# taz.de -- Parkinson durch Pestizide: Bauernverband gegen mehr Hilfe für erkrankte Bauern
       
       > Viele Landwirte führen ihr Parkinsonleiden auf Pestizide zurück. Doch der
       > Bauernverband lobbyiert dagegen, dass die Unfallversicherung für sie
       > zahlt.
       
 (IMG) Bild: Mit offener Kabine beim Spritzeinsatz im Traktor: Auch heute schützen sich nicht alle Bauern vor dem Kontakt mit Pestiziden
       
       Dannenberg (Elbe) taz | Klaus Behrens* fallen beim Essen immer wieder
       Nudeln von der Gabel. Seine Bewegungen sind steif und ungelenk, der Anfang
       70-Jährige sitzt im Rollstuhl, immer etwas gebückt. Er schafft es nicht zu
       grüßen. Die Bewegungsstörungen liegen daran, dass in seinem Gehirn
       Nervenzellen abgestorben sind, die den Botenstoff Dopamin produzieren.
       
       Behrens hat das Parkinsonsyndrom und ist dement. Er lebt in einem
       Pflegeheim im niedersächsischen Dannenberg. An seinem Rollstuhl hängt eine
       Schirmmütze mit dem Logo des Chemiekonzerns Bayer. Die hat Behrens noch aus
       der Zeit, als er ein treuer Kunde des Unternehmens war. Er war Landwirt und
       hat jahrzehntelang auf seinem Hof [1][Pestizide] unter anderem von Bayer
       gespritzt.
       
       Wie bei Tausenden anderen Bauern in Deutschland wird vermutet, dass
       Spritzmittel Behrens’ Parkinsonerkrankung verursacht haben. Seine Frau
       Anneliese* kämpft deshalb darum, dass die Landwirtschaftliche
       Berufsgenossenschaft sein Parkinson als Berufskrankheit anerkennt. Dann
       könnte er großzügigere Leistungen als von der Kranken- oder Pflegekasse
       bekommen, zum Beispiel höhere Zuschüsse für das Altenheim.
       
       Der zuständige Ärzteausschuss des Bundesarbeitsministeriums hat empfohlen,
       das „[2][Parkinsonsyndrom durch Pestizide]“ in die amtliche Liste der
       Berufskrankheiten aufzunehmen. Seitdem können Parkinsonpatienten als
       Betroffene anerkannt werden – zumindest in der Theorie. Aber die Behrens
       haben einen mächtigen Gegner: den Deutschen Bauernverband.
       
       ## „Das ist alles traurig“
       
       Seine Lobbyisten haben ein Problem damit, dass die ungefähr 8.000
       Parkinsonpatienten in der gesetzlichen Krankenkasse der Landwirte
       Leistungen von der Berufsgenossenschaft bekommen sollen. Denn dann würden
       die Beiträge dauerhaft steigen, die die Bauern zahlen müssen. Die
       Agrarlobbyisten müssten dann auch Umweltschützern und anderen recht geben,
       die schon immer vor den gesundheitlichen Risiken von Pestiziden gewarnt
       haben.
       
       Anneliese Behrens – Ende 70, grau-weiße Haare – sitzt nun im Zimmer ihres
       Manns im Pflegeheim. An den Wänden hängen Erinnerungsstücke aus besseren
       Tagen. Zum Beispiel die Auszeichnung, die Klaus Behrens für eine Kuh
       bekommen hat, die 100.000 Liter Milch gab. „Auf die war er immer sehr
       stolz“, sagt Anneliese Behrens. Auf einem Foto sitzt ihr Mann auf einem
       Oldtimertraktor, den er sich zu seinem 60. Geburtstag gekauft hatte.
       „Früher war er alles: Bürgermeister, Vorstandschef der Molkerei,
       Schützenvereinsvorsitzender. Jetzt ist er nichts. Das ist alles traurig“,
       sagt Behrens mit Tränen in den Augen.
       
       Die Behrens waren typische konventionelle Bauern, seit sie den Hof in den
       1970er Jahren von seinen Eltern übernahmen. Sie wollten die „Leistung“ der
       Kühe steigern, sie nutzten auch die Pestizide. Auf biologische
       Landwirtschaft umstellen sei schon deshalb nicht gegangen, weil ihr Mann
       CDU-Bürgermeister war, „konservativ bis in die Fußspitzen“, sagt Anneliese
       Behrens. Als Biobauer hätte er sich „als Grüner outen müssen“.
       
