# taz.de -- Heimat Hamburg: Schwierige Liebe
       
       > Unsere Autorin unterhält eine intensive Beziehung zu ihrer Wahlheimat.
       > Sie weiß, dass die falsche Seite der Stadt durchaus auch goldrichtig sein
       > kann.
       
 (IMG) Bild: Ob du wirklich richtig lebst, siehst du wenn das Licht aufgeht
       
       Nach Hamburg kam ich das erste Mal 1991, in einem Bus voller
       brandenburgischer Fußballer, die den HSV gegen Bayern München spielen sehen
       wollten, und ich wusste gleich, hier werde ich leben. Ich kehrte zurück und
       nie habe ich seitdem woanders sein wollen. Dies ist also eine
       Liebesgeschichte, eine komplizierte.
       
       Von Anfang an liebte ich den elften Stock [1][im Phil-Turm], wo die
       Philosophen saßen. Ich liebte die Höhe, die Weite, das Studium, all die
       interessanten und klugen Menschen, die ich in dem kleinen Dorf, aus dem ich
       komme, vermisst hatte, ohne sie gekannt zu haben. Was war das für ein
       wunderbares Hamburg! Daniela-Bar, Saal II, Sorgenbrecher, Heinz Karmers
       Tanzcafé, der Pudel-Club; Konzerte, Platten, die Hamburger Schule (Hamburg
       hatte eine eigene Schule!); die Rote Flora, wilde Proteste auf der Straße;
       Elbe, Hafen, oh, der Hafen!
       
       Ich bekam Kinder und das Leben wurde komplizierter. Ich lernte Hamm und
       Eilbek kennen. Für manche Hamburger*innen waren das blinde Flecken auf
       dem Stadtplan, da waren sie noch nie, da wollten sie auch nie gewesen sein.
       In Hamburg gibt es die richtige und die falsche Seite der Alster. Auf der
       falschen Seite lebte ich knapp 20 Jahre und so ungern ich dort hinzog, so
       gern lebte ich dann dort.
       
       Heute habe ich ein liebevolles, ein zärtliches Gefühl für den Hamburger
       Osten. Ich mag die bescheidene Nachkriegsarchitektur, den Kanal, die
       bizarren Läden entlang der Wandsbeker Chaussee, die kleinen Läden in Hamm,
       die dort lange noch überlebten. Aber auch hier ist alles im Wandel, die
       Mieten sind gestiegen und steigen weiter. 2019 zog ich wieder nach Altona,
       da bin ich jetzt und ich liebe diese Stadt noch immer. Aber ich liebe nicht
       blind.
       
       ## Mit Trotz an die Alster
       
       Unsere Beziehung bekam Brüche, Verstimmungen schlichen sich ein, schwere
       Enttäuschungen kamen hinzu, schwer zu Verzeihendes. 2001, als Ronald Schill
       Innensenator und Zweiter Bürgermeister wurde; 2017 beim G20-Gipfel, als die
       Stadt zur Sicherheitszone wurde, in der jede*r verdächtig war und
       Wasserwerfer um unsere Lesebühne am Grünen Jäger kreisten, noch bevor die
       ersten ausländischen Gäste überhaupt angereist waren.
       
       Es gab eine Zeit, da lief ich regelmäßig um die Alster und hatte dabei
       immer so einen seltsamen Trotz. Ich dachte, es ist meine Alster, diese
       Alster gehört mir. [2][Es hängt mit den Villen zusammen], mit dem so
       öffentlich ausgestellten Reichtum, auch wenn das Protzen angeblich nicht
       Sache der Hanseaten sein soll, aber ich sehe sie ja, diese riesigen Häuser.
       Ich sehe sie an der Alster, an der Elbe, am Rothenbaum, in den reichen
       Vororten. Und ich denke, ihnen gehört so viel, so viel Schönheit, so viel
       Raum.
       
       Wo ich wohne, an der Holstenstraße, sieht es anders aus. Hier sammeln sich
       Trinker*innen, Süchtige, obdachlose Menschen. Viele Häuser hier gehören der
       städtischen Saga. Sie hat im letzten Jahr die Miete um 15 Prozent erhöht,
       nicht zum ersten Mal, und ich frage mich, warum dreht ein städtischer
       Vermieter, hier, nahe der stark befahrenen, vierspurigen Stresemannstraße,
       so konsequent an diesem Rad? Das sind so Sachen, die Zweifel in mir wecken,
       meine Beziehung auf die Probe stellen.
       
       Es ist ein anderes Leben und Lernen für ein Kind in einer Stadtteilschule
       [3][im Arbeiterquartier Dulsberg] als für eines am Gymnasium Hochrad im
       feinen Othmarschen. Ärmere Studierende bezahlen zu viel Geld für ein
       verschimmeltes Zimmer an der Harburger Chaussee, müssen zu viel arbeiten
       und können zu wenig studieren. Dass Herkunft und Vermögen über so vieles
       entscheiden, dass diese sozialen Ungerechtigkeiten wie ein Naturgesetz
       hingenommen werden (ist das auch hanseatisch?), nehme ich dir übel,
       Hamburg, meine Liebe. Nicht wegen mir. Mir gehört jetzt der Wohlers Park,
       in dem ich meine Runden drehe.
       
       Katrin Seddig ist Schriftstellerin und Kolumnistin der wochentaz. 2023
       erschien ihr Roman „Nadine“ (Rowohlt).
       
       27 Feb 2025
       
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