# taz.de -- Comic „Super-GAU“ von Bea Davies: Von Fukushima an den Kotti
       
       > „Super-GAU“ von Bea Davies erzählt vom März 2011. Der Comic verbindet das
       > Schicksal seiner Figuren in Berlin mit der Atomkatastrophe in Japan.
       
 (IMG) Bild: Die Flutkatastrophe in Sendai in Bea Davies' „Super-GAU“
       
       Einer der Schauplätze in Bea Davies’ Graphic Novel ist der Berliner
       „Kotti“, das vitale, wenn auch wenig beschauliche Kreuzberger Viertel rund
       um die U-Bahn-Station Kottbusser Tor. Benachbarte Wohnblocks, Straßen,
       Imbisse oder die Ufer am Kanal bilden in „Super-GAU“ den urbanen
       Hintergrund für eine verwobene Bildgeschichte, die von zerbrechlichen
       Existenzen und Katastrophen handelt.
       
       Der Prolog skizziert Szenen, die sich Tausende Kilometer entfernt in Japan
       ereignen. Nach einem Seebeben erreicht die Tsunami-Warnung spät die
       Bewohner der Küstenstadt Sendai. Inmitten des Chaos unternimmt ein Mann
       vergeblich aus einer Telefonzelle einen Anruf nach Deutschland.
       
       Diese [1][Naturkatastrophe, die am 11. März 2011 im 80 Kilometer südlich
       von Sendai gelegenen Fukushima] ein schweres Reaktorunglück auslöste,
       bildet den Ausgangspunkt für die kunstvoll verschlungene Erzählung der
       Comiczeichnerin.
       
       Eine von acht Figuren in „Super-GAU“ ist Lea, die in Berlin in einer
       Obdachlosenunterkunft jobbt. Der 11. März ist Leas achtzehnter Geburtstag.
       Seit ihre alkoholkranke Mutter vor vielen Jahren spurlos aus ihrem Leben
       verschwand, wohnt sie mit ihrem Großvater in einem der Hochhäuser am Kotti.
       In der Nacht wird sie von Albträumen heimgesucht, in denen sie zu ertrinken
       droht. Nun endlich volljährig, verzichtet sie trotzdem gerne auf die
       Unterstützung von Josie, ihrer Sozialarbeiterin vom Jugendamt.
       
       Josie ist alleinerziehende Mutter von Riku und Alina. Deren abwesender
       Vater arbeitet seit Jahren in einem Forschungsinstitut in Sendai. Josies
       Ex-Freund Nacho schrieb zwei Jahre zurückgezogen an einem Buch. Nun ist er
       zurück in seinem Kiez, den er kaum wiedererkennt. Nach langer Zeit trifft
       Nacho dort seinen alten Bekannten Alp auf einen Çay mit Simet. Der
       dandyhafte Typ arbeitet als Wachschutz auf einer Baustelle an der Spree.
       
       Bea Davies lässt ihn als eine Art organischen Intellektuellen auftreten.
       Beim gemeinsamen Warten auf die U-Bahn stellt er in der Menge fest: „Jeder
       ist ein jemand mit einer Geschichte, die einzigartig ist. Und alles ist mit
       allem verbunden.“ Zum Abschied gibt er Nacho zu bedenken: „Doch keiner
       sieht’s. Wir bröseln auseinander wie die Sandkörner einer ausgetrockneten
       Sandburg.“
       
       ## Alles ist mit allem verbunden
       
       In der Graphic Novel, die sparsam mit Text arbeitet, erscheint dieser
       Monolog wie eine Schlüsselszene. Eine besondere narrative Dynamik beweist
       „Super-GAU“ aber vor allem mit seiner szenischen Dramaturgie aus
       überraschenden Bildsequenzen, -ausschnitten und -formaten. Im Fernsehen und
       Radio laufen die Nachrichten über die Katastrophe von Fukushima. Wie in
       dieser Geschichte tatsächlich alles mit allem verbunden ist, erschließt
       sich Lesern erst durch aufmerksames Betrachten und Kombinieren, beim Vor-
       und Zurückblättern der schwarz-weiß gezeichneten Seiten.
       
       Meisterhaft entwickelt die Illustratorin in „Super-GAU“ unterschiedliche
       Handlungssträngen mit überzeugend wirkenden Charaktere. Flüchtig oder
       bewusst kreuzen sich deren Wege im Alltag der anonymen Großstadt. Um die
       Gesichter immer wieder aufs Neue auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln
       authentisch darstellen zu können, fertigte Davies für den Zeichenprozess
       deren Köpfe als Tonmodelle zur Vorlage.
       
       Bea Davies, die 1990 in Italien geboren wurde, lebt seit 2012 in Berlin.
       Ihr 2010 in New York begonnenes Studium setzte sie an der Kunsthochschule
       in Berlin-Weißensee fort. „Super-GAU“ ist für die vielfach ausgezeichnete
       Comiczeichnerin und Illustratorin ihr Debüt als Autorin.
       
       2019 zeichnete Davies zusammen mit dem Autor Patrick Spät die historische
       Graphic Novel „König der Vagabunden“ über das Leben von Gregor Gog, der
       sich während der Weimarer Republik für die Interessen der Obdachlosen
       einsetzte und 1929 den „Internationalen Vagabundenkongress“ initiierte.
       
       Auch in ihrer jüngsten Veröffentlichung widmet Bea Davies besondere
       Aufmerksamkeit den Menschen am Rand der Gesellschaft, beschreibt kurze
       Momente der Fürsorge und des Miteinanders. Ihre Protagonisten kämpfen auf
       die ein oder andere Weise um eine fragile Balance in einem herausfordernden
       Leben. Im Angesicht der globalen Katastrophe von Fukushima rückt
       „Super-GAU“ das menschliche Handeln und Sein in den Mittelpunkt – und
       erscheint damit aktueller denn je.
       
       9 Mar 2025
       
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