       Hatten sie auch mal Zweifel, ob das mit den Pestiziden wirklich
       gesundheitlich unbedenklich war? „Die Gedanken hatte man gar nicht“,
       antwortet Anneliese Behrens. „Wir haben die Mittel eingesetzt, die haben
       geholfen und gut war. Der Schaden, der dadurch entstanden ist, der ist uns
       später erst bewusst geworden.“ Die Zweifel seien meistens nur „von außen“
       gekommen, von Umweltschützern zum Beispiel. „Da hat man gesagt: Ach, die
       Spinner oder so. Das wurde ein bisschen schlecht gemacht. Bis man dann
       gemerkt hat: So schlecht war das doch nicht.“
       
       ## Mäusen oder Ratten mit parkinsonähnliche Symptome
       
       Schon in den 1980er Jahren wurde ein Unkrautvernichtungsmittel mit dem
       Parkinsonsyndrom in Verbindung gebracht. [3][Frankreich erkannte Parkinson]
       durch Pestizide 2012 als Berufskrankheit an. Für Deutschland empfahl das im
       September 2023 der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten beim
       Bundesarbeitsministerium. Seine zwölf Mitglieder – überwiegend
       Arbeitsmedizinprofessoren – haben alle wichtigen Studien zum Thema
       ausgewertet.
       
       Die Wissenschaftler führten in ihrer Empfehlung mehrere Experimente an, bei
       denen Mäusen oder Ratten Pestizide verabreicht wurden. Das habe die
       Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Tiere parkinsonähnliche Symptome und
       Veränderungen im Gehirn entwickelten, so das Gutachten. Bei Versuchen im
       Reagenzglas hätten Pestizide Zellschäden verursacht, die mit Parkinson in
       Verbindung gebracht werden. Zahlreiche epidemiologische Studien hätten
       zudem gezeigt, dass Menschen, die Pestiziden ausgesetzt sind, ein höheres
       Risiko haben, an Parkinson zu erkranken.
       
       „Parkinson wird durch hohe Pestizidexpositionen verursacht“, folgern die
       Arbeitsmediziner. Damit Betroffene als solche anerkannt werden, müsse
       nachgewiesen werden, dass sie grundsätzlich an 100 Arbeitstagen jeweils
       Pestizide gegen Unkräuter, Insekten oder Pilze angewendet haben. Die Zahl
       leiten die Experten aus Untersuchungen dazu ab, wie viele Pestizidkontakte
       das Risiko für bestimmte Beschäftigte in der Landwirtschaft bedeutend
       erhöht haben. In manchen sehr aussagekräftigen Studien sei das Risiko sogar
       doppelt so hoch gewesen, wenn die untersuchten Personen den Chemikalien
       ausgesetzt waren.
       
       Dabei geht es immer um die Anwender von Pestiziden, nicht um Verbraucher,
       die die Mittel über die Nahrung zu sich nehmen. „In der Europäischen Union
       sind da die Mengen zu niedrig, um Parkinson auszulösen“, sagt Peter
       Clausing. Er ist Toxikologe des Pestizid Aktions-Netzwerks, einer
       Umweltorganisation, die sehr kritisch gegenüber der Chemieindustrie ist.
       
       ## Was haben sie 1985 auf welche Kartoffel gespritzt?
       
       Ein Pfleger schiebt Klaus Behrens auf seinem Rollstuhl in das Zimmer. Seine
       Frau reicht ihm eine Schnabeltasse. Kurze Gespräche kann er noch führen: Er
       erzählt, dass er „richtig als Betriebsleiter und Eigentümer“ in der
       Landwirtschaft tätig war, dass er Milchvieh hatte, „in guten Zeiten“ so 60,
       70 Kühe. Aber auf die Frage, ob er auch mit Pestiziden gearbeitet habe,
       gibt er die sinnlose Antwort: „Nein, junger Mann. Boxenlaufstall und
       alles.“
       
       Neuer Versuch: Wissen Sie noch, mit welchen Pflanzenschutzmitteln Sie
       gearbeitet haben? „Nein, weiß ich nicht mehr.“ Klaus Behrens kann nicht
       mehr sagen, ob er an 100 Tagen Insektizide, Herbizide oder Fungizide
       angewendet hat. Aber genau diese Daten verlangt die Berufsgenossenschaft
       nun, um zu prüfen, ob er höhere Leistungen bekommen kann.
       
