# taz.de -- Gastbeitrag zu Putins Kulturzerstörung: Dieser Krieg ist ein Angriff auf unsere Lebensweise
       
       > Putin legt es darauf an, das kulturelle Erbe der Ukraine zu zerstören, um
       > ihre demokratische Entwicklung zu unterbinden. Ein Gastbeitrag.
       
 (IMG) Bild: Standhaft: Die Statue des ukrainischen Philosophen Hryhorii Skovoroda ragt aus den Trümmern eines zerstörten Museums in Charkiw
       
       Der neuen US-Administration geht es nicht um Frieden. Ihren Hauptgegner
       sieht sie nicht in autokratischen Staaten wie China oder Russland –
       vielmehr will sie die europäische Demokratie bekämpfen. Das haben Präsident
       Trumps Ideen für einen sogenannten Friedensplan für die Ukraine und die
       Rede von Vizepräsident Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz
       eindrücklich gezeigt.
       
       Gemeinsam [1][mit Putin und Xi] möchte Trump die Welt in Einflusssphären
       aufteilen, über die sie jeweils die Macht haben. Wie gefährlich dieser
       Ansatz ist und wie wenig er mit Frieden zu tun hat, zeigt sich am
       eindrücklichsten in der Ukraine.
       
       Frieden herrscht erst, wenn die Menschen in der Ukraine dauerhaft vor einem
       erneuten Angriff Russlands auf ihr Land geschützt sind. Frieden erfordert
       mehr als nur ein formelles Abkommen. Er erfordert Sicherheitsgarantien, um
       langfristige Stabilität und Vertrauen zu schaffen. Erst dann können die
       Menschen in der Ukraine sicher in Frieden, Freiheit und Demokratie leben.
       Nur so können sie über ihr eigenes Leben bestimmen: ihr politisches System,
       ihre Lebensweise und ihre Kultur.
       
       Putin ging es mit seinem Angriffskrieg auf die Ukraine von Beginn an nicht
       um ein paar Landgewinne. Es geht ihm vielmehr um die Ausweitung seiner
       politischen Einflusssphäre. Er befürchtet, dass eine demokratische Ukraine
       mit einer Anbindung an die Europäische Union seine geopolitische Position
       schwächen würde. Putin hat in verschiedenen Reden seine [2][Idee einer
       „russischen Welt“] dargelegt, zu der auch eine unterworfene Ukraine gehören
       solle.
       
       ## Putin will ukrainische Sprache auslöschen
       
       Dafür müsse die ukrainische Sprache und Lebensweise ausgelöscht werden.
       Putin sieht die westlichen Demokratien, insbesondere die EU, als eine
       Bedrohung für seine Macht. Der Angriff auf die Ukraine zielt darauf ab, die
       eigenständige demokratische Entwicklung in Osteuropa zurückzudrängen und zu
       unterbinden und die globale Ordnung zu destabilisieren, um Russlands
       Position zu stärken. Dafür steht ihm ein eigenständiger demokratischer
       ukrainischer Staat im Weg.
       
       Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wurden
       zahlreiche Kulturstätten beschädigt oder zerstört. Laut Unesco wurden bis
       zum 22. Januar 2025 insgesamt Angriffe auf 476 Kulturstätten verifiziert,
       darunter 149 religiöse Stätten, 241 Gebäude von historischem oder
       künstlerischem Interesse, 32 Museen, 33 Denkmäler, 18 Bibliotheken, ein
       Archiv, zwei archäologische Stätten. Darunter das Museum der bildenden
       Künste in Odessa, die Bombardierung des Theaters in Mariupol, das Museum
       für den Philosophen Hryhorii Skovoroda in Charkiw.
       
       In Winnyzja wurde das Kulturhaus mit Marschflugkörpern zerstört, in
       Tschernihiw ein Theater, in Cherson wurde die Bibliothek mehrfach
       beschossen. Die tatsächliche Zahl könnte sogar noch höher liegen, da nicht
       alle Fälle dokumentiert sind. Die Zerstörung von Kulturstätten ist ein
       Kriegsverbrechen, da sie erhebliche Verluste für das kulturelle Erbe
       darstellen.
       
       Kultur spielt eine zentrale Rolle bei der Bildung von kollektiver
       Identität, Erinnerung und der Bildung von Werten. Ihre Zerstörung kann eine
       Gesellschaft destabilisieren und ist ein häufiges Mittel von Autokraten.
       Der Angriff auf derart viele [3][Kulturstätten] kann daher kaum Zufall
       sein. Putin legt es darauf an, das kulturelle Erbe der Ukraine zu
       zerstören und damit die Kontrolle über die Bevölkerung zu erlangen.
       
       Warum haben es Autokraten auf das kulturelle Erbe abgesehen? Erstens:
       Kunst, Literatur oder Musik schult Menschen im kritischen Denken und
       ermutigt sie, gegen Autorität aufzubegehren. Wenn kulturelle
       Ausdrucksformen unterdrückt werden, wird es den Menschen erschwert, ihre
       Gedanken und Ideen frei zu äußern und sich zusammenzutun, Gleichgesinnte zu
       finden.
       
