# taz.de -- Wahlverhalten junger Frauen und Männer: Rechte Jungs auf links drehen
       
       > Junge Frauen und Männer sind politisch gespalten wie nie. Zeit für eine
       > neue Erzählung des gesellschaftlichen Wandels entlang von
       > Geschlechtergrenzen.
       
 (IMG) Bild: Stimmauszählung bei der Bundestagswahl 2025 in Berlin
       
       Unter den Hunderten von statistischen Analysen der Bundestagswahl war eine,
       die republikweit Aufsehen erregen sollte. Die jüngsten Wähler*innen
       waren in dieser Wahl gespalten wie nie zuvor. Mit großem Abstand machten
       sie ausgerechnet Linkspartei und AfD zu den Gewinnerinnen der Wahl – zwei
       Parteien, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein genauerer Blick in
       diese Gruppe zeigt dabei, dass die Polarisierung entlang einer Kluft
       verläuft: der Geschlechtsidentität.
       
       So ging der Erfolg der Linken hauptsächlich auf das Konto junger Frauen und
       jener der AfD auf das der jungen Männer: [1][27 Prozent der Männer unter 25
       wählten sie] – bei den Frauen waren es nur 15 Prozent. Bei der Linkspartei
       ist der Unterschied noch größer: Ganze 35 Prozent holte sie bei den Frauen
       unter 25 – bei den Männern dagegen nur 16 Prozent. Antifaschismus ist
       weiblich, der Rechtsruck männlich.
       
       Diese Tatsache ist nicht neu, aber dass der Gegensatz in keiner
       Wähler*innengruppe so extrem ist wie in der jüngsten, ist verblüffend.
       Ein Blick auf die vorherige Bundestagswahl zeigt jedoch: [2][Schon damals
       wählten die Jüngsten geschlechtsspezifisch] – Frauen vor allem die Grünen
       und Männer die FDP.
       
       Die Millionendemos von Fridays for Future und der Wille nach einem
       wirklichen sozialökologischen Wandel wurden 2021 der Wegbereiter für den
       Wahlerfolg der Grünen. Die FDP wiederum schrieb sich „Freiheit“ auf die
       Plakate und holte damit viele junge Menschen ab, die in der Pandemie das
       Gefühl hatten, zu viel zurückstecken zu müssen. Dazu entwickelte sich im
       Internet eine regelrechte Szene privilegierter junger
       Kleinanleger*innen, die ihr Geld und ihre neu gewonnene Zeit in
       Trading-Apps investierten. Just ihnen machten die Liberalen mit
       Freibeträgen und Spekulationsfristen ein attraktives Angebot.
       
       Die typische Grünen-Klientel war 2021 weiblich, jung und antifaschistisch.
       [3][Dass diese mit den Verrenkungen der Ampel-Grünen nicht mitgingen], kann
       niemanden überraschen. Statt Klimageld und Kindergrundsicherung
       einzuführen, schaffte die Ampel die Sektorziele für Treibhausgase ab und
       brachte mit der Reform der europäischen Asylpolitik Ankerzentren, in denen
       Geflüchtete an Außengrenzen eingesperrt werden.
       
       Als sich Habeck dann auch noch als Königsmacher für einen Prinzen Merz
       anbot, der der AfD den Hof machte, dürfte die Wahlentscheidung bei vielen
       jungen Antifaschistinnen gefallen sein. Im Prinzip ist ihr Kreuzchen an
       derselben Stelle geblieben, aber die Partei wanderte nach rechts. Umso
       besorgniserregender ist daher die Radikalisierung der AfD-Wähler.
       
       Sie zogen bei dieser Wahl allen anderen Optionen eine Partei vor, die ganz
       bewusst die Deportation von Millionen Menschen mit migrantischem
       Hintergrund in den Raum stellte, deren [4][Frontfrau Adolf Hitler einen
       Kommunisten nannte] und die für ein antisoziales, fossiles
       Wirtschaftsmodell steht. Was geht in den Köpfen junger Männer vor, dass
       mehr als ein Viertel von ihnen eine solche Politik wählt?
       