       Sie hat den Behrens eine Tabelle geschickt, die sie ausfüllen sollen. Die
       Berufsgenossenschaft will wissen, in welchen Jahren an wie vielen Tagen
       Klaus Behrens welche Pflanzen mit welcher Pestizidart behandelt hat und wie
       die Mittel hießen. „Ich kann diese Tabelle einfach nicht ausfüllen“, sagt
       Anneliese Behrens. „Selbst wenn mein Mann noch klar denken könnte, der
       wüsste doch auch nicht mehr, was er 1985 auf welche Kartoffel gespritzt
       hat.“ Sie sei nicht dabei gewesen. Und sie hätten auch nicht dokumentiert,
       was sie spritzten: „Wir mit Milchvieh, wir hatten so viel Arbeit. Da hat
       sich keiner abends hingesetzt, das aufzuschreiben“, sagt Behrens.
       
       Die EU und der Bund verpflichten Bauern erst seit 2008 zu dokumentieren,
       welche Pestizide sie in ihrem Betrieb eingesetzt haben. Die Unterlagen
       müssten sie nur drei Jahre aufheben, berichtet die Landwirtschaftskammer
       Niedersachsen. Mehr „Bürokratie“ wollte die Politik den Bauern nicht
       zumuten. Aber für manche Landwirte geht das jetzt nach hinten los, weil
       Parkinson in der Regel erst viel später ausbricht.
       
       ## 160 Posten auf der Chemikalienliste
       
       Anneliese Behrens hat sich deshalb von ihrem Pestizidhändler eine zwölf
       DIN-A4-Seiten lange Liste geben lassen über die Mittel, die ihr Mann in
       mehr als zehn Jahren gekauft hat. Es sind zig Chemikalien wie Roundup mit
       dem Wirkstoff Glyphosat des inzwischen von Bayer gekauften US-Konzerns
       Monsanto. Mehr als 160 Posten stehen auf der Liste. „Die haben wir doch
       nicht gekauft und in den Stubenschrank gestellt“, sagt Behrens.
       
       Aber der Berufsgenossenschaft reicht das nicht. Sie forderte Behrens in
       einem der taz vorliegenden Brief auf, die Tabelle über die Spritzeinsätze
       auszufüllen. „Wie soll ich das machen? Mein Mann ist dement. Ich habe das
       nicht mitgekriegt“, sagt Anneliese Behrens. „Ich kann mir jetzt nicht
       irgendwelche Zahlen aus den Fingern saugen.“
       
       Die fehlenden Nachweise sind ein Grund dafür, dass die Berufsgenossenschaft
       bis Anfang April keinen einzigen Parkinsonfall als Berufskrankheit
       anerkannt hat, wie die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und
       Gartenbau der taz mitgeteilt hat. Knapp 5.200 Fälle hat die Versicherung
       nach eigenen Angaben bereits abgelehnt. Rund 3.000 prüft sie noch.
       
       „Ich bin fast davon überzeugt, dass ich damit scheitere“, sagt Anneliese
       Behrens. Es sei sehr mühselig gewesen, die Unterlagen für die Versicherung
       auszufüllen. Aber sie glaubt: „Die wollen das canceln.“
       
       Die Vermutung liegt nahe, weil die Berufsgenossenschaft ein finanzielles
       Interesse daran hätte. Sie rechnet damit, dass jeder anerkannte Fall sie im
       Schnitt [4][27.600 Euro] kosten wird – pro Jahr. Um das zu schultern,
       musste die Versicherung 2024 nach eigenen Angaben insgesamt [5][100
       Millionen Euro] mehr an Beiträgen von ihren Mitgliedern einnehmen, vor
       allem von den landwirtschaftlichen Betrieben. Das trug dazu bei, dass der
       durchschnittliche Betrieb 114 Euro oder 17 Prozent mehr an Jahresbeitrag
       zahlen musste als 2023 – das Gros der Kostensteigerung war wegen Parkinson.
       
       Genau deshalb lobbyiert der Deutsche Bauernverband dafür, dass Parkinson
       nicht als Berufskrankheit anerkannt wird. In seinen [6][„Kernanliegen“] an
       die Parteien zur Bundestagswahl 2025 warnte er vor den „Folgekosten
       politischer und nicht fachlich begründbarer Entscheidungen (wie im Fall der
       Einordnung ‚Parkinson durch Pestizide‘ als Berufskrankheit)“. Für den Fall,
       dass es bei der Anerkennung bleibt, verlangt der Verband von der
       Bundesregierung, die Kosten zu bezahlen.
       
