben haben. Die
       Mutter Merlin hat noch Reste aus linker Vergangenheit im Kopf, doch beugt
       sie sich den Vorschlägen der Reichskulturkammer für die in ihrer
       Buchhandlung anzubietende Literatur.
       
       Ihr Sohn Lothar kann den selbst gefangenen Fisch nicht töten und hält dies
       für ein schlimmes Defizit. Seine Freundin versichert, dass er das noch
       lernen werde. Eugen, der Redakteur, weiß um seine einst abgelehnten, aber
       doch eingesandten Beiträge für die linke Weltbühne. Landauer, der Jude,
       bringt sich um. Otto, aufgestiegen zum Kreisleiter, findet die Zeiten schon
       großartig.
       
       Fünf Jahre später sind die Zweifler fast vollständig verstummt, während
       sich die Gläubigen bestätigt sehen, ist doch die Stadt und ihr Leben noch
       besser geworden, besonders ihre eigenen Karrieren. Die Menschen haben sich
       mit den gar nicht mehr so neuen Verhältnissen arrangiert. Sie lieben
       weiter, gehen arbeiten, manche sind Soldat geworden.
       
       Lothar begeistert sich fürs Fliegen (und wird bald darauf zum Kampfpiloten
       der Luftwaffe, der das Töten jetzt kann). Eugen ist zum Chefredakteur des
       Ortsblattes aufgestiegen (und weiß, dass die Gestapo weiß, was er einst
       verfasst hat). Merle denkt nicht mehr so sehr an die alten Zeiten (lieber
       mehr an Eugen). Die Witwe von Landauer ist fortgezogen. Und Kreisleiter
       Otto findet die Zeiten noch großartiger.
       
       ## Sie stehen freiwillig auf ihren Posten
       
       Der dritte Teil fällt in das Jahr 1945, erstes Drittel. Jeder Ginsterburger
       steht, nach zehn Jahren der Gift-Inhalation, auf seinem Posten (mit einer
       kleinen, aber wichtigen Ausnahme). Sie stehen dort freiwillig, versteht
       sich. Mehr wird hier nicht verraten.
       
       Zusammengehalten werden die drei Teile von Franks Buch mittels
       detaillierter Informationen über den Luftkrieg, sei es theoretischer Natur,
       also der Konstruktion neuer Mordmaschinen, seien es praktische Fragen wie
       das Überleben an Bord einer abgeschossenen englischen Lancaster. In beiden
       Fällen geht es also um Leben und Tod, auch wenn der Konstrukteur das nicht
       so ausdrücken würde.
       
       Je häufiger diese Erklärungen werden, desto stärker ahnt man, dass diese
       Geschichte nicht gut ausgehen kann, nicht für die am Boden, aber auch nicht
       für die in der Luft. Kann sie auch nicht, die Zerstörung der deutschen
       Städte im Krieg ist schließlich bis heute für jeden sichtbar, auch ohne
       zwischenzeitlich geräumte Trümmerhaufen.
       
       Besser gehalten haben sich offenbar die Trümmerhaufen in den Köpfen, wie
       dem jüngsten Bundestagswahlergebnis zu entnehmen ist. Aber damit verlassen
       wir Arno Franks großartigen Roman „Ginsterburg“, einem Epos über eine
       Kleinstadt, dessen Bewohner sich gerne und freiwillig den Nazi-Herrschaften
       unterwerfen.
       
       15 Apr 2025
       
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