       ## Polarisierung junger Wähler*innen nicht nur in Deutschland
       
       Sicher gab es gewisse Kontinuitäten zwischen 2021 und 2025: Auch die FDP
       vertritt eine Wirtschaftspolitik nach dem Motto „the winner takes it all“,
       folgt dem Credo der „Technologieoffenheit“, sabotiert so jede staatliche
       Klimapolitik und schmeißt sich verzweifelt an den rechtsextremen Milliardär
       Elon Musk heran.
       
       Doch ein Blick ins Ausland zeigt, dass das Problem größer ist: Nicht nur in
       Deutschland, auch in den USA, in China, Großbritannien, Tunesien, Polen und
       in Südkorea klaffen die Ansichten junger Frauen und Männer zunehmend
       auseinander, wie eine [5][Analyse der Financial Times] 2024 zeigte. Die
       Bundestagswahl war lediglich Ausdruck einer Entwicklung, die sich in
       Deutschland schon seit etwa 15 Jahren abspielt.
       
       Die AfD weiß, dass sie aus dieser Stimmung Kapital schlagen kann. Auf
       TikTok, X und Instagram posten rechte Kräfte zuhauf Material, das explizit
       männliche Jugendliche und junge Männer ansprechen soll. Unvergessen der
       romantische Ratschlag vom zeitweiligen AfD-Spitzenkandidaten für die
       Europawahl, [6][Maximilian Krah], auf Tiktok: „Echte Männer sind rechts –
       dann klappt’s auch mit der Freundin.“ Das ist natürlich Quatsch.
       
       Doch bei Männern, die noch orientierungslos durch die (Spät-)Pubertät
       stapfen, von ihren Eltern womöglich in ein archaisches Männlichkeitsbild
       gezwängt wurden und jetzt mit einer Welt im Wandel konfrontiert sind,
       [7][verfängt eine solche Erzählung]. In dieser vulnerablen Lebensphase
       werden sie von rechten Kräften direkt angesprochen – nicht nur in
       Kurzvideos und Internetforen, sondern auch in rechten Aktionsgruppen, die
       in ländlichen Regionen aus der Verunsicherung junger Männer Kapital
       schlagen.
       
       Die politische Linke scheitert daran, diese Zielgruppe anzusprechen. Nun
       klingt die Abschaffung des Patriarchats und männlicher Privilegien nicht
       nach einem Projekt, das unter jungen Männern mehrheitsfähig ist. Damit
       droht, dass ausgerechnet jene reaktionären Kräfte die Deutungshoheit über
       die Transformation an sich reißen. Doch gesellschaftlicher Wertewandel ist
       kein Nullsummenspiel.
       
       Schaffen wir es, Benachteiligungen für FLINTA* (Frauen, Lesben, inter,
       nicht-binäre, trans und agender Personen) abzuschaffen und die ihnen oft
       auferlegten starren Rollenbilder zu öffnen, eröffnen sich auch cis Männern
       neue Möglichkeiten. Schon jetzt ist Männlichkeit vielfältiger denn je, was
       dabei hilft, den Mental Health Gap, die Lücke bei der psychischen
       Gesundheit zwischen Männern und Frauen, zu verkleinern und emotional
       intimere Freundschaften zu schließen. Die Abschaffung von Diskriminierungen
       schafft effektivere Wissenstransfers, Beziehungen auf Augenhöhe und
       verhindert soziale Spaltung.
       
       Am Ende steht natürlich nicht das Ziel im Mittelpunkt, eine schöne neue
       Welt für cis Männer zu schaffen. Doch der Wandel bringt Vorteile für alle,
       auch für cis Männer. Das zu betonen, kann auf der Suche nach demokratischen
       Mehrheiten auf jeden Fall nicht schaden.
       
       1 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2025-02-23-BT-DE/charts/umfrage-afd/chart_1874757.shtml
 (DIR) [2] https://library.fes.de/pdf-files/pbud/19475.pdf
 (DIR) [3] /Parteitag-der-Gruenen-Berlin/!6071834
 (DIR) [4] /Weidel-Wagenknecht-und-Hitler/!6064499
 (DIR) [5] https://archive.is/MrnR1
 (DIR) [6] /AfD-mit-Helferich-und-Krah/!6068620
 (DIR) [7] /Neue-Netflix-Serie-Adolescence/!6074768
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jannik Grimmbacher
       
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