# taz.de -- Hans Rosenthals 100. Geburtstag: Mehr als in nur ein Leben passt
       
       > Am 2. April wäre Hans Rosenthal hundert geworden. Nun ist die
       > Autobiografie neu aufgelegt worden, das ZDF hat einen sehenswerten
       > Spielfilm produziert.
       
 (IMG) Bild: Die Kinder vom berühmten Quiz-Master Hans Rosenthal, Gert Rosenthal und Birgit Hofmann haben beim Drehbuch geholfen
       
       An denkwürdigen Augenblicken ist dieses Leben überreich gewesen – oder sind
       vielmehr diese „Zwei Leben in Deutschland“ gewesen, wie Hans Rosenthal
       seine Autobiografie nannte, die er 1980 veröffentlichte und die aktuell in
       einer Neuausgabe zu haben ist.
       
       Zu den eigenartigsten unter den denkwürdigen Momenten zählt unter anderem
       jener, in dem Rosenthal, [1][als Präsident vom Fußballclub Tennis Borussia
       Berlin, in der einstigen „Führerloge“ des Olympiastadions ein Fußballspiel
       verfolgt] und sich bewusst macht, dass er denselben Platz einnimmt, der
       wenige Jahrzehnte zuvor Hitler vorbehalten gewesen ist. „Der würde sich im
       Grabe umdrehen, dachte ich mir“, schreibt er, „wenn er wüsste, dass auf
       seinem Platz der kleine Hans Rosenthal sitzt – kaum mehr als zwei
       Jahrzehnte nach seinem unrühmlichen Ende.“
       
       ## Der freundliche Quizmaster von „Dalli Dalli“
       
       Dass der freundliche Quizmaster von „Dalli Dalli“, der mit einer
       unnachahmlichen Mischung aus Zugewandtheit, Charisma und Spielfreude die
       Herzen des vereinten Fernsehdeutschlands (und -österreichs) gewonnen hatte,
       ein jüdischer [2][Überlebender des Holocaust] war, wussten die meisten
       Menschen noch in den siebziger Jahren nicht. – Ihr Vater habe seine
       jüdische Identität keineswegs verschwiegen, seine Lebensgeschichte aber
       lange nicht öffentlich thematisiert, erinnern sich seine Kinder, Birgit
       Hofmann und Gert Rosenthal, beim Gespräch in Gert Rosenthals Berliner
       Kanzlei mit der taz.
       
       Zu Ehren des 100. Geburtstags ihres 1987 verstorbenen Vaters hat das ZDF,
       sein Sender, einen Spielfilm produziert, für den sie beratend tätig waren.
       Birgit Hofmann bekennt, dass für sie persönlich das Drehbuch manche
       Überraschung enthalten habe, denn von den Geschehnissen im Jahr 1978, auf
       die der Film fokussiert, habe sie, damals als junge Mutter im Ruhrgebiet
       lebend, bisher tatsächlich nichts gewusst. Bezeichnenderweise erwähnt ihr
       Vater den schmerzhaften Konflikt, den er im Herbst 1978 auszuhalten hatte,
       auch in seiner Autobiografie mit keinem Wort. Er muss viel mit sich selbst
       ausgemacht haben.
       
       Rosenthal hatte beim Blick auf die mit langem Vorlauf geplanten
       Sendetermine von „Dalli Dalli“ festgestellt, dass ausgerechnet die als
       festliches Jubiläum zu begehende 75. Ausgabe der live gesendeten Quiz-Show
       am 9. November 1978 stattfinden sollte – [3][dem vierzigsten Jahrestag der
       damals noch so genannten „Reichskristallnacht“]. Ein mehr als unglückliches
       Zusammentreffen, das er nach Kräften zu verhindern versuchte, wie der Film
       zeigt – und wie auch Sohn Gert sich erinnert, der damals, zwanzig Jahre
       alt, noch bei den Eltern lebte.
       
       ## Hans Rosenthal wahrte Contenance
       
       Ja, er habe durchaus den Ärger des Vaters darüber mitbekommen, dass die
       Show nicht verschoben werden durfte; das ganze Ausmaß dieses Konflikts sei
       ihm damals aber nicht klar gewesen. Und nach außen hin, so zeigt es der
       Film und so wird es wohl gewesen sein, wahrte Hans Rosenthal die Contenance
       und verzichtete darauf, den Aufstand zu proben. – Seltsam eigentlich, er
       war doch der Star, hätte er sich das nicht leisten können?
       