       Mit Namen zitieren lassen will sich bei der einflussreichen
       Lobbyorganisation auf taz-Anfrage niemand zu dem Thema. Aber ein
       Verbandssprecher fordert, es müssten „Zweifel hinsichtlich Kausalität und
       Dosismaß ausgeräumt werden“. Dabei beruft er sich vor allem auf das
       Bundesinstitut für Risikobewertung. Diese Behörde prüft regelmäßig, ob
       Pestizide gesundheitsschädlich sind, wenn sie zugelassen werden sollen. Sie
       hat im November 2023 erneut festgestellt: [7][Nur bei den Wirkstoffen
       Rotenon und Paraquat] sei belegt, dass sie Parkinson auslösen können. Und
       sehr praktisch für den Bauernverband, die Chemieindustrie und die Behörden:
       Beide sind in der EU seit [8][2007] beziehungsweise [9][2008] nicht mehr
       zugelassen.
       
       Der Bauernverband argumentiert außerdem, dass es in der Landwirtschaft
       prozentual nicht mehr Parkinsonerkrankungen gebe als in der übrigen
       Gesellschaft. Auch die Landwirtschaftliche Krankenkasse hat mal behauptet,
       ihre Versicherten hätten nicht mehr Parkinson als die anderer
       Krankenkassen.
       
       Mit dieser Behauptung greift der Bauernverband auch Monika Rieger an, die
       federführend an der Empfehlung des Ärzteausschusses beteiligt war,
       „Parkinson durch Pestizide“ als Berufskrankheit anzuerkennen. Sie ist
       Professorin für Arbeits- und Sozialmedizin an der Universität Tübingen und
       stellvertretende Vorsitzende des Ärzteausschusses. Rieger sagt, die
       Parkinsonzahlen der Landwirtschaftlichen Krankenkasse seien nicht so
       aussagekräftig wie epidemiologische Studien.
       
       „Wir wissen bei den Krankenversicherungsdaten zum Beispiel nicht, was die
       Leute genau gearbeitet haben“, erklärt sie. In der Agrarkasse seien auch
       Menschen versichert, die nicht mit Pestiziden arbeiten. Zum Beispiel
       Biobauern oder Bürokräfte. Auf der anderen Seite fehlten manche Menschen,
       die tatsächlich mit den Mitteln in Berührung kommen. Viele Saisonkräfte aus
       Osteuropa etwa seien oft in ihren Heimatländern oder bei anderen Kassen in
       Deutschland versichert.
       
       „Es ist schon so, dass es insbesondere für Paraquat und Rotenon alles von
       allem gibt: vom Tierversuch bis zum epidemiologischen Befund“, sagt Rieger.
       „Aber wir haben eine Fülle von anderen Studien – sowohl Tierversuche als
       auch epidemiologische Studien am Menschen –, die zeigen: Es ist nicht nur
       Rotenon und Paraquat. Und wir haben auch deutlich höherwertige Studien zu
       anderen Pestiziden“.
       
       ## Etappensieg für den Bauernverband
       
       Viele, auch bis heute eingesetzte Pestizide würden ähnlich wirken: „Sie
       setzen zum Beispiel am Atmungssystem der Zelle an und verursachen
       oxidativen Stress. Dabei schädigen aggressive Moleküle Nervenzellen“,
       erläutert Rieger. Deshalb hält sie es für „biochemisch plausibel“, dass
       auch heute eingesetzte Pestizide Parkinson auslösten.
       
       Warum kommt das Bundesinstitut für Risikobewertung dennoch zu einem ganz
       anderen Ergebnis? Ein Grund könnte sein, dass die Behörde im Gegensatz zu
       Riegers Ausschuss mehrere wichtige Überblicksstudien zu dem Thema nicht
       zitiert hat. Außerdem ist das Bundesinstitut dem Agrarministerium
       unterstellt, in dem die ökonomischen Interessen der Landwirtschaft
       besonders stark vertreten sind. Und: Wenn das Institut anerkennen würde,
       dass Parkinson durch eine ganze Reihe von Pestiziden verursacht wird,
       müsste es möglicherweise selbst Fehler einräumen. Denn es könnten auch
       Stoffe dabei sein, denen es attestiert hat, unbedenklich zu sein.
       
