# taz.de -- Spuren der Menschheit in Graphic Novels: Postapokalypse mit Esprit trifft feministische Geschichte
       
       > In „William & Merriwether“ sichten Roboter humorvoll, was nach der
       > Apokalypse übrig blieb. Ulli Lust blickt in „Die Frau als Mensch“ auf
       > Prähistorie.
       
 (IMG) Bild: aus: William & Merriwether auf wundersamer Expedition
       
       Die Rede vom Anthropozän, in das wir eingetreten seien, geht einem leicht
       über die Lippen. Denn wer würde leugnen, dass der Mensch sich die Welt
       untertan gemacht hat, wenn auch wie ein Gewaltherrscher?
       
       Und doch: Von einem neuen Erdzeitalter zu sprechen – das zeugt letztlich
       von Hochmut. In erdgeschichtlicher Perspektive ist seit dem Auftreten des
       Menschen nur eine winzige und seit Beginn der Industrialisierung eine kaum
       mehr messbare Zeitspanne vergangen. Um mehr als ein temporäres Phänomen zu
       sein, steht dem Homo sapiens noch eine lange Bewährungsprobe bevor.
       
       In der tschechischen Graphic Novel „William & Meriwether“, geschrieben von
       Tat’ána Rubášová und gezeichnet von Jindřich Janíček, hat er diese
       offenkundig nicht bestanden. In einer nicht näher definierten Zukunft ist
       der Mensch gänzlich verschwunden; übrig geblieben sind nur die Roboter, die
       er einst schuf.
       
       ## „William & Meriwether“
       
       Sie leben in einer großen Stadt, die von einer hohen Mauer umgeben ist. Von
       der Vergangenheit wissen sie nichts, ebenso wenig wie von der Welt, in der
       sie leben. Also werden zwei von ihnen ausgeschickt, das nähere und weitere
       Umland zu erkunden – wie Captain Meriwether Lewis und William Clark, die,
       von St. Louis aufbrechend, mit ihrem Expeditionskorps 1806 als erste
       Kolonisatoren bis zur amerikanischen Pazifikküste vorstießen.
       
       [1][Postapokalyptische Comics] sind ja fast immer eine ernste
       Angelegenheit; hier ist das Gegenteil der Fall. Die Komik ergibt sich
       zunächst daraus, dass die beiden Roboter, auch darin ihren historischen
       Vorbildern ähnlich, von unterschiedlichem Charakter sind.
       
       William ist eher ängstlich, aber von Forscherdrang beseelt; zum Schutz vor
       Regen trägt er immer ein Plastikcape. Meriwethers Schaltkreise sind dagegen
       weniger komplex; als Draufgänger zeichnet ihn schon der Borsalino aus, den
       er nie absetzt.
       
       ## Fragmente menschlicher Zivilisation
       
       Komisch ist zudem, dass die Roboter mit den Fragmenten menschlicher
       Zivilisation, die sie finden, nichts anfangen können. Totenschädel vermerkt
       William in seinen Aufzeichnungen als „hohle, ellipsoide Körper mit
       unbekannter Funktion“.
       
       Schön sind auch die von Katharina Hinderer treffsicher übersetzten
       Wortspiele. So lautet etwa eines der wichtigsten Robotergesetze, wie
       William notiert, „Missbrauche nie eines Kameraden Bauteile.“ Ein Verstoß
       dagegen wird als „Kambaulismus“ bezeichnet.
       
       Zeichnerisch bewegt „William & Meriwether“ sich im Grenzbereich von Comic
       und illustriertem Buch. Es gibt keine Sprechblasen, sondern Blocktexte
       unter großformatigen, ausschließlich in Grün, Gelb, Blau und Weiß
       gehaltenen Bildern, die in ihrer Flächigkeit an Linolschnitte erinnern.
       