       Er sei sich wohl keineswegs sicher gewesen, unverzichtbar zu sein, meint
       Gert Rosenthal, denn schon vorher hatte der Vater einmal erfolglos vesucht,
       beim ZDF etwas durchzusetzen. – Schließlich begnügt Hans Rosenthal sich für
       den 9.11.78 damit, die „Dalli Dalli“-Deko und die Musikeinlagen dezent zu
       entfrivolisieren. Außerdem trägt er zum ersten und einzigen Mal während der
       Show einen schwarzen Anzug.
       
       Am selben Tag spricht erstmals ein Bundeskanzler bei einer zentralen
       Gedenkveranstaltung zum 9. November: Es wird ein historisches Datum für die
       Bundesrepublik. Videobilder von Helmut Schmidt in der Kölner Synagoge
       werden gezeigt, damals live übertragen im Fernsehen, und im Film sieht ein
       sichtlich angefasster Hans Rosenthal, großartig gespielt von Florian Lukas,
       sich Schmidts Ansprache ganz allein in einer Probenpause an.
       
       ## Im Film wird so manches überspitzt
       
       In einer anderen Filmszene fragt eine Freundin des Sohnes ganz unverblümt,
       wie Herr Rosenthal denn die Nazizeit überlebt habe. Daraufhin schweigt der
       Befragte betroffen und wechselt schnell das Thema. – Ist das wirklich so
       passiert? Gert Rosenthal und Birgit Hofmann lachen ein wenig, dann
       antwortet er: „Im Film muss man vieles natürlich etwas überspitzt
       darstellen.
       
       In Wirklichkeit hätte unser Vater eine allgemeine Antwort gegeben wie ‚Ich
       habe eben großes Glück gehabt‘.“ Seine Schwester ergänzt: „Und dann hat man
       normalerweise nicht weiter nachgefragt.“ Beide sind sich einig, dass es
       tatsächlich die Ereignisse um jenen 9. November 1978 gewesen sein müssen,
       die ihren Vater dazu bewogen, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben. „Das
       Buch war sein Coming-out“, sagt Birgit Hofmann.
       
       In der Autobiografie, die 1980 erschien, stand vieles, was auch seine
       erwachsenen Kinder zuvor nicht gewusst hatten. Bei der Lektüre fragt man
       sich unwillkürlich, wann es wohl eine Fernsehserie über diese unglaubliche
       Lebenserzählung geben wird. Selbstverständlich ist sie „unglaublich“, so
       wie eigentlich alle Überlebensgeschichten jener Zeit stets „unglaublich“
       genannt werden, eben weil jedes Überleben einen unfassbaren Glücksfall
       bedeutete.
       
       ## Siebenmal dem Tod entronnen
       
       Siebenmal sei er haarscharf dem sicheren Tod entronnen, schreibt Rosenthal.
       Viel Zufall war im Spiel. Wäre er ein Jahr jünger gewesen, hätte man ihn
       mit den Kindern aus dem jüdischen Waisenhaus abtransportiert und ermordet.
       Auch sein Bruder Gert war dabei, dem zu Ehren Hans Rosenthal später seinen
       Sohn ebenfalls Gert nannte. Der kleine Bruder wurde nur zehn Jahre alt.
       Hans, sieben Jahre älter, lebte schon im Wohnheim für jüdische Jugendliche,
       als das jüdische Waisenhaus auf den „Transport“ geschickt wurde.
       
       Und als dasselbe Schicksal das Jugendheim ereilte und auch die jüdischen
       Zwangsarbeiter des Berliner Betriebes, in dem er Akkordarbeit leisten
       musste, deportiert wurden, hatte sein Chef ihn längst zur Arbeit ins
       mecklenburgische Torgelow geschickt. Dieser Chef, ein SA-Mann, sei „sehr
       nett“ zu seinen Zwangsarbeitern gewesen, schreibt Rosenthal, und den
       Wehrmachtssoldaten, der für die Bewachung der Arbeiter zuständig war,
       charakterisiert er als „Gemütsmensch“.
       