       Dazu von der taz befragt, antwortet das Bundesinstitut im Wesentlichen nur,
       dass es „bei seinen wissenschaftlichen Bewertungen und seiner Forschung
       weisungsunabhängig“ sei. Es verweist auch auf die „unterschiedlichen
       Blickwinkel“ der Behörde und des Ärzteausschusses.
       
       Rieger ist schon seit Jahrzehnten als Arbeitsmedizinerin tätig. Aber wie
       die Parkinsondiskussion in der Landwirtschaft verläuft, ist auch für sie
       überraschend: „Das erlebe ich das erste Mal, dass die Gruppe, die geschützt
       werden soll, sich dagegen wehrt“, sagt die Ärztin. In anderen Branchen ist
       es so: Die Unfallversicherung hilft meist nur Arbeitnehmern, die
       Arbeitgeber zahlen die Beiträge.
       
       Die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft dagegen kümmert sich auch um
       die vielen Selbstständigen auf den Höfen. Hier muss also dieselbe Gruppe
       bezahlen, die auch die Leistungen bekommen soll. „Das ist für mich ein
       Erklärungsansatz für den Protest gegen die Anerkennung von ‚Parkinson durch
       Pestizide‘ als Berufskrankheit“, sagt Rieger. Für Betroffene wie die
       Behrens, die nicht mehr arbeiten können, ist das bitter: Ihr eigener
       Verband arbeitet gegen ihre Interessen.
       
       Einen Etappensieg haben die Kritiker um den Bauernverband schon erreicht:
       Eigentlich wollte das Arbeitsministerium im vergangenen Dezember „Parkinson
       durch Pestizide“ in die Verordnung über Berufskrankheiten aufnehmen lassen.
       Aber wegen der „Nachfragen“ zu der Empfehlung des Ärzteausschusses hat das
       Ministerium die Sache auf unbestimmte Zeit verschoben.
       
       Bernd Schmitz sitzt gerade auf seinem Traktor, als die taz ihn anruft. Der
       Bauer aus dem Bergischen Land ist auch stellvertretender
       Bundesgeschäftsführer der ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft
       bäuerliche Landwirtschaft. Die AbL ist genauso wie der Bundesverband
       Deutscher Milchviehhalter und der Neuland-Verein für artgerechtere
       Tierhaltung dafür, die Berufskrankheit anzuerkennen.
       
       ## Gift in der Fahrerkabine
       
       „Aber die Berufsgenossenschaft muss die Hersteller der Pflanzenschutzmittel
       oder die Zulassungsbehörden zur Kasse bitten“, fordert Schmitz. Die
       betroffenen Bauern und Bäuerinnen haben im guten Glauben auf Angaben zur
       gesundheitlichen Sicherheit der Hersteller und Zulassungsbehörden die
       Pestizide angewendet. Einen Hinweis auf mögliche Gefahren für eine
       Parkinsonkrankheit habe es nicht gegeben.
       
       Doch die Berufsgenossenschaft wolle nicht gegen Industrie oder Behörden
       klagen, schreibt ein Sprecher der Versicherung der taz. Sie hält die
       Erfolgschancen für zu gering. Denn es müsste „in jedem Einzelfall der
       Nachweis geführt werden, dass jemand vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt
       hat und hierdurch kausal ein Schaden entstanden ist“. Die
       Berufsgenossenschaft müsste zudem belegen, welches Mittel bei welchem
       Patienten Parkinson verursacht hat.
       
       Der Industrieverband Agrar, der Bayer und andere Hersteller vertritt,
       wendet auch ein: „Keiner kann im Nachgang überprüfen, ob die Mittel immer
       sachgerecht angewendet worden sind.“ Denn wenn die Bauern sich nicht an die
       Sicherheitsvorschriften gehalten haben, haben sie wohl zumindest eine
       Mitschuld.
       