       ## „Die Frau als Mensch“
       
       Nicht in die Zukunft, sondern tief zurück in die Vergangenheit führt Ulli
       Lust mit „Die Frau als Mensch“. Seit der österreichischen Zeichnerin mit
       [2][„Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ 2009] der recht
       späte, hochverdiente Durchbruch gelungen ist, hat sie nur zwei weitere
       große Arbeiten veröffentlicht.
       
       Eine ebenfalls autobiografische Graphic Novel ([3][„Wie ich versuchte, ein
       guter Mensch zu sein“], 2017) und eine Adaptation von Marcel Beyers Roman
       „Flughunde“ (2013).
       
       Ihr neuer, umfangreicher Band ist nun ein Sachcomic, dessen Ansatz schon
       das spektakuläre Cover ahnen lässt. Da klettert eine Frau, gefolgt von
       einer Person, die nur von hinten zu sehen ist und ein Baby auf dem Rücken
       trägt, in eine Höhle, deren Eingang eindeutig einer Vulva gleicht.
       
       Am Anfang des Comics steht eine Kindheitserinnerung Lusts, die sich mit dem
       Doppelsinn des Worts „Scham“ verbindet: als Bezeichnung des weiblichen
       Genitals und als das Gefühl, das unter anderem mit dessen Tabuisierung
       verbunden ist.
       
       ## Der Blick zurück in die Steinzeit
       
       Danach geht der Blick weit zurück, bis ins Paläolithikum, die jüngere
       Steinzeit 40.000 bis 11.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung.
       
       Aus dieser Epoche sind seit dem 19. Jahrhundert in vielen Erdteilen
       Frauenfiguren gefunden worden, deren in Europa bekannteste die „Venus von
       Willendorf“ ist. Sie alle zeichnen sich durch opulente Formen und eine
       deutlich sichtbare Scham aus.
       
       An später entstandenen weiblichen Figurinen aus dem Nahen Osten hebt Lust
       deren „ganz selbstverständlich selbstbewusste Haltung“ hervor, im Gegensatz
       zu griechischen Statuen der nackten Aphrodite.
       
       In zwölf Kapiteln und einem Streifzug durch fast die gesamte, überwiegend
       prähistorische Welt erliegt Lust nicht der naheliegenden Versuchung,
       aktuelle postpatriarchalische Ideale auf die Vergangenheit zu projizieren.
       
       ## Auch Frauen gingen auf die Jagd
       
       Gestützt auf die Forschungsliteratur, die sie herangezogen hat – am Ende
       des Comics finden sich ausführliche Zitatnachweise und Anmerkungen –, kann
       sie aber belegen, dass manche gängigen Vorstellungen vom steinzeitlichen
       Leben und dem Verhalten von Jägern und Sammler-Gemeinschaften allgemein
       inzwischen als Vorurteile widerlegt sind. So gingen wohl nicht nur Männer,
       sondern auch Frauen auf die Jagd.
       
       Die Neandertaler waren keineswegs primitiv. Und auch unter schlichten
       Lebensbedingungen spielte und spielt neben physischer Fitness Empathie eine
       wichtige Rolle.
       
       Sachcomics als eine populäre Form der Wissensvermittlung sind en vogue. Das
       zeigt auch der [4][Erfolg von Liv Strömquist] oder die von Yuval Noah
       Harari geschriebene „Sapiens“-Reihe.
       
       Von diesen Beispielen unterscheidet sich Ulli Lust allerdings vorteilhaft
       dadurch, dass sie eine richtig gute Comic-Künstlerin ist. Sie hat ein sehr
       sicheres Gespür für das Verhältnis von Bild und Text. Und hier beweist sie,
       dass sie auch urtümliche Tiere und Landschaften fabelhaft zeichnen kann.
       
       So ist „Die Frau als Mensch“ ein Comic, der einen aufs Angenehmste belehrt
       – und der sich zugleich genießen lässt. Auf der letzten Seite ist ein
       zweiter Teil angekündigt. Wunderbar.
       
       29 Mar 2025
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christoph Haas
       
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