       1943 beschließt er unterzutauchen. Ida Jauch, eine flüchtige Bekannte
       seiner Großmutter, nimmt ihn in ihrer Gartenlaube in Lichtenberg auf.
       Tagsüber muss er sich in einem Verschlag hinter dem Häuschen verstecken,
       nur nachts kann er ins Freie. Als durch einen nahen Bombeneinschlag alle
       Fenster geborsten sind und NSDAP-Funktionäre vorbeikommen, um den Schaden
       zu prüfen, entsteht eine hochgefährliche Situation. Unter dem Bett liegend,
       auf dem die Nazis sitzen, kann „Hansi“ einen drohenden Hustenanfall nur
       unter äußersten Qualen unterdrücken.
       
       Danach „saß ich bei Frau Jauch am Tisch, schwach und immer noch nicht
       ansprechbar […]. Diese Minuten hatten mich um Jahre älter gemacht.“ –
       Tragischerweise stirbt Frau Jauch 1944. Doch Hans findet einen weiteren
       mutigen Menschen: Die Laubennachbarin Maria Schönebeck versteckt ihn bis
       zum Ende des Krieges, unterstützt von weiteren Nachbarn, die Lebensmittel
       mit ihnen teilen. Im Wikipedia-Eintrag über Hans Rosenthal ist zu lesen,
       dass Ida Jauch 2015 der Titel „Gerechte unter den Völkern“ verliehen wurde.
       
       ## Ein erstaunliches Nachkriegsleben
       
       „Bei Frau Schönebeck war das leider nicht möglich“, erklärt Gert Rosenthal,
       denn die Regularien von Yad Vashem sähen vor, dass die Auszeichnung
       persönlich an einen Nachkommen der Geehrten übergeben werden muss. Im Fall
       der Frau Schönebeck habe sich niemand mehr gefunden. Der größere Teil von
       Hans Rosenthals Autobiografie handelt – es ist ja auch der längere Teil
       seines Lebens – von seinem ebenfalls sehr erstaunlichen Nachkriegsleben:
       Den Anfängen im Berliner Rundfunk als Laufbursche für alles, der frühen
       Heirat mit Traudl Schallon, seinem Wechsel zum Rias und der raschen
       Karriere in der Unterhaltungssparte.
       
       Traudl Rosenthal muss dem Gatten zuliebe ihre Arbeit im Rundfunk aufgeben,
       denn er, ganz dem Denken der Zeit entsprechend, will seine Familie – nun,
       da er endlich selbst für andere sorgen kann – allein ernähren. Die Kinder
       werden seinem Wunsch entsprechend jüdisch erzogen; mehr oder weniger
       jedenfalls. Nein, besonders religiös sei der Vater nicht gewesen, sagen
       beide.
       
       Er habe sich aber in der Gemeinde sehr engagiert, zu den hohen Feiertagen
       habe er mit seinen Kindern die Synagoge besucht, und beide absolvierten als
       Jugendliche ihre Bat bzw. Bar Mitzwa. Aber die Mutter war nicht jüdisch,
       sie habe sich in den Gebräuchen nicht gut ausgekannt, und der Vater musste
       ja viel unterwegs sein. Wenn er allerdings zu Hause war, sei er immer sehr
       präsent und ansprechbar gewesen.
       
       Politische Diskussionen hätten sie mit ihm oft bis in die Nacht hinein
       ausgetragen, erinnern sich beide, „weil er ungern schlafen ging, wenn er
       der Überzeugung war, dass man seine Ansicht noch nicht teilte“, sagt Sohn
       Gert. Und Tochter Birgit hebt bis zum heutigen Tag einen Zettel mit einer
       Nachricht des Vaters auf, die er schrieb, nachdem er den Flyer eines „links
       angehauchten“ Jugendclubs gefunden hatte, den sie in den sechziger Jahren
       besuchte: „Dieses Flugblatt geht wirklich zu weit. Ob ich den Club noch
       gestatte, das muss ich mir überlegen.“ Natürlich ging sie trotz dieser
       patriarchalen Intervention weiter in den Club. Und den Zettel findet sie
       auch im Nachhinein immer noch ziemlich witzig.
       
       31 Mar 2025
       
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