       Anneliese Behrens zieht eine grüne Papierkarte aus der Tasche.
       „Sachkundenachweis Pflanzenschutz“ und darunter „Klaus Behrens“ steht
       darauf. Wer Pestizide verwendet, soll mit ihr belegen, dass er berechtigt
       ist, weil er zum Beispiel die Sicherheitsvorschriften kennt. Das muss er
       durch einen Test nachweisen. Aber diese Regeln gelten erst seit 2012.
       Vorher waren die Vorschriften zum Gesundheitsschutz „sehr allgemein
       gefasst“, wie es die Landwirtschaftskammer Niedersachsen formuliert: Keine
       konkreten Vorgaben zu „zertifizierter, geeigneter Schutzkleidung“, die
       Bauern hätten nicht dokumentieren müssen, ob sie die Anforderungen
       erfüllten, die Behörden hätten „nur im Einzelfall“ kontrolliert.
       
       „Als mein Mann anfing auf dem Hof, war er 21. Da waren die Spritzen noch
       nicht so gesundheitsgesichert“, erinnert sich Anneliese Behrens. Die
       Pestizidspritzen waren gröber, viel mehr Gift als heute landete dort, wo es
       nicht hinsollte. Der Traktor habe auch keine geschlossene Fahrerkabine
       gehabt, wie sie heute üblich ist. „Und je nachdem, wie der Wind stand, hat
       man das fröhlich eingeatmet“, erzählt Anneliese Behrens. „Als er vom
       Spritzen zurückkam, hatte er immer ein puterrotes Gesicht. Ich hatte immer
       gesagt: Du musst dich waschen. Du hast Spritzmittel oder Dämpfe auf die
       Haut gekriegt.“
       
       Heute, so sagt die Industrie, sei das alles besser. Das stimmt wohl, aber
       viele Bauern scheinen immer noch nicht genügend geschützt zu sein. Das
       zeigt eine [10][Studie im Auftrag des Bundesagrarministeriums], für die
       2015 rund 1.200 Mitarbeiter landwirtschaftlicher Betriebe befragt wurden.
       Zwar gaben 80 Prozent an, dass sie einen Traktor mit geschlossener Kabine
       hätten. Aber 20 Prozent eben nicht.
       
       Nur knapp 29 Prozent der Höfe hatten demnach einen Traktor mit einem
       Aktivkohlefilter in der Kabine, der zuverlässig auch vor
       Spritzmitteldämpfen schützt. Lediglich 45 Prozent gaben an, dass sie die
       Auflagen und Vorschriften zum Gesundheitsschutz „in vollem Umfang“
       erfüllten. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
       beklagt angesichts der offenbar zu niedrigen Verkaufszahlen insbesondere
       zertifizierter Arbeitskleidung ein „zurückhaltendes Nutzerverhalten“ bei
       diesem Thema.
       
       ## Das gesamte System sei mangelhaft
       
       Der Industrieverband Agrar argumentiert zudem, dass die Zulassungsbehörden
       die Pestizide heute viel besser testen würden – auch auf neurologische
       Wirkungen. „Aber die Hirnregion, die für Parkinson verantwortlich ist, wird
       in den vorgeschriebenen Tierversuchen gar nicht überprüft“, sagt Toxikologe
       Peter Clausing. Die zuständige EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit
       bestätigt das der taz grundsätzlich.
       
       Für Clausing ist das System generell mangelhaft, mit dem geprüft wird, wie
       giftig ein Pestizid ist. „Die EU hat auch schon mehrmals Mittel zugelassen,
       die sich Jahre später als gesundheitsschädlich herausgestellt haben und
       deshalb dann verboten wurden“, kritisiert der Umweltschützer. Das war zum
       Beispiel beim Insektizid Chlorpyrifos oder beim Herbizid Flufenacet so.
       Clausing verlangt deshalb, den Einsatz von Pestiziden stark zu senken. Und
       die Zulassungsverfahren zu reformieren.
       
       Für Bauer Behrens würde all das zu spät kommen. Vielleicht kann ihm
       irgendwann der Bayer-Konzern helfen: Das Unternehmen arbeitet gerade an
       [11][einer Zelltherapie], die Parkinsonerkrankungen rückgängig machen soll.
       Behrens könnte also möglicherweise wieder Kunde des Konzerns werden.
       
       * Die Namen sind zum Schutz der Privatsphäre geändert.
       