       Zweitens: Autokraten versuchen, die Geschichte einer Gesellschaft
       umzudeuten, um die eigene Macht zu legitimieren. Ereignisse, die ihr Regime
       in Frage stellen, werden ausgelöscht und durch Denkmäler oder Bücher
       ersetzt, die eine von ihnen kontrollierte Erzählung enthalten. Drittens:
       Die Zerstörung von Identität, von Symbolen und Praktiken, kann eine Form
       der Entwurzelung sein, die es den Menschen erschwert, sich als
       eigenständige freie Gemeinschaft auszudrücken. Stattdessen soll eine
       Einheitsideologie herrschen und verbreitet werden.
       
       Wladimir Putins Regierung hat in Tschetschenien mit der Unterstützung von
       Ramsan Kadyrow, dem tschetschenischen Präsidenten, die vorherrschende
       Kultur in der Region zerstört. Seit dem Zweiten Tschetschenienkrieg
       (1999–2000) und den folgenden Jahren, in denen Russland die Kontrolle über
       die Region erlangte, gab es mehrere Fälle von Kulturzerstörung,
       Unterdrückung und Umgestaltung, die oft mit dem russischen autokratischen
       Ansatz und der Politik in Tschetschenien verbunden sind. Insbesondere
       kulturelle Praktiken, die als „westlich“ oder zu „modern“ galten, wurden
       unterdrückt.
       
       Wladimir Putin fühlt sich durch Demokratie und demokratische Werte bedroht,
       weil sie im Widerspruch zu seinem autokratischen Herrschaftsmodell stehen.
       Als Präsident Russlands verfolgt Putin eine Politik, die darauf abzielt,
       seine eigene Macht zu konsolidieren und die Kontrolle über die russische
       Gesellschaft sowie über politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche
       Institutionen zu sichern. Liberale Kräfte, eine freie Presse und eine
       starke Zivilgesellschaft stehen unter erheblichem Druck.
       
       Putins autokratisches System basiert auf der Konzentration von Macht in
       seinen Händen und einer Politik, die keinen Platz für politische Opposition
       oder echte Demokratie lässt. Demokratische Institutionen und Mechanismen
       wie freie Wahlen, unabhängige Medien und eine pluralistische Gesellschaft
       fördern den Wettbewerb um Macht und würden seine Herrschaft gefährden.
       
       ## Putin fürchtet demokratische Bewegungen
       
       In einem demokratischen System wäre es für ihn nicht nur schwieriger, seine
       politische Kontrolle zu bewahren, sondern er wäre auch in seinem
       Machtanspruch und in der Legitimierung seiner Politik herausgefordert.
       
       Putin fürchtet, dass demokratische Bewegungen, die in anderen
       postsowjetischen Staaten wie der Ukraine (zum Beispiel die Orange
       Revolution von 2004 oder die Euromaidan-Proteste von 2014) oder in
       ehemaligen sozialistischen Ländern stattgefunden haben, in Russland selbst
       aufkeimen könnten. Diese Revolutionen, die auf demokratischen Prinzipien
       beruhen und autokratische Herrschaft ablehnen, haben in der Geschichte
       immer wieder Regime gestürzt. Für Putin ist genau das der Albtraum.
       
       Demokratie könnte die politische und wirtschaftliche Macht der russischen
       Elite bedrohen, einschließlich der Oligarchen, die Putin unterstützt. Das
       aktuelle System ermöglicht es einer kleinen Gruppe von Menschen, enorme
       Reichtümer zu kontrollieren, während die breite Bevölkerung von
       wirtschaftlicher Unsicherheit betroffen ist. In einem demokratischeren
       System würden diese Oligarchen zur Rechenschaft gezogen, was ihre
       Machtposition ernsthaft gefährden könnte.
       
       In den letzten Jahren habe ich immer wieder darauf hingewiesen, dass die
       Ukraine auch unsere Freiheit verteidigt. Damit meinte ich genau das: Putin
       hat es nicht nur auf Landgewinne und militärische Stärke abgesehen, sondern
       auf die Zerstörung der freiheitlichen und demokratischen Kultur der
       Ukraine und letztendlich ganz Europas. Er duldet keine Demokratie in
       seiner direkten Nachbarschaft, da diese eine Gefahr für ihn, für sein
       Regime und die gesamte Oligarchenelite in Russland darstellt.
       
       Gerade deshalb ist es von enormer Bedeutung – und liegt zugleich in unserem
       ganz eigenen Interesse –, die Ukraine zu unterstützen. Dazu gehört neben
       humanitärer und finanzieller Hilfe sowie politischer Beratung – etwa im
       EU-Beitrittsprozess – an zentraler Stelle auch die Lieferung von
       Flugabwehrsystemen und Waffen. Insbesondere Flugabwehr schützt nicht nur
       Zivilist*innen und die Energieinfrastruktur, sondern eben auch das
       ukrainische kulturelle Erbe.
       
       27 Feb 2025
       
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