       4 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Schwerpunkt-Pestizide/!t5008935
 (DIR) [2] https://www.baua.de/DE/Themen/Praevention/Koerperliche-Gesundheit/Berufskrankheiten/pdf/Begruendung-Parkinson-Syndrom-Pestizide.pdf?__blob=publicationFile&v=2
 (DIR) [3] https://www.agrarheute.com/land-leben/frankreich-parkinson-berufskrankheit-anerkannt-511913
 (DIR) [4] https://www.bayerischerbauernverband.de/sites/default/files/2024-12/2024_hdh_beitragsgestaltung_bei_der_svlfg_referent_drexler.pdf
 (DIR) [5] https://www.svlfg.de/pm-bg-hebung
 (DIR) [6] https://www.bauernverband.de/fileadmin/user_upload/dbv/pressemitteilungen/2024/KW_50/Final_Kernanliegen_Langfassung_Einseitig.pdf
 (DIR) [7] https://www.bfr.bund.de/cm/343/pflanzenschutzmittel-und-parkinson-bestaetigung-bisheriger-erkenntnisse.pdf
 (DIR) [8] https://ec.europa.eu/food/plant/pesticides/eu-pesticides-database/start/screen/active-substances/details/952
 (DIR) [9] https://ec.europa.eu/food/plant/pesticides/eu-pesticides-database/start/screen/active-substances/details/1124
 (DIR) [10] https://service.ble.de/ptdb/index2.php?detail_id=49092&ssk=PTDB-alles&site_key=141&stichw=14SE001&zeilenzahl_zaehler=1#newContent
 (DIR) [11] https://www.bayer.com/media/bayer-investiert-250-millionen-usd-in-neue-zelltherapie-produktionsanlage-in-den-usa/
       
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 (DIR) Berufskrankheit durch Ackergifte: Staat zahlt für Parkinson durch Pestizide
       
       Der Bund übernimmt 2025 Behandlungskosten für erkrankte Bauern als Zuschuss
       zur Unfallversicherung. Grüne fordern, dass sich Chemieindustrie beteiligt.
       
 (DIR) Studie mit Laborratten: Krebs durch Glyphosat? Bayer greift Forscher an
       
       Der Chemiekonzern kritisiert eine Untersuchung, derzufolge das Pestizid
       Tumore bei Ratten verursacht. Die Forscher wehren sich.
       
 (DIR) Agrarbranche kritisiert Umweltbundesamt: Bauern reden Zahl der Pestizide klein
       
       Landwirte und Chemieindustrie klagen, wegen Bedenken des Umweltbundesamts
       seien zu wenige Wirkstoffe erlaubt. Wie sehen die Zahlen wirklich aus?
       
 (DIR) Frauen boxen gegen Parkinson: In den Ring steigen gegen Parkinson
       
       Sport kann die Symptome der Nervenkrankheit lindern. Zu Besuch bei einer
       Boxgruppe in Hamburg.
       
 (DIR) Parkinson durch Pestizide: Fehlgeleitete Bauern
       
       Die Parkinson-Fälle durch Pestizide zeigen: Wenn Bauern von ihnen
       verursachte Gesundheits- und Umweltprobleme leugnen, schaden sie sich
       selbst.
       
 (DIR) Parkinsonkrankheit durch Pestizide: Bauern kritisieren Bauernverband
       
       Die Organisation lobbyiert gegen Hilfen der Berufsgenossenschaft für wohl
       durch Pestizide an Parkinson Erkrankte. Andere Verbände widersprechen.
       
 (DIR) Erfolg der Deutschen Umwelthilfe: Glyphosat-Pestizid vorläufig gestoppt
       
       Ein Pestizid von Monsanto wurde durch das Einschreiten der Deutschen
       Umwelthilfe vorläufig verboten. Ob es dabei bleibt, ist allerdings unklar.
       
 (DIR) Untersuchung der Deutschen Umwelthilfe: Zu wenig Kontrolle von Pestizidwerten
       
       Behörden würden Händler und Anwender der Chemikalien zu selten überprüfen,
       kritisiert die Deutsche Umwelthilfe. Bußgelder seien im Schnitt zu niedrig.
       
 (DIR) Weit verbreitetes Ackergift Flufenacet: Umwelthilfe erhöht Druck für Verbot von schädlichem Pestizid
       
       Die Umweltorganisation stellt Eilanträge gegen zwei Unkrautvernichter mit
       dem Wirkstoff Flufenacet. Dieser soll den Hormonhaushalt schädigen.
       
 (DIR) Behandlung von Parkinson: Weicher Draht für schwache Nerven
       
       Künstliche Elektroden im Gehirn können bei Parkinson Symptome lindern, sind
       aber schwer verträglich. Nun ist eine Alternative entwickelt worden.